Was Kates Foto-Gate mit einer brandgefährlichen Entwicklung zu tun hat
Man würde eigentlich nicht denken, dass ausgerechnet Prinzessin Kate einmal im Zentrum eines Sturmes stehen würde, der den gesellschaftlichen Zusammenhalt grundlegend durcheinanderwirbelt.
Aber genau das ist mit Foto-Kate-Gate passiert. Das Ganze ist nämlich weit mehr als ein PR-Desaster für den Buckingham Palace. In der überhitzten Online-Debatte rund um das Foto zeigt sich vielmehr, dass ein Kitt der Gesellschaft brüchig geworden ist: dass wir uns nämlich nicht mehr auf gemeinsame Wahrheiten einigen können, von denen aus wir debattieren.
Eine der Quelle dieser Wahrheiten waren Fotos und Videos. Damit ist nun Schluss – warum, das dokumentieren ausgerechnet die ungelenken Photoshop-Künste Kates.
Überspannt das die Affäre nicht? Eigentlich könnte man sagen: Es ist ja nicht viel passiert. Einer rekonvaleszenten jungen Frau ist fad, sie doktert ein bisschen an einem Familienfoto herum, bevor sie es veröffentlicht.
Genau das ist längst Alltag: Der allerallergrößte Teil jener Fotos, die auf Instagram unser Leben abbilden, wurde mit Filtern und anderen Bildbearbeitungstools behübscht. Auch auf Datingplattformen ist die Überraschung beim persönlichen Treffen oft groß, dass das Gegenüber in echt doch deutlich weniger gut aussieht als auf dem aufgehübschten Profilfoto. Längst leben wir alle mit falschen Bildern, die das Leben und uns selbst schöner machen. Wer’s glaubt, wird eher nicht selig.
Nur: Wenn man Bildern und, dank Künstlicher Intelligenz, zunehmend auch Videos und Tonaufnahmen nicht glauben kann, macht das eine Tür auf, die kaum mehr zuzukriegen ist. Das Gefühl, das sich in der Gesellschaft verfestigt hat, ist: Mit Bildern wird immer gelogen. Und der mitgedachte Zusatz ist: Wenn man nichts mehr glauben muss, dann glaubt man einfach, was man will.
Glaubwürdigkeitskrise
Was das auslöst, sieht man längst – in Politik und in den Medien. In den USA etwa leben die Demokraten und die Republikaner in derart unterschiedlichen Welten, mit ihren eigenen Bildern, ihren eigenen Wahrheiten, dass es keinen gemeinsamen Boden mehr gibt.
Ein Beispiel: Die US-Präsidentenwahl. Die ist im Griff zweier ungefähr gleich alter Kandidaten, einer davon auch noch schwer übergewichtig. Und beide Lager erzählen sich, dass der jeweils andere zu alt und senil ist – und schauen beim eigenen angestrengt weg. Oder: Die Republikaner werfen Joe Biden vor, kriminell zu sein, während Donald Trump vor Gericht steht. Wie die Wahl 2020 ausgegangen ist, ist faktisch klar – aber in den USA ist das eine Glaubensfrage.
Fakten stehen unter Fake-Verdacht, und werden „alternativen Fakten“ – sprich: ins Weltbild passendem Unsinn – gleichgestellt. Da nützt es bei vielen Menschen auch nichts mehr, wenn die Medien recherchierte Fakten präsentieren, mittlerweile im Gegenteil: Wenn diese Fakten nicht zum Weltbild passen, wird davon ausgegangen, dass sie Lügen sind. Die Menschen „recherchieren selbst“ – was heißt, dass sie sich im Internet jene Aussagen zusammensuchen, die in ihr Weltbild passen, und nicht – wie in der Aufklärung eigentlich eingeübt – umgekehrt.
Das Kate-Foto war ein Paradebeispiel für diese Glaubwürdigkeitskrise und ihre Folgen. Das Internet lief (und läuft) verrückt: Kate ist in Wirklichkeit tot! Und Charles auch! Das waren, ernsthaft, Rückschlüsse, die aus dem Kate-Gate gezogen wurden.
Was im Prinzip egal ist, weil es um nichts Wichtiges geht. Doch wenn Menschen schon von einem digital zurechtgezupften Kinder-Ärmel eine gerade Linie dorthin ziehen können, dass hier eine große Verschwörung im Gange sei, dann ist das ein ganz schlechtes Omen für jene Bereiche, in denen es politisch wirklich heikel ist. Gerade bei den Konflikten Ukraine-Russland und Israel-Gaza ordnen allzu viele die Welt an dem, was sie vorher schon geglaubt haben, und nicht an den Fakten, die aus diesen Konflikten berichtet werden.
Und jetzt?
Diese Auflösung der politischen Faktenbasis dient jenen, die sie missbrauchen, den Populisten aller Farben. Hier ist die Demokratie, das sieht man vielerorts, akut gefährdet. Dass deren Rettung wichtig ist, wäre ein Fakt, auf den man sich einigen sollte.
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