Dopingsünder Hauke in ORF-Talk: "Irgendwann war eine Lücke da"

Nach dem Skandal: Max Hauke (Mitte) und Dominik Baldauf bei der ORF-Diskussion "Im Zentrum"
"Im Zentrum" beschäftigte sich mit der Doping-Problematik. Statt Lösungen brachte die Diskussion viel Aggression zum Vorschein.

*Disclaimer: Das TV-Tagebuch ist eine streng subjektive Zusammenfassung des TV-Abends.*

"Wir haben Werte. Ich habe auch Werte." - Nein, der ehemalige ÖSV-Sportdirektor für Langlauf und Biathlon, Markus Gandler, meinte nicht Blutwerte oder Dopingwerte, sondern sprach am Sonntagabend bei der TV-Diskussion "Im Zentrum" von anderen Werten. Von einer "Kultur in Österreich", den anderen ausreden zu lassen. Der nach den jüngsten Dopingvorfällen zurückgetretene ÖSV-Funktionär hatte sich zuvor darüber beschwert, vom deutschen Sportjournalisten Hajo Seppelt unterbrochen worden zu sein. 

Dass TV-Diskussionen in Österreich von höherer Gesprächskultur getragen sind als in Deutschland, wäre eine neue Information.

Am Sonntagabend wurde über Werte im Sport diskutiert, unter einem wohl witzig gemeinten Titel: "Sp(r)itzensport – Geht’s nicht ohne Doping?"

Für zwei österreichische Langläufer ging es zuletzt offenbar nicht. Max Hauke und Dominik Baldauf sind im Zuge einer Polizeirazzia bei der Nordischen Ski-WM in Seefeld des Blut-Dopings überführt worden. Und jetzt saßen sie ziemlich verloren auf der Gästetribüne im ORF-Studio.

"Hey, was tust du da?“

Hauke brachte auf den Punkt, was der Antrieb fürs Doping ist: Er sei im Juniorenbereich erfolgreich gewesen, Sechster bei einer Junioren-WM geworden. "Aber irgendwann war eine Lücke da, und ich habe im Endeffekt nur den Ausweg gesehen, dass das in Richtung Doping geht. Im Nachhinein würde ich am liebsten zu dem Max von damals zurückfahren und sagen: ‚Hey, was tust du da?‘“

Jetzt könne er es leider nicht mehr rückgängig machen, würde sich "am liebsten bei allen entschuldigen. Ich weiß, dass es ein Riesenfehler war, aber ich kann nicht zurückfahren."

Baldauf fügte an, er sei "mit gewissen Leuten in Kontakt" gekommen, "da ist man dann im Zwiespalt". Sie hätten die falsche Entscheidung getroffen, um sich ihren "Kindheitstraum", nämlich gute Ergebnisse im Langlauf, zu erfüllen. Die Heim-WM in Seefeld sei dabei ein besonderer Antrieb gewesen.

Hauke: "Ich wollte zeigen, was in mir steckt, dass ich auch kann, was alle anderen können."

"Bin sogar erleichtert gewesen"

Das Leben mit der Lüge habe zu innerlicher Zerrissenheit geführt, sagte Baldauf. Er sei nach dem Auffliegen "zu einem gewissen Teil sogar erleichtert gewesen", darum habe er die Manipulationen nicht weiter abgestritten, obwohl in seinem Fall kein eindeutiger Beweis vorgelegen sei.

Dann stellte Moderatorin Claudia Reiterer geradezu kriminalistische Vernehmungsfragen:

"Wie oft haben Sie beide gedopt?"

Baldauf: "Das ist eine schwierige Frage."

Es war vor allem eine unangenehme Frage, die man in einem laufenden Verfahren nicht gerne beantwortet. Hauke sagte aber, es sei vor allem um die Heim-WM gegangen.

"Wieviel haben Sie bezahlt an dieses Netzwerk?"

Hauke erklärte, bei der Einvernahme "bereits alles ausgesagt" zu haben. Für Baldauf ist es "auch nicht das Hauptthema". Er nahm seine Kollegen und die ÖSV-Funktionäre in Schutz, diese hätten davon nichts gewusst. Von einem "System Doping" könne man in Österreich nicht sprechen.

Zum Thema Johannes Dürr wollten die beiden erst recht nichts sagen. An diesem Punkt verwiesen sie an ihren Anwalt. Der saß gleich daneben und fügte noch an, man müsse Mensch und Sportler trennen. Zwei junge Männer hätten einen Fehler gemacht, aber dennoch eine Zukunft verdient.

Schlagabtausch

Erst jetzt ging es mit der eigentlichen Diskussion los, und diese war vor allem ein Schlagabtausch zwischen Gandler und Seppelt.

Der geschasste ÖSV-Sportdirektor räumte zunächst mit den jüngsten Verschwörungstheorien des ÖSV-Präsidenten Peter Schröcksnadel auf, diese könne er "nicht teilen".

Vor allem gab er den Zerknirschten, es seien einfach "zu viele Fälle gewesen". Er sei 2002 angetreten, "dem Langlauf neues Leben einzuhauchen", aber was den Kampf gegen Doping betrifft, sei ihm "nicht viel gelungen". Gandler ließ sogar anklingen, er hätte vielleicht schon 2006, nach dem Dopingskandal von Turin, Konsequenzen ziehen sollen. Als die Kriminalpolizei ihm das Beweisvideo gegen Hauke vorspielte, hätte er "nicht geglaubt, dass so etwas möglich ist" - nach all den Fällen. Der Schock sitze "noch tief".

"Täter und Opfer gleichzeitig"

Doping-Experte Seppelt, der mit einer ARD-Doku und Aussagen von Ex-Langläufer Dürr die aktuellen Ermittlungen ins Rollen gebracht hatte, beschäftigte sich zunächst mit den Sportlern. Menschen im Hochleistungssport würden "mit zwei Persönlichkeiten an den Start gehen". Das müsse er er jetzt auch im Fall von Dürr einsehen. Er habe es auch nicht fassen können, dass er, der nunmehrige Kronzeuge zum Doping-Netzwerk, selbst damit weitergemacht habe.

Diese Sportler seien "Täter und Opfer gleichzeitig". Sie stünden an einer Weggabelung, die er folgendermaßen beschrieb: "Es fehlt nur noch ein bisschen, um nicht etwa nur Zehnter, Zwölfter oder Fünfzigster zu werden, sondern möglicherweise Olympiasieger. Davon hängt eine Menge in einer Biografie ab." Am Ende müsse sich aus der Sicht des Athleten das ganze zeitliche Investment doch irgendwie auszahlen. Er nannte es den "Schritt über die rote Linie": Es stelle sich die Frage: "Gehe ich da auch noch drüber?"

Die Sportler seien für ihn "keine Hochkriminellen". Er sehe eine "hoch moralisierte" Debatte, die der Problematik nicht gerecht werde und eine "unglaubliche Heuchelei".

Jetzt nahm er sich Gandler vor: "Und was ich am Allerschlimmsten finde: Dass Funktionäre und Menschen wie Sie erzählen wollen, dass sie das nicht mitbekommen haben können, was da abläuft." Er, Gandler, müsse doch etwas von Leistungsdiagnostik verstehen.

An diesem Punkt vergaß Gandler offenbar kurz die österreichische Kultur des Ausreden lassens und unterbrach Seppelt: "Sie reden da in einem Fluss weiter ..."

Seppelt: "Genau so ist es, ich rede in einem Fluss."

Gandler: "Punkt für Punkt, was werfen sie mir vor? Leistungsdiagnostik? Oder, dass ich wegschau‘?"

Seppelt: "Genau so ist es. Ich glaube, dass sie wegschauen."

Dann gab es ein Geplänkel darüber, ob ein Sportdirektor sich überhaupt die Leistungswerte anschauen müsse oder nicht.

Gandler fragte Seppelt: "Wo ist der Leistungssprung bei Max Hauke? Wo war er plötzlich viel besser?"

Seppelt: "In den letzten Wochen gab es durchaus interessante Platzierungen."

Gandler wollte zunächst seine Unterlagen herausfischen, dann war er aber doch der Meinung, dass Seppelt das selbst belegen müsse.

"So kann man nicht diskutieren, Frau Reiterer", sagte Gandler.

"Doch, kann man", sagte Seppelt.

Ewiger Kreislauf

Reiterer wollte diese Frage nicht klären, sondern sagte: "Jetzt hole ich Sie beide rein“.

Damit waren nicht etwa Hauke und Baldauf gemeint, sondern zwei Mitdiskutanten, die auch noch da saßen: Ines Geipel, eine ehemalige DDR-Leichtathletin und Doping-Expertin, und Philipp Trattner, Sektionschef im Sportministerium und Kuratoriumsvorsitzender in der Nationalen Anti Doping Agentur (NADA).

Geipel sprach von einem "seltsamen Gesellschaftsspiel", das sich ständig wiederhole. "Die Chemie verändert sich", aber die Diskussion bleibe die gleiche. Dieser Kreislauf müsse einmal beendet werden. Man müsse die "kaputten Menschen ins Bild rücken" und nicht nur die Menschen auf der Siegerstraße.

Trattner sprach von Prävention, man müsse vor allem den Nachwuchsathleten erklären, dass Doping auch schwere gesundheitliche Schäden nach sich ziehe. Der Sektionschef sprach von einem "mafiösen Konstrukt" und einem Geschäftsmodell, das mit dem Drogenhandel vergleichbar sei. Die "Operation Aderlass" sei nur dadurch möglich gewesen, weil NADA, BKA, die Behörden in Deutschland und die Staatsanwaltschaft in Tirol zusammengearbeitet haben.

Nur zeigen, was "gut für den Sport" ist

Nach diesem kurzen Intermezzo ging der Streit zwischen Gandler und Seppelt unvermindert weiter. Es ging unter anderem um einen Ex-ÖSV-Cheftrainer, dem Seppelt Nähe zu früheren Dopingsündern vorwarf.

Dann wurde Gandler untergriffig: "Mit ihren Sendungen werden wir es nicht schaffen." Die Recherchen würden ins Bundeskriminalamt gehören und "nicht in die öffentlich-rechtlichen Sender", meinte GandlerSeppelt zeige nur die Schattenseiten und das sei "nicht gut für den Sport".

Der ARD-Journalist konnte offenbar nicht glauben, was für ein Verständnis von österreichischer Kultur er da eben gehört hatte. "Journalismus soll im Fernsehen nicht Dinge aufzeigen?", fragte er. "Und soll ich nur Dinge machen, die ‚gut für den Sport‘ sind?"

Gandler: "Irgendwo sag‘ ich: Schon."

Kurzer Zwischenruf von dieser Seite: Gut, dass Personen wie Gandler und Schröcksnadel sich nicht aussuchen können, was in den Medien berichtet wird.

Und zum Glück erklärte Reiterer diesen Diskussionsstrang kurzerhand für beendet.

IM ZENTRUM: Sp(r)itzensport - Geht's nicht ohne Doping?

Eine Vernehmung live auf Sendung

Seppelt fasste dann Funktionsweise und Risiko des Dopingsystems recht gut zusammen: "Wenn Doping auffällt, ist es geschäftsschädigend, weil es den Sport unattraktiv macht. Fällt Doping nicht auf, dann profitieren alle."

Die Rolle des lästigen Spielverderbers schien Seppelt an diesem Abend so richtig auskosten zu wollen. Er sprach Gandler noch direkt auf das legendäre Staffel-Gold bei der Heim-WM in der Ramsau an. Gandler war damals, 1999, Teil des siegreichen ÖSV-Kleeblatts.

Seppelt: "Also, Sie haben nie mit EPO gedopt?"

Gandler: "Nein."

"Mit anderen Substanzen?" (Irgendetwas zwischen Staunen und Lachen im Publikum)

"Nein."

"Haben Sie etwas mitbekommen von Ihren Mannschaftskollegen damals?"

"Nein, … nein."

Streckenweise ähnelte "Im Zentrum" mehr einer Zeugeneinvernahme als einer Diskussionssendung.

Schlussfolgerungen

Am Schluss waren noch schnelle Lösungen gefragt: Gandler plädierte für “harte Mittel“ gegen überführte Doper – neben Aufklärung.

Sektionschef Trattner fand es ebenfalls gut, dass in Österreich das Strafgesetzbuch für Doping zuständig sei, schließlich hätten diese Sportler "eine Grenze überschritten“. Wichtig für die Ermittlungen sei die internationale Kooperation.

Seppelt stimmte grundsätzlich zu, denn: "Der Sport kann sich nicht selbst kontrollieren." So laufe es aber seit Jahrzehnten, was zu "Interessenskollisionen" führe.

Ex-DDR-Athletin Geipel plädierte dafür, zuallererst die Athleten zu fragen, was sie brauchen. Und sie zitierte noch einmal den gefallenen Sportler Johannes Dürr: "Reden, reden, reden."

Das darüber Reden hat bei Dürr selbst aber offenbar nicht gefruchtet.

Am Sonntagabend wurde ebenfalls viel geredet. Dass der Doping-Kreislauf in naher Zukunft einmal durchbrochen werden könnte, glauben nicht einmal Optimisten.

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