Ist es mittlerweile weniger gewalttätig dort?
Ich glaube, dass sich die Kriminalität natürlich verändert hat. Das dürfte es zwar alles noch geben, aber auf andere Art und Weise. Wir erzählen das auch in der Serie, das beginnt in einer Zeit, wo es tatsächlich die Regel gab, dass nur mit der Faust gekämpft wird. Das wurde auch ernst genommen. Dann gab es allerdings einen Wandel, zu der Zeit, als der "Wiener Peter" nach St. Pauli kam. Allgemein kam auch der Drogenhandel auf, Kokain wurde ganz groß. Plötzlich waren Waffen da und die Stimmung hat sich verändert. Aber ich habe nicht selbst in dieser Zeit gelebt. Daher habe ich versucht, mir mein eigenes Bild zu machen, habe mich darüber informiert und viele Fotos angeschaut.
Haben Sie Klaus Barkowsky jemals getroffen?
Nein, ich bin ihm tatsächlich noch nie begegnet. Aber ich spiele auch nicht ihn. Ich spiele einen fiktiven Klaus Barkowsky, der halt den gleichen Namen trägt. Natürlich habe ich mich auch von ihm inspirieren lassen, über Fotos, auch über ein kurzes Video, wo er in seinem Lamborghini über den Kiez fährt und einmal einen Blick zurück wirft. Da konnte ich für mich viel herauslesen über seine Körperhaltung und seine Ausstrahlung.
Sprachlich waren Sie ja sowieso gut vorbereitet ...
Ich musste nicht viel lernen, aber ich musste mich voll reinsteigern. (lacht) Ich mag die Sprache, es ist ja auch eine amüsante Sprache und ich kenne sie von meinen Freunden. Wenn mal ein paar Bier mehr getrunken werden, dann fangen die Hamburger plötzlich an, so richtig zu schnacken. Wenn man sich in die Zeit und diese speziellen Persönlichkeiten hineindenkt, war eine extreme, ausgestellte Sprache für mich unumgänglich.
Es kommen jede Menge Schimpfwörter vor. Was konnten Sie da selbst einbringen?
Man konnte jegliche Wörter zusammenfügen, um dann irgendwie eine neue Beleidigung zu erfinden. Da waren einfach keine Grenzen gesetzt. So wie jeder seine eigene Theorie über diese Zeit hat, genauso hat jeder auch so ein bisschen seinen eigenen Hamburger Schnack. Ich war sehr extrem unterwegs, aber es hat großen Spaß gemacht. (lacht)
Konnten Sie dabei auch Grenzen überschreiten?
Bei anderen Figuren ist es selten so, dass man so extrem in eine andere Sprache reingehen kann, in eine andere Körperlichkeit, diese extremen Haare. Und so konnte ich schauspielerisch meine eigenen Grenzen überwinden oder auch neu setzen. Da habe ich einfach wahnsinnig viel gelernt, auch für weitere Projekte. Da hat sich noch mal ein anderes Feuer entfacht.
Wie haben Sie die Zusammenarbeit mit der Intimitätskoordinatorin erlebt?
Es ist total gut, dass da eine Person ist. Das Intimacy Coaching hat nicht nur direkt am Set stattgefunden, sondern im Vorhinein. Wir haben jede Szene, in der es körperlich wurde, durchgesprochen und in einem geschützten Raum klar die Grenzen kommuniziert. Und das war total wichtig für mich, dass sie da war, auch das Wissen, dass sich alle Beteiligten gut fühlen. Oft werden Sexszenen einfach dargestellt, damit es eine Szene gibt. Und was sie versucht hat zu vermitteln, ist, dass jede Sexszene eigentlich was erzählt. Und all das wurde kommuniziert.
Es ging auch darum, toxische Männlichkeit darzustellen und zu entlarven.Wie ging es Ihnen mit den Mackerszenen oder Gewaltszenen?
Es ist keine Freude, so etwas darzustellen. Man ist halt in dieser Figur und ich wollte diesen Klaus als jemand darstellen, dem man glaubt. Es ist für mich ein Mensch, der seinen eigenen Lügen glaubt, der es somit schafft, die Leute zu überzeugen, für ihn zu arbeiten. Das war natürlich eine krasse Angelegenheit für mich. Um den gerecht zu werden, musste ich das so überzeugend wie möglich darstellen, damit die Frauen und ihre Entscheidungen in der Serie auch ernst genommen werden.
Wie verhindert man, dass dieser Klaus allzu sehr zum Sympathieträger wird? Weil er behandelt ja seine Sexarbeiterinnen schon ziemlich schlimm.
Ich habe bewusst versucht, leise Töne zu setzen. Und ich glaube, dass es nach vielen Szenen Momente gibt, wo man davon was sehen kann, dass er eigentlich reflektiert ist, aber das dann zur Seite schiebt, damit er weitermacht. Und das war die große Aufgabe, es so schwierig durchdringbar zu machen wie möglich. Und trotzdem gibt es für mich aber immer wieder ganz klar Momente, wo man das als Zuschauer, glaube ich, auch sehen kann, wenn man genau hinschaut. Da musste man ganz fein werden. Gleichzeitig sind es auch die Handlungen, die er setzt, die ihn als einen gestörten Menschen entlarven.
Sie haben zuletzt in "Im Westen nichts Neues" gespielt. Das ist auch sehr harter Tobak. Wie nahe geht das einem als Schauspieler, wenn man mit solchen Themen konfrontiert wird?
Man muss sich schon irgendwie etwas bauen. Mich hat total geschützt, dass der Klaus Barkowsky wirklich absolut gar nichts mit mir zu tun hat. Ich konnte auch nach dem Drehtag diese Perücke abnehmen. Es war für mich total wichtig, dass ich all das am Abend loswerden konnte. Bei "Im Westen nichts Neues" war es ein bisschen anders, weil man andauernd mit Leichen zu tun hat. Man hat überall Puppen als Leichen herumliegen gesehen und irgendwann kann das Gehirn das nicht mehr so ganz abstrahieren. Und dann schläft man auch mal schlecht. Das war auf jeden Fall speziell.
Der Lohn der harten Arbeit sind dann neun Oscar-Nominierungen. Wie fühlt sich das an?
Unfassbar. Ich habe die Nominierungsbekanntgabe live im Auto verfolgt. Ich hatte die Daumen gedrückt, dass es zumindest eine Nominierung gibt, damit wir im Rennen sind. Und dann wurden es aber immer mehr und immer mehr, das war unfassbar! Irgendwie stieg die Freude exponentiell. (lacht)
War das in irgendeiner Form erwartbar?
Also es war natürlich im Vorhinein klar, dass man sich hier an eine riesengroße Romanvorlage, einen Klassiker, heranwagt und dass die Verfilmungen zuvor auch schon ausgezeichnet worden sind, und dann noch mit so einem fantastischen Regisseur wie Edward Berger, einer großen Produktion, wo viel möglich war. Also das Wort Oscar habe ich nicht in den letzten Tagen zum ersten Mal gehört. (lacht)
Kommentare