„Wir sind“, analysiert der frühere Königin Edward VIII. in der ersten Staffel „The Crown“ die englische Königsfamilie, „Halbmenschen. Wir sind einer bizarren Mythologie entsprungen. Die zwei Seiten in uns, die menschliche und die der Krone, befinden sich in einem angsterfüllten Bürgerkrieg, der niemals endet.“
Nun ist die fiktionalisierte Netflix-Serie über das Leben von Queen Elizabeth II. – wie oft genug betont wurde – keine exakte Abbildung der Realität. Und doch scheinen die Sätze des einstigen Regenten das derzeitige Dilemma des englischen Königshauses auf den Punkt zu bringen: Sie sind zwiegespalten. Und dürfen (oder wollen) nach außen doch nur eines sein: perfekt.
Daraus ergibt sich ein Tangotanz mit der Öffentlichkeit: Es so wird gerade genug Information herausgelassen, um das Volk zu faszinieren und sich rar genug gemacht, um den Schein der Perfektion zu wahren.
So rechnete der Palast wohl nicht mit Komplikationen, als er die britischen Medien Mitte Jänner mit gewohnt knappen Worten über die Operation von Catherine, der Prinzessin von Wales informierte. Er teilte mit, dass sie für „zehn bis 14 Tage“ im Krankenhaus sein würde. Dass es „nach derzeitigen ärztlichen Empfehlungen“ unwahrscheinlich sei, „dass sie vor Ostern in den öffentlichen Dienst zurückkehrt“. Dass der Kensington Palast deshalb „nur dann über die Fortschritte ihrer Königlichen Hoheit berichten (werde), wenn es wichtige neue Informationen zu berichten gibt“.
Trend zu Transparenz
Doch in einer Zeit, in der Weltstars wie Michelle Obama oder Kanye West offen wie nie über ihre psychischen und physischen Erkrankungen sprechen, verlangen die Fans des Königshauses – „Royal Watcher“ genannt – zunehmend auch Transparenz und Offenheit von ihren Royals. Harry und Meghan versuchten es, scheiterten letztlich aber an den starren Strukturen der „Firma“.
Als es ruhig um die sonst so umtriebige Prinzessin wurde, hielten sich die britischen Medien zuerst an die Bitte, Kate für ihre Genesung den erbetenen Raum zu geben. Die Scheu, Paparazzi zur Überwachung der 42-Jährigen zu schicken, ist auf der Insel auch deshalb so groß, weil ihr Titel – Princess of Wales – Erinnerungen an den tragischen Sommer 1997 und das Schicksal der gejagten Lady Di weckt.
Doch die Welt war nicht so geduldig. Über die vergangenen Jahre hatten sich Fans daran gewöhnt, wöchentlich mit Fotos und Infos des beliebtesten Mitglieds des Königshauses gefüttert zu werden. Jedes Outfit der als bodenständigen Stilikone gefeierten Kate wird detailreich dokumentiert, jeder Schritt, jedes Wort genau analysiert.
In der Ära Social Media bleibt nichts unentdeckt und unbesprochen. Schon gar keine Abwesenheit. Als William die Teilnahme an einer Messe für seinen Paten Konstantin von Griechenland „aus persönlichen Gründen“ absagte, verwandelte sich Twitter in eine Hobby-Detektei – wo ist Kate? (Antwort: In ihrem Cottage in Windsor.) Und warum lässt sie sich nicht blicken? Die Gerüchte reichten von humorigen Spitzen (Po-Vergrößerung, bei Harry und Meghan in Montecito) bis zu ernsten Mutmaßungen (komatös, in Scheidung lebend, tot). Dass indessen auch Charles und Camilla von der Bildfläche verschwanden und ein Mitglied der Windsor-Verwandtschaft unter mysteriösen Umständen zu Tode kam, trug nicht zur Deeskalation bei. Die Kommunikationsabteilung des Palasts, normalerweise Meister der Disziplin „Never explain, never complain“ (niemals erklären, niemals beschweren), geriet unter Druck wie zuletzt im Sommer 1997. Und sah sich gezwungen, ein vermeintlich harmloses Familienfoto zu veröffentlichen, das mittlerweile alle Welt kennt.
Göttliche Prinzessin
Doch wer auf Verschwörungstheorien eingeht, sorgt selten dafür, dass sie verschwinden. Denn das Bild warf noch tiefere Fragen auf. Die Prinzessin sah auf dem Bild sicherlich gut und vollständig erholt aus, urteilte der Independent – sofern es sich tatsächlich um eine zeitgenössische Darstellung von ihr handle. Der schnellste und einfachste Weg, all diese Probleme zu lösen, wäre ein kleiner Medientermin gewesen. Kate mit Familie bei einem Spaziergang durch den Garten, eine kurze Video-Grußbotschaft.
Am wahrscheinlichsten ist, dass sich die stets makellose Catherine, die bürgerliche „Prinzessin aus dem Bilderbuch“, gezeichnet von ihrer Operation nicht in der Öffentlichkeit zeigen will. Womöglich entsprang der Wunsch nach einem perfekten ersten Bild aus dem Krankenstand aber auch der Angst, dass ein Sichtbarmachen der Verletzlichkeit die Zukunft der Royals ernsthaft in Gefahr bringen könnte.
„Wer will schon Transparenz“, sagt der fiktive Edward VIII. in der ersten Staffel „The Crown“ anlässlich der Krönung seiner Nichte Elizabeth auch noch, „wenn man Magie haben kann? Wenn man den Schleier wegzieht, was bleibt dann übrig? Eine gewöhnliche junge Frau. (...) Aber wickeln Sie sie so ein, salben Sie sie mit Öl, und siehe da, was haben Sie? Eine Göttin.“
Das Wort „Göttin“ kam bei Elizabeth II. vielleicht nicht in den Sinn. Und doch war sie für viele Briten eine Instanz, eine Stütze, eine Säule. Unvergessen bleiben die Worte, die sie mit ruhiger Stimme im April 2020 an ihr Volk richtete: „Wir sollten uns damit trösten, dass wir zwar noch mehr zu ertragen haben, aber dass bessere Tage kommen werden.“
Erschüttertes Vertrauen
Die manipulierten Bilder sind aber genau deshalb so gravierend, weil sie das Vertrauen in eine Institution erschüttern, die sich auch auf ihrer eigenen Webseite als „Kopf der Nation“ definiert.
Nicht nur bei jedem neuen Bild, sondern auch bei jeder neuen Meldung werden sich „Royal Watcher“ künftig fragen: Stimmt das wirklich so? Der Wunsch, das Image der Perfektion zu wahren, hat die Säule der Makellosigkeit ins Wanken gebracht. Bleibt abzuwarten, wie sehr eine wackelnde Säule ein jahrhundertealtes Haus zum Einsturz bringen kann. In jedem Fall gäbe es Material für eine siebente Staffel „The Crown“.
(kurier.at, jup)
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Aktualisiert am 17.03.2024, 05:00
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