"Nachtschicht"-Regisseur Lars Becker: "Wir haben alle nur ein Blut"
Lars Becker über seine Figuren in "Cash & Carry" (20.15, ZDF), Alltags-Rassismus, die neue Reihe "Der gute Bulle" und Österreicher im Cast.
04.05.20, 05:01
Für den Streifen-Polizisten Tönnies (Benno Fürmann) ist die Lage so was von klar, als er ein großes Auto am Straßenrand und einen Mann mit dunkler Hautfarbe am Steuer sieht. „Das ist kein Racial Profiling, solange es überproportional viele Straftäter mit Migrationshintergrund gibt. Wenn die Mehrheit einer Minderheit kriminell ist, kommst mit politisch korrekt nicht weiter“, belehrt er noch die widerwillige Partnerin Milla (Friederike Becht), bevor er ohne Grund eine Amtshandlung beginnt.
Er ahnt nicht, dass der Fahrer Kriminalbeamter ist und er auch noch eine Festnahme so sehr behindert, dass ein Fluchtversuch gelingt. Wenig später ist Tönnies tot – vom Flüchtigen erschossen. Erichsen (Armin Rohde) und die anderen vom Kriminaldauerdienst Hamburg müssen in „Nachtschicht – Cash & Carry“ (20.15, ZDF) nun nicht nur den Mörder jagen, sondern auch noch Milla von Selbstjustiz abhalten – ein Drama mit Witz nimmt Fahrt auf.
Es sind nicht die hellsten Köpfe unterm Himmelszelt, die in der 16. „Nachtschicht“ irrlichtern. Aber ihr Schöpfer, Autor und Regisseur Lars Becker, lässt den Figuren ihre Würde. Dort, wo Eindimensionalität droht, biegen Charaktere und Handlung ab.
„Ich will nicht, dass ein Protagonist instrumentalisiert wird. Ich möchte auch nicht, dass eine Figur sich in einer bestimmten politischen, gesellschaftlichen oder anders intendierten Ansicht bewegt oder gar didaktisch wird. Ich versuche, immer wieder vom Klischee abzuweichen und mich über Stereotypen hinwegzusetzen“, betont Becker im KURIER-Gespräch. Die Zuseher könnten so ihren eigenen Zugang zum zentralen Thema des Films finden - ohne belehrt zu werden.
Rassismus
In der neuen Folge der legendären Reihe spielt (Alltags-) Rassismus bis in Polizeikreise hinein eine wichtige Rolle. „Ich recherchiere nach wie vor viel für meine Filme, da steckt viel Realität drin“, erklärt der 66-Jährige. „Es ist bei der Polizei nicht anders als in anderen Teilen der Gesellschaft: Alltagsrassismus ist gegeben. Gleichzeitig nimmt die Diversität der Gesellschaft zu. Migration, Armut, Klima und jetzt Corona sind Indikatoren für eine globale Veränderung, die wir ernst nehmen müssen. Das gilt aber auch für Rassismus.“
Der Norddeutsche sagt, er sei dadurch geprägt, dass seine Mutter eine Migrantin und seine Kinder binational seien. „Ich habe genug miterlebt, um das Thema für wichtig zu halten – nicht nur privat, sondern auch gesellschaftlich. Wir sind alle Menschen und wir haben alle nur ein Blut.“
Von der am Noir angelehnten, seit 2003 gesendeten „Nachtschicht“ gibt es jedes Jahr nur einen Film. „Es war von Anfang an das Konzept, dass jede Folge für sich steht, so wie ein Musik-Album. Das heißt, jede hat ihren eigenen Style, ihre Musik, ihren Sound, ihren Flow.“
Deshalb ist es Becker so wichtig, hier Regie zu führen – und die Geschichten zu schreiben: „Da geht es um einen bestimmten Kosmos, den ich vor Augen habe und der sich filmisch wiederfinden soll. Dazu kommt: Es gibt auch nicht so viele, die etwas schreiben, was ich dann kongenial umsetzen könnte. Und, das soll nicht arrogant klingen, es werden oftmals Drehbücher etwa für den ,Tatort’ angeboten, die bestimmten Strickmustern folgen. Das interessiert mich dann nicht.“
Neue Reihe
Geschrieben und inszeniert hat Becker auch die neue Reihe „Der gute Bulle“ – wieder mit Armin Rohde und sehr anders als die „Nachtschicht“. In „Friss oder Stirb“ geht es um Suchtgifthandel, Undercover-Arbeit, Verrat und Korruption im Polizei-Apparat (25. Mai, 20.15, ZDF, ab 18. Mai, ZDF-Mediathek).
Dem ausgekochten Polizeirat Fredo Schulz (Rohde) steht der österreichische Schauspieler Murathan Muslu als Drogen-Baron gegenüber, auf den Becker ebenfalls große Stücke hält. „Er ist herausragend, ein Instinktschauspieler, mit dem ich auch schon ein weiteres Projekt in Planung habe.“
Corona hat die Filmbranche lahmgelegt. Die Pause für den Regisseur nutzt der Autor: Mit Fritz Karl und Nicholas Ofczarek als „Kessel und Diller“ hat Becker dem Fernsehen das kaputteste Bullen-Duo geschenkt. Seit 2013 sind drei Filme entstanden. Nun soll der Vierte folgen. „Es hat sich im Lauf der Jahre herausgebildet, dass in meinen Produktionen immer wieder Schauspieler aus Österreich dabei sind. Sie haben eine tolle Einstellung am Set, es ist großartig mit solchen Menschen zu arbeiten.“
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