"Der talentierte Herr Strache": Kaviar "um höchstens 700 Euro!“

"Der talentierte Herr Strache": Kaviar "um höchstens 700 Euro!“
Auf ORF1 wurde die Ibiza-Affäre noch einmal umfassend aufgearbeitet. In Randbereichen wurde auch neues Material vorgelegt. Und Hessenthaler? Ist über Böhmermann "noch immer schockiert".

*Disclaimer: Das TV-Tagebuch ist eine streng subjektive Zusammenfassung des TV-Abends.*

Es scheint derzeit besonders viele „talentierte Herren“ im Land zu geben. Wenngleich nicht jeder gleich zum Mörder wird, wie „der talentierte Mr. Ripley“ von Patricia Highsmith.

ORF1 widmet sich seit einiger Zeit diesen talentierten Herren, wie dem untergetauchten Wirecard-Manager Jan Marsalek, oder dem Steuer-„Superhirn“ Werner Rydl. Mit dem „talentierten Herrn Schmid“ konnte man zudem lernen, „wie man sein Handy löscht“.

Nun war in dieser spannenden Reihe die Mutter aller hiesigen Skandale dran: Ibiza.

Die komplexe Geschichte wurde auf zwei „talentierte Herren“ aufgeteilt: Ex-FPÖ-Vizekanzler Heinz-Christian Strache und Julian Hessenthaler, den mutmaßlichen Hauptausführenden der Ibiza-Falle. Die Hessenthaler-Doku wurde bereits am 16. März gezeigt. 

Vom Zahntechniker bis zum Vizekanzler

Aufstieg und Fall Straches wurden schon oft nachgezeichnet, daher hoffte man in der Doku mit dem Untertitel "Wie man (s)eine Karriere zerstört" auf eventuell neue Details aus der noch immer nicht in allen Teilbereichen aufgeklärten Affäre, deren Akt laut WKStA mittlerweile 60.000 Seiten umfasst.

Zunächst ging es aber zurück zu den Zahnwurzeln. Strache erinnerte sich an seine Zeit als Zahntechniker, es sei „künstlerische Arbeit“ gewesen, Zähne zu modellieren, „die ganze Technik dahinter ist faszinierend“.

Auch die rechtsextreme Vergangenheit Straches im Wald wurde in der dreiviertelstündigen Doku von Marlies Faulend, Elisabeth Pfneisl und Hubertus Schwarz gestreift. Für Weggefährten Harald Fischl war es „Blödheit“, für Strache blieben nur „Anpatzungen“ übrig. Und so ist auch das Ibiza-Video aus Straches Sicht lediglich unvorteilhaft geschnitten. Allen bei dem berühmt-berüchtigten Treffen in der Finca gefallenen korruptiven Angebote habe er "klare Absagen" erteilt. "Das Leiberl war wahrscheinlich das peinlichste überhaupt an dem Abend", sagte Strache.

"Der talentierte Herr Strache": Kaviar "um höchstens 700 Euro!“

Den Ex-Weggefährten Johann Gudenus, Einfalls-Tor für die Ibiza-Falle, sah man seit Langem wieder einmal vor einer öffentlich-rechtlichen Kamera. Naturgemäß spielte er die rechtliche Tragweite des Videos herunter - trug er doch maßgeblich Mitschuld an dessen Zustandekommen.

Auch Andreas Mölzer erblickte "nichts Schreckliches" an der Nacht im Sommer 2017. Daher musste Journalistin Anneliese Rohrer gewohnt wortgewaltig ausrücken: „Sie reden sich immer aufs Strafrecht aus. Aber politisch war es unmöglich.“

Sie meint die Avancen bezüglich Kronen Zeitung, "den Verkauf der Republik" oder Straches „Huren“-Sager über Journalisten. Rohrer: „Er hat es einfach nicht zu sagen: Nicht unter Drogen, nicht unter Alkohol.“

Den Alkohol gab Strache bereitwillig zu, nicht aber die Drogen. Außer jene, die ihm in die Drinks gemixt worden seien, wie er ein weiteres Mal behauptete (unterlegt mit einem Gutachten). Das stellte wiederum Hessenthaler in Abrede (unterlegt mit einem Gutachten). Er sagte, es seien an dem Abend überhaupt keine Drogen im Spiel gewesen.

Fernduell mit Gudenus

In der ORF-Doku lieferten sich Strache und Gudenus wieder einmal ein Fernduell. Strache fand verdächtig, dass "Schlüsselperson" Gudenus "den Herrn Hessenthaler" und andere Beteiligte schon länger gekannt habe und ihn dann "dorthin geführt" hat. Gudenus dazu, lachend: "Es wäre ja absurd, zu sagen, es gab vor Ibiza keine Treffen. Denn wie hätte es sonst zu Ibiza kommen können?" Es tue ihm leid, dass sich "Herr Strache" hier "geistig völlig verrennt", dessen Konstrukt sei "hanebüchen".

Interessant auch die Typisierung des FPÖ-Führungspersonals. "Messias" Haider sei ein Intellektueller gewesen, aber illoyalm Strache sei kein Intellektueller, aber „ein guter Kamerad“ gewesen, meinte Mölzer. Rohrer wiederum erklärte, Strache sei ein Mittelding zwischen dem intellektuellen Haider und dem „Rabauken“ Kickl gewesen. Letzterer sei gar nicht so gescheit wie immer alle tun.

Dahingehend lieferte Straches Ex-Leibwächter Oliver Ribarich, der die Steine des Anstoßes für die Ibiza-Affäre brachte, andere Indizien. Er erzählte davon, wie nach Veröffentlichung des Videos die FPÖ-Granden beisammensaßen. Als Kickl hereinkam, soll es noch stiller geworden sein. Und der (damals noch) Innenminister habe sofort trocken analysiert: „So, das war’s.“

Es vergingen nicht einmal 24 Stunden, und die türkis-blaue Koalition war Geschichte.

Wie man eine Falle stellt

Ribarich war ab 2006 Chauffeur und Sicherheitsmann bei Strache, ein weiteres Mal schilderte er in der Doku, wie er 2013 im Kofferraum Sporttaschen voller Geld gefunden haben will. Mit den Beweisfotos und anderem belastenden Material sei er dann zum Ibiza-Anwalt M. gegangen. Der daraufhin mit dem Privat-Ermittler Hessenthaler einen Plan ausgearbeitet haben soll, wie man besonders glaubhaft darstellen könnte, wie Strache angeblich tickt.

Hessenthaler - er wurde während seiner U-Haft interviewt - erklärte in der Doku seine Methode: „Leute in gehobenen Positionen tragen A) zu 99 Prozent gewisse Komplexe mit sich herum, und sind B) gewöhnt, dass sie angehimmelt werden.“

Wenn man sie „infiltrieren will“, sei es "notwendig, sich auf die selbe Stufe mit ihnen zu stellen, wenn nicht darüber.“ Es gelte, „besonderes Desinteresse an ihnen zeigen.“ Das löse in den meisten Fällen aus, „dass sich diese Personen nach einer gewissen Zeit einem Konkurrenzkampf stellen“, sodass sie „ungefragt viele Informationen preisgeben.“

Kaviar "um höchstens 700 Euro!“

Was den Groll Ribarichs gegen Strache besonders verschärft haben dürfte, war seine Rolle als „Mädchen für alles“, wie er sagte. Nun legte er den Machern der ORF-Doku einige angebliche Einkaufslisten vor, genau genommen SMS, in denen Strache offenbar Wünsche für Ribarichs Botenfahrten mitteilte.

Man muss schon den Stream der Doku auf der TVthek stoppen, um das genau mitlesen zu können, mit welchen Spezialmissionen Bodyguard Ribarich anscheinend betraut wurde:

„Bitte bringe mir 6 Bierdosen! Wichtig! Danke“

„Bitte eine Kiste Moet Champagner beim Wein und Co kaufen. Wollen das am Abend im Geschäft einbunkern! Danke“

Oder: „Kannst du mir Kaviar besorgen! Um höchstens 700 Euro!“

Dazu wünschte Strache sich offenbar immer wieder alltägliche Dinge wie „Gummibärli“, „procutto“ und „Gauda“ (sic).

Einmal fragt Ribarich: "12 Dosen Hundefutter? Bin mir in der Sekunde nur nicht sicher wie ich diese Liste mit lediglich 2 Händen abarbeiten soll."

Strache demnach: "Oder 8 - 350g ... Ist nicht so viel"

„Zu jeder Tages- und Nachtzeit rauschten die Einkaufslisten herein“, sagte Ribarich, und es seien immer mehr geworden, „unglaublich!“

Bezahlt haben will Ribarich das selbst, abgerechnet wurde dann über die Partei. Ob diese das von Strache zurückgefordert habe, wisse er nicht. Die sogenannte „Spesenaffäre“ ist eines von elf Verfahren, die nach Ibiza auf Strache zugekommen sind. Neben der „Prikraf“-Affäre, in der Strache bereits eine fünfzehnmonatige, bedingte Strafe (nicht rechtskräftig) aufgefasst hatte, ist es wohl jener Teilbereich, der Strache am gefährlichsten werden kann.

Strache bestreitet, Geld aus der Parteikassa für private Zwecke verwendet zu haben, und sagte in der Doku dazu, dass Ribarich "nicht dokumentiert, sondern konstruiert" habe. Es gilt die Unschuldsvermutung.

Über sein derzeitiges Befinden sagte Strache: „Es geht mir den Umständen entsprechend gut. Ich konzentriere mich auf meine unternehmerische Tätigkeit, meine Projekte und das macht Freude. Wiewohl nicht alles leicht ist im Leben. Aber was ist schon leicht? Das Leben ist eine Hochschaubahn; einmal ist man oben, einmal unten. Wichtig ist, dass man nicht unten liegen bleibt, wenn man fällt, sondern immer wieder hinauf geht. Und diesen Weg gehe ich stetig.“

"Strache live"

Wenig Mitleid zeigt Ex-Vertrauensperson Ribarich, wenn er auf das Ibiza-Video zu sprechen kommt. „Das war Strache. Strache live“, sagte er, Strache habe „sein Mundwerk nie unter Kontrolle gehabt.“

In einem Nebenstrang ging es ebenfalls um „Mundwerk“, das nicht unter Kontrolle blieb. Denn im April 2019 sorgte just ein Auftritt des deutschen TV-Komikers Jan Böhmermann bei der ROMY-Akademiegala für Nervosität bei Eingeweihten. „Ich bin nicht da, ich hänge gerade ziemlich zugekokst und Red-Bull-betankt mit ein paar FPÖ-Geschäftsfreunden in einer russischen Oligarchenvilla auf Ibiza rum“, sagte Böhmermann in einer Grußbotschaft.

Jan Böhmermanns Rede an die Nation

Über Böhmermann "bis heute schockiert"

„Da bin ich explodiert“, erzählte Hessenthaler in der zweiten Doku, „Der talentierte Herr Hessenthaler“, die am Mittwoch noch einmal gezeigt wurde. Man habe damals breiteste mediale Aufmerksamkeit erzielen wollen und habe daher auch Böhmermann über die Inhalte des Videos informiert. Dieser habe Vertraulichkeit zugesichert und klar gemacht, dass er nichts mit der Sache zu tun haben möchte.

„Ich bin bis heute schockiert“, sagte nun Hessenthaler. „Er hat sich danach aufgeschwungen und mit der Thematik gespielt, zu seinem eigenen Profit. Herr Böhmermann war offensichtlich bereit, für ein paar Schlagzeilen in seinem Interesse die Sicherheit von Personen zu riskieren, und das ist etwas, das ich ihm bis heute vorwerfe und den Rest meines Lebens vorwerfen werde.“

"Der talentierte Herr Strache": Kaviar "um höchstens 700 Euro!“

Julian Hessenthaler in der Justizanstalt St. Pölten

Hessenthaler selbst wurde der Handel mit großen Mengen an Kokain vorgeworfen und sein Prozess in St. Pölten brachte ihm am 30. März eine Verurteilung zu dreieinhalb Jahren Haft ein - nicht rechtskräftig.

In der Hessenthaler-Doku kamen Stimmen zu Wort, die ihn als Justizopfer in Folge der Ibiza-Affäre sehen, aber auch jene, die die Vorwürfe für glaubhaft halten.

"Es war nie das Ziel, zu gewinnen"

Hessenthaler selbst, der trotz seiner langen U-Haft erstaunlich gefasst wirkt, relativierte am Ende, dass es in der Ibiza-Affäre nur Verlierer gebe, wie oft kommentiert wird. „Das ist gleichsam richtig wie falsch“, sagte Hessenthaler. „Es stimmt, wir haben alle verloren. Aber es war nie das Ziel, zu gewinnen. Ziel war es nicht, persönlichen Gewinn daraus zu ziehen. Ziel war, etwas anzustoßen.“ Und das habe man geschafft.

Dass der Preis dafür viel höher war, als er je in Betracht gezogen habe, gab er zu. „Aber manchmal muss man für Sachen einstehen. Und ich bin recht stur, speziell wenn ich der Überzeugung bin, recht zu haben. Und ich bin der unerschütterlichen Überzeugung, recht zu haben.“

Die Strache-Doku zum Nachschauen

Die Hessenthaler-Doku zum Nachschauen

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