"Im Zentrum"-Moderatorin Claudia Reiterer und Virologin Dorothee von Laer (re.)

© Screenshot: tvthek.orf.at

TV-Tagebuch

ORF-Talk: Bei diesem Satz "hat's mich schon a bissl g'rissen"

Am Sonntagabend hatten bei "Im Zentrum" wieder die Expertinnen und Experten das Sagen. Es ging um schlechte Nachrichten zur Corona-Krise und wie man sie richtig verpackt.

von Peter Temel

03/29/2021, 09:40 AM

*Disclaimer: Das TV-Tagebuch ist eine streng subjektive Zusammenfassung des TV-Abends.*

Schlechte Nachrichten bestimmen unser pandemisches Leben seit mehr als einem Jahr.

Neue schlechte Nachrichten gab es auch am Sonntagabend bei „Im Zentrum“. So berichtete etwa die Innsbrucker Virologin Dorothee von Laer ĂŒber das Fluchtverhalten der britischen Virusmutation B.1.1.7. Es weise nun ein weiteres Mutationsmerkmal auf, den sogenannten E484K-Zusatz. Bei der Spike-ProteinhĂŒlle des Virus wurde an der 484. Position eine AminosĂ€ure ausgetauscht und das ist schlecht. Denn die bei einer Impfung gebildeten Antikörper erkennen diese Variante nicht mehr so gut.

Kurz gesagt lautet ihre Botschaft: „Der Sommer wird ruhiger, aber wir mĂŒssen uns gegen eine Herbstwelle wappnen.“

Als sie vor der Sendung diesen Thesensatz von Laers gelesen habe, habe es sie "schon a bissl g’rissen“, gibt Moderatorin Claudia Reiterer zu. Vielleicht spricht von Laer in der Sendung deshalb von einer „netten Welle" im Herbst. Gemeint ist natĂŒrlich eine stĂ€rkere Welle aufgrund des Variantenreichtums des Virus.

Auch der Intensivmediziner Arschang Valipour hat keine besseren Neuigkeiten. Die Lage in den KrankenhĂ€usern sei "angespannt". Bei einer geringeren Gesamtinfektionszahl wie im vergangenen November sei die Zahl der Menschen, die auf Intensivstationen versorgt werden mĂŒssen, relativ gesehen höher. Die jĂŒngste Person, die an seiner Abteilung in der Klinik Floridsdorf kĂŒnstlich beatmet werden mĂŒsse, sei "tatsĂ€chlich 18", sagt Valipour.

Nicht öffentlich debattieren

Aber was tun mit den schlechten Nachrichten und wie kommuniziert man jetzt noch mit den pandemiemĂŒden Menschen? Diese Frage ĂŒberlagert dann das eigentliche Thema „Lockdown statt Osterfest – zu spĂ€t, zu kurz, zu unentschlossen?“.

Die Politik will an diesem Abend offenbar nicht kommunizieren. Weder Gesundheitsminister Anschober, noch die zuletzt beim "Ostgipfel" vertretenen Landeshauptleute Ludwig, Mikl-Leitner und Doskozil „wollten mit der Wissenschaft öffentlich debattieren“, sagt Reiterer eingangs. Ob es in dieser Deutlichkeit wirklich so gesagt wurde, sei dahingestellt. Aber dass sich offenbar keine der entscheidenden Personen bereit erklĂ€rte, mitzudiskutieren, stimmt einen irgendwie nachdenklich.

"Ein bissl was geht immer"

Wenn in letzter Zeit jemand das Versagen der politischen Kommunikation scharf kritisiert hat, dann war es Politologe Peter Filzmaier. Er nimmt in seiner ersten Wortmeldung detailliert die Historie der angestrebten Inzidenzzahl (also die Zahl der Infektionen pro 100.000 Einwohner ĂŒber sieben Tage) auseinander: „Da wurde uns wĂ€hrend des Lockdowns kommuniziert: 50, das ist auch das Ziel, das die WHO vorgegeben hat. Dann ist - typisch österreichisch, weil ein bissl was geht immer - schleichend 100 als Zielvorgabe daraus geworden. Bei Werten von 120, 130, 150 hat man von Öffnungen gesprochen, und diese fĂŒr die Gastronomie sogar in Aussicht gestellt. Bei 220 bis 250 begannen dann Diskussionen ĂŒber eine mögliche VerschĂ€rfung der Maßnahmen. Herausgekommen ist zunĂ€chst nichts bei einem Gipfel, auch sehr zum Leidwesen der Expertinnen und Experten. Erst als wir auf 300 - in manchen BundeslĂ€ndern darĂŒber - sind, wird ein partieller Lockdown beschlossen."

Auf der gegenĂŒberliegenden Seite des Spektrums stehe dann eine wissenschaftliche Bewegung fĂŒr "Zero Covid", die jegliche Ansteckung verhindern wolle. "Und dann soll man als BĂŒrger hier an eine geschlossene Strategie glauben? Das fĂ€llt schwer", resĂŒmiert Filzmaier.

Man denke in der politischen Kommunikation immer kurzfristig und in Wahlkampfrhythmen, aber man denke nicht daran: „Was sage ich in zwei und drei Monaten?" Es seien immer wieder "Hoffnungen und Erwartungen geweckt" worden, "die dann regelmĂ€ĂŸig enttĂ€uscht wurden und das fĂŒhrt dann zu einer fatalen Stimmungslage.“

Auch den Konsumenten der Botschaften gibt der Politologe etwas mit auf den Weg: Kritisch sein gegenĂŒber den EntscheidungstrĂ€gern schließe verantwortungsbewusstes Handeln nicht aus. "Es geht beides und es tut gar nicht weh“, sagt er. Man sollte sich "nicht wie ein achtjĂ€hriges Kind verhalten", das sich nicht an Maßnahmen halte.

Aber was tun mit den schlechten Nachrichten? Nicht nur bei Filzmaier ist oft viel Kritik, aber wenig Lösung zu finden.

StÀrker werden mit Pippi Langstrumpf

Gesundheitspsychologin Barbara Juen von der UniversitĂ€t Innsbruck ist Teil des relativ neuen Beraterstabs der Regierung fĂŒr die psychosozialen Folgen der Coronakrise. Ob sie das GefĂŒhl habe, gehört zu werden? "Ja, hab' ich schon".

Offenbar hat das Zuhören noch nicht zu entsprechenden Handlungen gefĂŒhrt, denn die klinische Psychologin kann relativ anschaulich erklĂ€ren, worum’s geht.

Wenn die Menschen von Bedrohungen erfahren, wĂŒrden sie erst einmal abschalten, um sich vor Bedrohungen zu schĂŒtzen, erklĂ€rt Juen. „Sie schauen einmal, dass sie die Bedrohung fĂŒr sich selbst minimieren können.“ Das sei auch Teil einer persönlichen Kosten-Nutzen-Rechnung.

Daher sei die Art der Kommunikation „enorm wichtig, dass man auf die Ernsthaftigkeit der Situation hinweist, aber das mit positiven Botschaften kombiniert". vorzugsweise "nicht mit leeren positiven Botschaften, sondern mit realistischen.“

Sie zitiere in diesem Zusammenhang immer gern Pippi Langstrumpf. Juen: "Thomas und Annika sagen: Der Sturm wird stĂ€rker. Und Pippi sagt: Wir auch!“

Übersetzt heiße das: „Das Virus stellt uns vor immer neue Herausforderungen, aber gleichzeitig haben wir auch immer neue Möglichkeiten, dagegen anzugehen.“

Man mĂŒsse den Leuten eine lĂ€ngerfristige Perspektive geben, meint Juen. Sie zitiert eine Untersuchung aus den USA, bei der mit verschiedenen Grafiken zu Mutationen gearbeitet wurde. Bei einer Variante sei ein viel lĂ€ngerer Zeitraum aufgemacht worden. Es sei auch gezeigt worden, wie nach dem ersten Anstieg die Impfung nach und nach Wirkung zeigt. Auf diese Grafik hĂ€tten die Leute wirklich reagiert, mit einer höheren Bereitschaft, sich an die Maßnahmen zu halten.

„Die schlechten Nachrichten sind den Leuten wirklich zumutbar“, ist Juen ĂŒberzeugt, „man muss es ihnen nur sagen und damit holt man sie auch eher ins Boot als wenn man sie immer nur fĂŒr die nĂ€chsten zwei Wochen vorbereitet un ihnen irgendwelche Dinge verspricht, die man dann wieder nicht hĂ€lt. Und dann kommt wieder die neue schlechte Nachricht, das halten die Leute kaum mehr aus.“

Dass "Modell Fossi"

Jetzt bleibt nur noch eine Frage ĂŒbrig: Sind der Politik schlechte Nachrichten zumutbar?

Peter Filzmaier spricht zunĂ€chst „als BĂŒrger“ und gibt zu Protokoll, dass die Aussagen von Valipour und von Laer ihn "mit Sorge, wenn nicht sogar mit Angst" erfĂŒllen. Als Politikwissenschafter ist er aber schnell wieder bei den „UnzulĂ€nglichkeiten in der Politik“. Er sieht eine gewisse Scheu, unangenehme Wahrheiten auszusprechen und konstatiert, dass die Experten am Beginn der Pandemie mehr eingebunden worden seien.

Jetzt spricht er von einem „Modell Fossi wie in den USA“.

Sind wir jetzt nach Pippi Langstrumpf bei der „Sesamstraße“ angelangt?

Nein, Filzmaier hat nur den US-Chefimmunologen Antony Fauci mit "Fossi" ausgesprochen und nicht, wie sogar in den USA ĂŒblich, mit „Fautschi“.

Jedenfalls habe Fauci die Aufgabe, auch unangenehme Wahrheiten auszusprechen und das habe man in Österreich „dann doch nicht“ gewollt, meint Filzmaier. Fauci habe „auch einmal gesagt, er ist nicht dazu da, die BehĂŒbschung von inhaltlich auf schwachen Beinen stehenden Politikeraussagen zu betreiben.“

Popper will sich unbeliebt machen

Simulationsforscher Niki Popper, der seine Modelle fĂŒr Regierungsentscheidungen aufbereitet, könnte sich nun auf den Schlips getreten fĂŒhlen, reagiert aber diplomatisch: „Ich hoffe, dass wir uns hinreichend unbeliebt machen.“

Reiterer fĂŒgt sĂŒffisant hinzu: „Ich bin mir sicher, dass das so ist.“

Popper: „Ich bin eher zufrieden, wenn ich sagen kann: Heute hab ich mich unbeliebt gemacht, aber das richtige gesagt. Aber nicht wegen des Unbeliebtseins per se natĂŒrlich, sondern, um auf wichtige Aspekte hinzuweisen.“ Entscheiden mĂŒssten aber die Politiker, sagt Popper, "wir können nur die Grundlagen liefern."

"An der UniversitĂ€t kann man sich leichter unbeliebt machen als in der Politik", sagt von Laer mit einem leichten Schmunzeln. Sie erklĂ€rt damit, warum sie es war, die Anfang Februar eine Abschottung Tirols empfahl und nicht die Spitzen der Bundesregierung. FĂŒr Anschober sei der Kontakt zur Landesregierung damals "wohl auch nicht einfach" gewesen, sagt die Virologin. Ob sie zur Warnung vor der SĂŒdafrika-Mutation vorgeschickt wurde oder ob sie das aus eigenem Antrieb tat, lĂ€sst sie aber offen.

Misstrauisches BeÀugen

Die Politik solle durchaus streiten, findet Filzmaier, aber eher mit der Opposition, die ihre Kontrollfunktion auch in einer Pandemie wahrnehmen mĂŒsse. Er sehe aber „einen Streit auf anderer Ebene, bei den BemĂŒhungen um gemeinsame Kommunikation.“ Das Motto dabei sei: „Die schlechten Nachrichten soll immer der jeweils andere verkĂŒnden.“

Wenn Bundeskanzler Sebastian Kurz neben dem Wiener BĂŒrgermeister Michael Ludwig stehe, spĂŒre Filzmaier „fast körperlich das misstrauische BeĂ€ugen, dass der andere das fĂŒr eine mediale Inszenierung nutzen könnte.“

Auf Expertenseite meint Juen, man solle „sich als Expertin nicht zu wichtig nehmen“ und stets im Kontext mit anderen Expertinnen und Experten agieren. Popper weist darauf hin, dass es „in der Historie nicht so beliebt war in Österreich, dass alle untereinander Daten austauschen“, hier brauche es „noch klarere Strukturen“.

„Da hĂ€tte ich jetzt gern den Gesundheitsminister gehört“, sagt Reiterer, „vielleicht hört er ja zu.“

Vielleicht liest er sogar hier mit.

Keine guten Aussichten fĂŒr AprĂšs Ski

Am Schluss gibt es wieder schlechte Nachrichten.

Von Laer erklĂ€rt, dass eine Durchimpfungsrate von 70 bis 80 Prozent, die oft kolportiert werde, wahrscheinlich nicht fĂŒr vollkommene NormalitĂ€t ausreiche. „Herr Fauci hat einmal sogar 90 Prozent angenommen“, erklĂ€rt sie.

Die Virologin sagt ĂŒbrigens „Fautschi“.

Die genaue Zahl hĂ€lt sie nicht fĂŒr „momentan nicht wichtig. Ich glaube, wir brauchen eine Zahl, wo wir zu einem normalen Leben mit leichteren EinschrĂ€nkungen zurĂŒckgehen können.“

Dass man AprĂšs-Ski-Bars öffnet und „diese Partystimmung so lebt, wird eine Weile lang nicht möglich sein.“ Ein normales Wirtschaftsleben werde bei einer ImmunitĂ€tslage von 60 bis 70 Prozent hingegen möglich sein.

Filzmaier fĂŒgt an, dass die Impfbereitschaft zwar gestiegen sei, aber immer noch unter 50 Prozent liege. AnknĂŒpfend an von Laer spricht er noch eine Bitte an die Politik aus: „Man sollte aufhören das Bild zu kommunizieren: Es gibt einen Tag X, wo sich jemand hinstellt, vorzugsweise ein Politiker, und verkĂŒndet: So und jetzt ist die Pandemie vorbei.“

Die gute Nachricht in der schlechten Nachricht hat Popper: „Wir impfen ja nicht nur, um die Ausbreitung zu verhindern, sondern um die schweren VerlĂ€ufe zu verhindern. Und dieses Ziel können wir sehr zeitnah erreichen. Allerdings, und da sind wir wieder bei klaren Entscheidungen: Wenn wir die richtigen Leut‘ impfen, nĂ€mlich die, die schwer erkranken.“

LINK: Die Sendung zum Nachschauen

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