Interspot-Gründer Klingohr: "Mit Fernsehen kann man wirklich etwas bewegen“
Der Schlüssel zum Erfolg, sagt Rudolf Klingohr, „liegt in der Liebe, Hingabe und Neugierde“. Klingohr hat mit seiner Interspot Film preisgekrönte „Universum“-Dokumentationen ebenso produziert wie die Reality-Show „Taxi Orange“, die „Seitenblicke“ und Hansi-Hinterseer-Abende. Nun hat er die Platin-ROMY für sein Lebenswerk bekommen – und blickt im Interview zurück auf die Anfänge im Business.
KURIER: Entschuldigen Sie die vielleicht banale Einstiegsfrage, aber: Warum kennt man Sie als Purzl?
Rudolf Klingohr: Ich bin in die Textilschule für Musterzeichnen gegangen. Mir war damals gar nicht so bewusst, dass das als reiner Frauenberuf galt. Und dann war ich da der Hahn im Korb. Eines Tages sagte eine Mitschülerin: Wir könnten zu dir Purzi sagen. Und weil ich inzwischen doch schon älter bin, wurde daraus Purzl.
Wie wird man von der Textilschule aus Filmproduzent? Das scheint doch weit weg voneinander.
Ich habe die Schule nicht fertig gemacht! Ich habe eine Zeit in Paris mit vielen Künstlern gelebt und in Wien dann in Lokalen gearbeitet. Das hat die Qualität meiner Noten so sehr gesenkt, dass ich aufgehört habe.
Gab’s da keine Probleme mit den Eltern?
Ich war schon immer so. Mit fünf Jahren bin ich das erste Mal von zu Hause ausgerissen. Ich habe mich immer durchgeschlagen. Vor der Schule arbeitete ich als Pferdebursch bei den Fiakern und habe dementsprechend gerochen. Wenn jemand gefragt hat, habe ich gesagt: Ich war heute schon ausreiten.
Jetzt sind wir immer noch nicht beim Film!
Ich kannte jemanden, der sich bei der Filmakademie bewarb. Und ich ging einfach mit, obwohl ich noch nie einen Fotoapparat in der Hand gehalten hatte. Bei der Prüfung habe ich dann gesagt, ich fotografiere seit meinem achten Lebensjahr (lacht). Dann hab ich mir eine Kamera ausgeborgt und als Thema zwei Wiener Höfe gemacht: Die Hofburg, und ein Hof, der damals abgesiedelt wurde. Da lagen tote Tauben auf dem Boden. Und das hatte wenigstens eine Story drinnen.
Und das reichte?
Bei der Prüfung fragte mich ein Professor, ob ich wisse, wer die Brüder Jacquard sind. Das wusste ich von der Textilschule – Webstühle! Das hat dem Professor so gefallen, dass ich aufgenommen wurde.
An der Akademie war es dann besser als in der Textilschule?
Ich war selten dort! Ich habe in vielen Sparten der Film-Industrie gearbeitet, um so in der Praxis zu lernen.
Wir sind gerade zeitlich in den 60er Jahren. Verzeihen Sie meine Ignoranz, aber vom nennenswerten Filmschaffen aus der Zeit fällt mir Peter Alexander ein, und sonst nicht viel. Welche Praxis macht man da?
Damals hat es nur relativ billige Unterhaltung gegeben! Der Franz Antel hat Filme gemacht, aber sonst ... Die Highlights waren, wenn internationale Produktionen gekommen sind. Da war man gerne dabei. Ich war beim Dreh von „Sound Of Music“ der letzte Assistent. Ich habe die Materialkassetten vom Studio in die Dunkelkammer getragen. Und ich habe einen eigenen Film gedreht, „Sprung über die Sonne“, der dann in Oberhausen gelaufen ist, was mir als Student aber gar nicht erlaubt war.
TV-Produzent
Rudolf Klingohr (Jahrgang 1944) gründete 1969 die Interspot Film, die zu einer der größten Filmproduktionsfirma des Landes heranwuchs und für Naturdokus (etwa „Die Stubenfliege“), „Seitenblicke“, „Taxi Orange“ und mehr bekannt wurde. Zahlreiche Produktionen der Interspot wurden national und international ausgezeichnet
Architektur
Klingohr widmete sich zuletzt prägenden heimischen Architekten. Heute, Sonntag, um 9.05 Uhr, sendet ORF 2 „Otto Wagner – Visionär der Moderne“
Oje, gab es da wieder Ärger?
Ich stand vor dem Rauswurf! Weil ich so selten dort war. Aber ich sagte: „Jeder hat das Recht, in dem Jahrgang einen Übungsfilm zu machen“, und ich forderte das nun zum Abschied. Geplant habe ich einen Film über die Herstellung eines Betonziegels. Mein Vater war damals Betriebsleiter der Ebenseer Betonwerke. Mein Freund, der Literat Konrad Bayer, hatte aber die Idee, wir gehen zur Schule nahe der Stubenbastei, da machen die Buben immer eine Schneeballschlacht. Stellen wir uns mit einer im Karton versteckten Kamera hin und schauen, was passiert.
Und, was passierte?
Einer der Buben kam zu uns und fragte: „Warum verstecken Sie da die Kamera im Karton?“ (lacht) Wir gingen mit ihnen in den nahen Stadtpark und dort drehte ich die Schneeballschlacht. Ich hatte so ein schlechtes Gewissen! Konrad Bayer war in Rage, führte Regie und rief: „Reißt’s dem die Brille runter!“ Ein Bub mit dicken Gläsern. Der hat dann einen Polizisten geholt. Mein letztes Bild war der Polizist: Mit dem Buben an der Hand deckt er die Kamera ab. Dann habe ich die Kamera abgegeben und bin nicht mehr in die Akademie gegangen, weil ich wusste: „Jetzt ist es erledigt.“
Und war es das?
Bis nach Tagen ein Mitschüler zu mir kam und fragte: „Wieso kommst du nicht in die Schule? Du bist der größte Dokumentarfilmer seit dem Flaherty!“ Das war der, der „Nanuk, der Eskimo“ gedreht hatte. Alle waren begeistert von dem Film. Ein Professor, der mich raushauen wollte, fiel mir um den Hals!
Das ebnete den Weg ins Filmgeschäft?
Nein. Die Produzenten wollten die Absolventen der Filmakademie gar nicht. Und dann habe ich angefangen, als Kameramann Werbespots zu drehen. Doch das war für mich nicht befriedigend.
Warum?
Ich drehte einmal in Innsbruck einen Spot: Zwei Caballeros zu Pferd, angereist aus Südamerika, überfallen ein Geschirrgeschäft, weil sie unbedingt das Besteck von dort wollten. So ein Schmarrn. Aber Geld spielte keine Rolle. Und ich dachte, das mache ich selbst, und gründete die Interspot Film. Aber Werbespots waren nicht meins, ich bin ausgestiegen – und fing mit Dokumentationen an. Und merkte: Mit Fernsehen kann man wirklich etwas bewegen. Meine erste ORF-Doku war „Das Ende der Hirten“, eine Doku über die Dürrekatastrophe in der Sahara.
Aber Dokus bringen weniger Geld als Werbung.
Der Firma ist es manchmal ganz schlecht gegangen! Nach zwei Jahren habe ich meine Frau geheiratet, die dann Ordnung hineingebracht hat. Ich war im Chaos. Ich hab nicht einmal den Postkasten aufgemacht. Ich bin meiner Frau sehr dankbar. Meine Theorie war immer: Ich gebe das Geld vorne aus, und durchs Hintertürl kommt es wieder herein. Das ist eine gute Theorie, aber es stimmte nicht immer. (lacht)
Wann waren Sie über den Berg?
Es gab den Moment, an dem wir schuldenfrei waren. Da trat ein Großkonzern an uns heran, ob wir verkaufen wollten, aber wir machten weiter. Und jemand hat mir dann empfohlen, Naturfilme zu machen.
Dann kam die Fliegen-Doku.
Zuerst haben mich alle gefragt, ob ich verrückt bin: einen 45-Minüter über eine Stubenfliege! Das wurde eine Zeit lang der meistverkaufte Film weltweit aus Österreich. Die BBC hat ihn angekauft, als ersten Film aus Österreich, und einen famosen Text dazu gemacht. Damit kriegt man einen Namen.
Und dann waren Sie plötzlich der Etablierte.
Na ja, da gab es natürlich viele Projekte, wie „Universum“-Dokus in den verschiedensten Ländern wie Alaska, Australien, Afrika, Indien, Mexiko, Venezuela, wo ich auch teilweise in extremen Situationen dabei war. Musikshows mit fast allen Stars der österreichischen Pop-Szene, Sendungen wie „Musik aus Österreich“ und jahrelang die erfolgreiche „Hansi Hinterseer Show“, „Frisch gekocht“, die Modesendung mit Burgi Schneider-Manns Au und natürlich seit 1997 „Seitenblicke“. Und da haben wir uns auch seit Beginn für „Licht ins Dunkel“ engagiert und bisher fast sechs Millionen Euro an Spenden erzielt. Es gab immer wieder andere Firmen, die wie eine Rakete aufgestiegen sind. Mein älterer Sohn hat einmal gesagt: „Die anderen überholen uns alle.“ Ich antwortete: „Ja, das ist so. Lass sie uns überholen, es ist egal, wir holen sie wieder ein.“ Und so war es auch. Alle Investitionen haben letztendlich Sinn gemacht.
War auch der Zirkus eine gute Investition?
Nein! Es war ein Abenteuer, sehr kritisch, da der Zirkus vor der Pleite stand. Aber glücklicherweise konnten wir den Zirkus verkaufen. Ich habe eine „Hansi-Hinterseer-Show“ mit dem Zirkus gemacht und ich hab zwei Zirkuswägen. Meine Bank war glücklich, dass das überstanden war. 2000 haben wir uns entschieden, das Grundstück, auf dem jetzt unsere Studios stehen, mit Hilfe unserer Hausbank zu kaufen und zu bauen. Ein Riesenaufwand, da wir gleichzeitig übersiedeln mussten und auch „Taxi-Orange“ im alten Studio produzierten, eine Produktion, die alles abverlangte.
Und fiel es Ihnen schwer, die Interspot Film Ihren Söhnen zu übergeben?
Das war eine Notwendigkeit. Ich habe angefangen, für Dietrich Mateschitz zu produzieren. Und damals wäre der ORF noch sauer geworden, wenn man für jemanden anderen gearbeitet hat. Und so habe ich eine eigene Firma gegründet und die Interspot Film meiner Frau und meinen Söhnen übergeben. Und ich bin stolz auf meine Söhne, denn sie arbeiten hervorragend, haben neue Projekte an Land gezogen, weiter ausgebaut und auch die Corona-Epidemie hervorragend gemanagt.
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