Emmys: Ich bin’s, dein Computer - Streaming siegt gegen TV
Das Fernsehen galt – zu Zeiten von „Wetten, dass ..?“, „Dallas“ oder „Sex And The City“ – als gesellschaftliches Lagerfeuer: Hier versammelten sich die Menschen Abend für Abend vor dem selben Programm, über welches sie sich am nächsten Tag austauschen konnten.
In der Pandemie hatte jeder sein eigenes Lagerfeuer, und es kam aus dem Internet.
Denn der Bedarf an Unterhaltung und Ablenkung wurde in den vergangenen Monaten zunehmend mit Streamingfernsehen gefüllt. Es gab Millionen neuer Abos, vor allem die Jungen wandten sich noch mehr vom Fernsehapparat ab. Wie sehr, das zeigen nun die Emmys, die wichtigsten Fernsehpreise der Welt: Dort gab es den Durchmarsch der Streaminganbieter.
Emmys: Streaming schlägt Fernsehen, Netflix schlägt Apple TV+
Das reguläre Fernsehen – das mit der Fernbedienung – ist bei der Preiswürdigkeit völlig abgemeldet.
Kein Wunder. Denn die Streamingdienste wie Netflix, Amazon Prime Video oder Disney+ werfen Milliardenbudgets auf neue Serien und Filme. Netflix ist inzwischen größter Auftraggeber für europäisches Bewegtbild, noch vor der BBC und dem ZDF. Und in den USA versuchen sich die Anbieter gegenseitig mit Hochglanzproduktionen zu übertrumpfen.
Das Ergebnis: Der Streaming-Platzhirsch Netflix hat bei den Emmys 44 Preise eingeheimst (die wichtigsten davon wurden in der Nacht auf Montag in Los Angeles verliehen). HBO, der mächtige Kabelanbieter, der aber angesichts der rapide absinkenden Kabel-TV-Abonnentenzahlen selbst zunehmend zum Streamingservice wird, hat es gerade mal auf 19 geschafft.
Dafür hat AppleTV+, kaum zwei Jahre alt, bereits jetzt eine Hauptkategorie für sich entschieden: „Ted Lasso“, die wunderbar tiefenentspannte Serie rund um einen Football-Trainer in einem Fußball-Club, wurde zur besten Komödie gekürt.
Als beste Dramaserie ausgezeichnet wurde die Netflix-Produktion „The Crown“, die mittlerweile in der vierten Staffel vom Alltag des britischen Königshauses erzählt. Olivia Colman wurde für ihre Darstellung der Queen gewürdigt. Und auch die beste Mini-Serie stellte heuer – Überraschung – der Streamingriese Netflix: „Das Damengambit“ mit Anya Taylor-Joy als Schachgenie hatte im Vorjahr einen regelrechten Schachboom ausgelöst.
Damit wurde das ausgezeichnet, wovon sich ein inzwischen weltweites Publikum durch die Pandemie hindurch unterhalten ließ. Auch wenn Österreich (noch) ein TV-Land bleibt: Die Zukunft des Fernsehens ist auch hier vorgezeichnet und hat in gewissen Segmenten längst begonnen.
„Wenn wir mehr Budget reservieren, bleiben wir relevant“
KURIER: Wie lässt sich die Tatsache, dass bei den Emmys heuer in erster Linie Streamingdienste ausgezeichnet wurden und kaum noch klassische TV-Anstalten, auf Österreich und Europa übersetzen?
Kathrin Zechner: Ich denke nicht, dass sich das auf Österreich und Europa so leicht übertragen lässt. Nicht nur waren die Streamer bei den Emmys mit deutlich mehr (fiktionalen) Produktionen am Start als die Networks, sondern auch in einer unglaublichen Vielzahl an Kategorien pro Produktion nominiert. In diesem Fall macht es die Masse. Allerdings entsteht hier Masse auch durch deutlich höheres Investment. Insofern kann man sagen: Wenn wir mehr Budget für hochwertige, spannende, innovative Programme reservieren, werden wir auch sichtbar und relevant bleiben.
Was für eine Rolle kann Europa da künftig spielen?
Der ORF und die europäischen öffentlich-rechtlichen Sender bieten viel mehr als jeder Streamingdienst. Information, Sport, Unterhaltung, Kultur und Fiktion sind die wichtigsten Säulen der Programme. Dazu kommt noch die Regionalität, die für das Selbstverständnis eines Landes ganz essenziell ist. Interessanterweise können gerade diese sehr regionalen fiktionalen Produktionen international immer wieder punkten, wie zum Beispiel „Das Wunder von Kärnten“, das 2014 mit dem iEmmy ausgezeichnet wurde.
Wie werden die heimischen TV-Sender nun reagieren müssen?
Die Auszeichnungen selber haben keine unmittelbare Auswirkung. Es gibt allerdings mittlerweile eine Auswirkung auf die Programme, die wir unseren Zuschauern zugänglich machen können, da die Streamingdienste ihre Eigenproduktionen nicht, kaum oder nur mit großem zeitlichen Abstand lizenzieren. Als Antwort darauf ist einerseits mehr Zusammenarbeit mit unseren europäischen Partnern im Rahmen von Koproduktionen oder Programmaustäuschen gefragt, andererseits Investition in originäre Programme.
Und Streaming ist erstaunlich voll von regionalen Inhalten. Doch vor zuviel Vielfalt muss sich auch der konservative TV-Seher nicht fürchten: Nicht nur der Siegeszug des Streamingfernsehens war bei den diesjährigen Emmys beachtlich, sondern auch, wie weiß die Preisverleihung ist. 44 Prozent der Nominierten in den Schauspielkategorien waren BIPoC (Black, Indigenous & People of Color) – die Preise für Haupt- und Nebenrollen gingen jedoch ausschließlich an weiße Darsteller.
Eine der wenigen Schwarzen Filmschaffenden, die am Sonntagabend einen Preis entgegennehmen durfte, war Michaela Coel. Ihre viel beachtete, semiautobiografischen Serie „I May Destroy You“ über die Folgen einer Vergewaltigung war vier Mal nominiert gewesen, konnte sich aber nur in der Kategorie Drehbuch durchsetzen. „Schreibt die Geschichte, die euch ängstigt, die euch unangenehm ist“, riet sie in ihrer mit Standing Ovations bedachten Rede.
Netflix
Ab 7,99 Euro monatlich (günstigstes Abo-Modell) kann man sich auf Computer, Fernseher, Handy und Tablet Serien wie „The Crown“ (insgesamt 11 Emmys) und „Das Damengambit“ (ebenfalls 11 Emmys) ansehen
Sky
Serien des US-Senders HBO sind hierzulande in der Regel via Sky verfügbar, darunter „Mare of Easttown“ (4 Emmys) und „I May Destroy You“ (1 Emmy). Abos gibt es ab 12,50 Euro monatlich
Apple TV+
Die Comedy-Serie „Ted Lasso“ (7 Emmys) ist bei AppleTV+ verfügbar, neue Folgen der aktuellen zweiten Staffel erscheinen immer freitags. Das Abo kostet 4,99 Euro
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