Juncker in ORF-Talk: "Gespritzt wird, was zur Verfügung steht"

Juncker in ORF-Talk: "Gespritzt wird, was zur Verfügung steht"
Der frühere EU-Kommissionschef war wieder einmal im österreichischen Fernsehen. Er verteidigte die europäische Impfpolitik, sprach über Sputnik, seine eigene Impfung und den fehlenden Körperkontakt in der Corona-Krise.

*Disclaimer: Das TV-Tagebuch ist eine streng subjektive Zusammenfassung des TV-Abends.*

Jean-Claude Juncker will kein Balkonmuppet sein. Also kein in Ehren ergrauter Alt-Politiker, der die Politik von oben herab maßregelt. „Wenn man aus dem Amt geschieden ist, sollte man sich hüten, seinen Nachfolgern öffentlich Empfehlungen zu überreichen“, sagt der frühere christlich-soziale EU-Lenker am Mittwochabend in seinem gepflegten Junckerdeutsch auf ORF1. Und das zu bereits nächtlicher Stunde in der Sendung „Talk 1“ bei Lisa Gadenstätter.

„In meinen fünf Jahren als Kommissionspräsident war ich eingedeckt mit krisenhaften Erscheinungen“, sagt er. Die Covid-Krise hätte er also „nicht gebraucht, um krisenfest zu werden. Also bin ich froh, dass ich damit instrumental nichts zu tun hatte.“

"Kein Impfstoffdesaster"

Dieses Bummerl hat nun seine Nachfolgerin, Ursula von der Leyen. Gadenstätter fragt den „Fachmann auf dem Gebiet der Krisen“ wie er das schleppende Fortschreiten der europäischen Impfkampagne beurteilt. „Ein Impfstoffdesaster ist das nicht“, sagt der per Videoschaltung eingespielte Luxemburger, es sei „eine Impfkampagne mit Anlaufschwierigkeiten“. Wir, die Europäer, sollten froh sein, dass es bereits in kurzer Zeit gelungen sei, Impfstoffe überhaupt verfügbar zu machen.

Dass die EU bisher nicht genug Impfstoff bekommen habe, liege daran, dass manche Impfstoffhersteller nicht fristgerecht liefern konnten. „Aber bis Sommer, Anfang Herbst werden alle Europäer ein Angebot erhalten haben“, sagt Juncker.

Angeboten ist aber noch nicht verimpft, könnte man einwenden. Und die Virologin Christina Nicolodi sagt dann später im Studio, dass eine komplette Durchimpfung bis zum Ende des dritten Quartals ambitioniert ist. Ein erster Stich für alle gehe sich vielleicht in diesem Zeitrahmen in Österreich aus.

Der 66-Jährige bekommt seinen ersten Stich an diesem Donnerstag, sagt er. Er werde „mit diesem nicht von allen geliebten Impfstoff“ immunisiert. Den Namen Astra Zeneca könne er sich seltsamerweise nicht merken, sagt er. Aber: "Es darf keine Sonderbehandlungen geben“, „gespritzt wird, was zur Verfügung steht.“

Da die Europäische Arzneimittelagentur EMA die weitere Verimpfung von Astra Zeneca empfiehlt, habe er als Nicht-Mediziner nichts hinzuzufügen und auch bezüglich seiner Impfung keine Bedenken. „Ich werde Sie informieren, wenn etwas schiefgeht. Es geht aber nichts schief. Alle sollen sich impfen lassen, bitte“ appelliert Juncker an die Europäer.

Er würde nichts anders machen als Von der Leyen, sagt er. „Sie hat das gut gemacht, generell ist ihr kein Vorwurf zu machen.“ Hätte die Kommission das nicht in die Hand genommen, hätten ärmere Länder weniger Impfstoff zur Verfügung - „was jetzt so auch passiert ist“, sagt Juncker.

Ja, es ist tatsächlich so auch passiert, aber Juncker will damit offenbar sagen, dass es nicht in dem Ausmaß passiert ist, wie es vielleicht ein völlig freier Impfbasar auf europäischer Ebene bewirkt hätte.

„Briten hatten Glück“

Gadenstätter bittet Juncker um eine kurze Analyse, woran es noch gelegen habe, dass die EU zu wenig Impfstoff erhält.

„Das bedarf einer längeren Antwort“, sagt Juncker.

„Oje …“

„… aber ich bin der kurzen Antwort mächtig.“

Die Kommission habe „auf Nummer sicher gehen“ wollen, während beispielsweise die Briten mit Notzulassungen agiert haben. Juncker meint, die Kommission wäre bei Komplikationen hinterher kritisiert worden, wenn man das „Hals über Kopf gemacht hätte“. „Die Briten hatten Glück.“ Damit meint er nicht den EU-Austritt, sagt er, sondern, dass sie nicht auf die ordnungsgemäße Zulassung gepocht haben. Die Kommission sei „aus gutem Grund vorsichtig gewesen“.

Ein weiterer Grund sei, dass man in der Budgetpolitik der Kommission mittlerweile eine „innere Bremse“ angezogen habe. Er selbst habe „gelitten unter österreichischen Anwürfen“, dass die freihändig einfach so Geld ausgibt. Jetzt sei „die doppelte Vorsicht Mutter der Porzellankiste. Man sollte sich auch in Österreich manchmal zurückhalten mit dem Vorwurf, dass die Kommission und die EU Geld verschwenden, das tun sie nicht.“

Wobei man sagen muss, dass das in diesem Fall eine Themenverfehlung ist. Denn die Kosten für die Impfstoffbestellungen haben die EU-Mitgliedsstaaten selbst zu tragen, sonst gäbe es wohl auch nicht die unterschiedlichen Portfolios.

Keine Bedenken wegen Sputnik

Im zweiten Teil des voraufgezeichneten Interviews - die Studiogäste können also nicht mit Juncker diskutieren - spricht sich der Politpensionär noch für eine EU-weite Bestellung von Sputnik-V aus, sobald dieser von der EMA zugelassen ist. Das Virus kenne keine Grenzen, nationale „Spielchen“ seien abzulehnen, „ein wirksamer Impfstoff soll eingesetzt werden, falls er zur Verfügung steht“, auch wenn er aus Russland komme.

Bei der Beurteilung von „Alleingängen“ wie dem österreichisch-dänischen Kurz-Besuch in Israel, erweist sich Juncker wieder einmal geschickt diplomatisch. „Zuerst habe ich mich gewundert, dass mein Freund Sebastian Kurz dies tut, weil es kam mir wie ein Ausscheren aus der kollektiven Disziplin der Europäer vor“, sagt er. In der Nachbetrachtung habe er aber „nichts an Kritik anzubringen“. Kurz habe „sich bemüht, Impfstoff für die Österreicher zu besorgen.“

Europa werde gestärkt aus der Krise hervorgehen, bekräftigt der Europäer. Denn die EU-Bürger hätten gesehen, „wenn jeder Staat sein eigenes Covid-Süppchen kocht, dass es zu sehr widersprüchlichen Entscheidungen kommt.“ Als Beispiel nennt er die Grenzschließungen zu Beginn der Corona-Krise.

Juncker und das Social Distancing

Am Ende leitet Gadenstätter in einen durchaus amüsanten, lockeren Teil über. Auch das wird Juncker gerecht.

Wie es dem manchmal als „Küsserkönig“ titulierten mit dem Social Distancing gehe. Um diese Frage geht es, nachdem Juncker ein Best Of seiner Full-Contact-Aktionen vorgespielt wurde: beim hölzernen Bussi-Bussi mit Sebastian Kurz, das Tätscheln des „Diktators“ Viktor Orbán, oder, als Juncker einer EU-Mitarbeiterin vor Kameras die Haare richtete.

„Ich habe beim Anschauen dieses Filmchens gemerkt, dass österreichische Bundeskanzler nicht küssen können“, flachst Juncker in typischer Juncker-Manier. „Es drängt mich auch nicht danach, meinen Freund Sebastian zu küssen“. Er habe sich auch als ranghoher Politiker nie verstellen wollen. „Warum sollte ich mich immer dem Protokoll und der Etikette unterwerfen?“, fragt sich der Luxemburger Ex-Premier.

Er erläutert in aller Kürze die Geschichten hinter den bekannten Bildern. Er habe Orbán „nicht mutwillig geohrfeigt, sondern über die Jahre immer wieder als Diktator bezeichnet, was er sehr verständnisvoll aufgenommen hat.“

Die stv. Protokollchefin habe 20 Jahre in der Kommission gearbeitet und sei bei der haarigen Angelegenheit zum ersten Mal im Fernsehen gewesen. Und dann war diese Zugluft am Eingang des Ratsgebäudes. „Ich hab das gemacht, um ihre Haare in Ordnung zu bringen“, sagt Juncker, „und nicht, um machomäßig Frauen entgegenzutreten, wie die britische Presse vermutet hat. Die hat viel über mich vermutet, was keinen Wahrheitsgehalt hat.“

Ob er das Ende des Social Distancing herbeisehne?

„Ich muss Ihnen gestehen, dass ich die Zeit nicht mag, in der wir gerade leben“, sagt Juncker.

Die Videokonferenzen würden ihm zu schaffen machen. „Ich seh die Leute nicht, ich spüre sie nicht, ich rieche den Saal nicht, ich brauche auch Körperkontakt“ erläutert Juncker. „Menschen brauchen Berührungen, Nähe, Zärtlichkeit, manchmal auch Liebe. Und daran fehlt es zurzeit, aber das kommt alles wieder“, versprüht er noch Optimismus.

„Ich hätte Sie auch lieber hier im Studio persönlich kennengelernt“, sagt Gadenstätter.

„Aber ich hätte Ihnen nicht die Haare geordnet!“ sagt Juncker, in typischer Juncker-Manier.

"Das hat die Maske vorher erledigt", erwidert Gadenstätter selbstbewusst. Das erheitert auch Juncker.

Gebärden

Im Studio sitzt übrigens auch die Gebärdensprachdolmetscherin Marietta Gravogl, um über ihr Metier Auskunft zu geben. Sie habe Juncker genau beobachtet, sagt sie. Seine Mimik wirke „sehr kontrolliert, aber das, was er sagt und wie er es sagte, ist sehr emotional.“ Sie würde ihn aufgrund der Sympathie mit einem Lächeln dolmetschen.

Wer generell eine besondere Herausforderung beim Gebärdendolmetschen sei?

Gravogl nennt sofort Vizekanzler Werner Kogler. Aufgrund seiner verschachtelten Sätze.

LINK: Die Sendung zum Nachschauen 

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