Warum die zur Mutter ihrer Völker hochstilisierte Habsburgerin gnadenlos bleibt, versucht die neue „Universum History“-Spieldoku „Maria Theresias dunkle Seite“ herauszuarbeiten (21.05, ORF2). Es ist die letzte große Vertreibung der Juden im Alten Europa vor dem Holocaust.
Üble Familientradition
Michael Silber, Historiker an Hebrew University in Jerusalem, meint: „Maria Theresia sagte sich, das ist unsere Familientradition. Ihr Großvater hat die Juden aus Wien vertrieben. Und im 16. Jahrhundert hat ein anderer Vorfahre die Juden aus Prag verbannt. Außerdem war sie eine Nachfahrin von Isabella und Ferdinand, die schon die Juden aus Spanien vertrieben hatten.“ Sie selbst nannte Juden „die ärgste Pest“. Ihr Antisemitismus – wie auch ihre tiefe anti-protestantische Haltung – wurzelte in ihrem Katholizismus, wobei offen ist, wie sehr ihr Beichtvater eine Rolle spielte.
Historiker Silber erinnert „der Exodus von 10.000 Menschen, bei Eiseskälte und mitten im Winter, wirklich an die 1930er-Jahre, als die Juden Deutschland verlassen mussten.“ 1.400 Menschen sterben in der Folge an Kälte und Krankheit. „Das ist Maria Theresias dunkle Seite“, meint ihre Biografin Stollberg-Rilinger, „in der populären Geschichtsvermittlung ist das bisher nicht vorgekommen.“
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Aufs Tapet gebracht und mit der epo Film für den ORF umgesetzt hat es Filmemacherin Monika Czernin. „Um Europa besser zu verstehen, muss man diese Geschichte kennen.“ Für Tom Matzek, ORF-TV-Hauptabteilungsleiter Bildung, Wissenschaft und Zeitgeschehen, zeigt die Doku zwei Vorzüge, die seit zehn Jahren existierende Sendereihe „Universum History“ auszeichne. Das eine sei die sehr enge wissenschaftliche Begleitung. „Das heißt auch, dass mit neuesten wissenschaftlichen Ergebnissen gearbeitet wird, was auch andere Blickwinkel eröffnet.“ Das andere ist der prinzipielle Zugang. „Auch wenn wir natürlich populäre Persönlichkeiten porträtieren, betreiben wir keine Helden- bzw. Heldinnen-Verehrung, sondern wir betrachten die Dinge nüchtern.“
Nach der zunächst noch von Maria Theresias Statthalter verschleppten Umsetzung des Befehls durchs Militär bricht die Wirtschaft im wichtigen Kronland Böhmen zusammen – mit weitreichenden Folgen. 1748 wird Maria Theresia deshalb ihren verhängnisvollen Befehl zurücknehmen, und die jüdischen Familien werden – allerdings gegen eine hohe Toleranzsteuer – zurückkehren.
Mechanismen der Macht offenlegen
Matzek ist dabei wichtig, die „Mechanismen von Macht“ offenzulegen und „unserem Publikum die Vielschichtigkeit von Entscheidungsprozessen aufzuzeigen. Oft sind es eben nicht große Masterpläne im Hintergrund – das ist gerade in Zeiten, in denen Verschwörungsmythen die Runde machen, vor Augen zu führen. Häufig sind es Zufälligkeiten oder Motive, die man propagandistisch nach außen nicht herausstreicht, die zu weitreichenden Entscheidungen führen“. Wie eben ein Wirtschaftseinbruch.
Musikalische Klammer der „Universum History“-Produktion ist das El Male Rachamim, das jüdische Totengedenken, das Rabbi Michael Dushinsky in der ältesten erhaltenen Synagoge Europas, der Altneu-Synagoge in Prag, für die Opfer von Pogrom, Vertreibung und Holocaust singt.
„Alter Hass, neuer Wahn“ wird aufgearbeitet
Darin gipfelte der gewalttätige Antisemitismus hierzulande, mit dem sich die „Menschen & Mächte“-Dokumentation „Alter Hass, neuer Wahn“ auseinandersetzt (8. November, 22.30, ORF2). Tags darauf jährt sich die Pogrom-Nacht in Österreich zum 85. Mal, woran der ORF mit einem Schwerpunkt erinnert.
„Was die Arbeit Robert Gokls auszeichnet ist, dass er die unmittelbare Konfrontation mit dem Antisemitismus wieder erlebbar macht“, sagt Hauptabteilungsleiter Matzek. „Er hat die Stimmen von Zeitzeugen aus dem ORF-Archiv geholt, die Übergriffe und letztlich auch die Novemberpogrome erlebt haben. Das sind Interviews, die nur 30 oder 40 Jahre danach entstanden sind – und die nun, 85 Jahre danach, diese Situation, das Erlebte wieder vor Augen führen.“
Hass-Zentrum Wien
Besonders in Wien verschmolz der christliche Antisemitismus mit dem rassischen Antisemitismus. „Mein Großvater Arthur Seyß-Inquart wurde in Wien zum Antisemiten“, meint Helmut Seyß-Inquart, Enkel des Mannes, der 1938 als NS-Reichsstatthalter in Österreich Mitverantwortung für die Pogrome nach dem „Anschluss“ hatte. Am Höhepunkt, der Nacht der Novemberpogrome, zündete man in Graz und Innsbruck, in Linz und Wien und an vielen weiteren Orten mehr als 60 Synagogen an, jagte, entwürdigte und verprügelten jüdische Menschen auf den Straßen, man stürmte und plünderte deren Wohnungen und Geschäfte. Wer es in der Folge nicht mehr schaffte, irgendwie zu flüchten, wurde deportiert und viele ermordet – mehr als 60.000 Österreicherinnen und Österreicher.
Dass das nicht das Ende des Antisemitismus war, macht die Doku „Jud Süß 2.0“ bereits am kommenden Sonntag klar (23.05, ORF2).
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