Debatte im ORF über ORF-Gesetz: Kleine und mittelkleine Fische, große Heuschrecken

Debatte im ORF über ORF-Gesetz: Kleine und mittelkleine Fische, große Heuschrecken
ORF-Stiftungsratsvorstand Lothar Lockl und Gerald Grünberger, Geschäftsführer des Verbands Österreichischer Zeitungen, debattierten über die Haushaltsabgabe.

* Disclaimer: Das TV-Tagebuch ist eine streng subjektive Zusammenfassung des TV-Abends.*

Groß und klein ist, wie alles, relativ. Ist der ORF ein kleiner Fisch? Aus der Sicht von Facebook oder Google oder TikTok wohl nichteinmal das. Aus der Sicht der österreichischen privaten Medien natürlich schon. Immerhin kriegt der ORF mehr als 700 Millionen Euro öffentliches Geld im Jahr. Damit zündet sich Mark Zuckerberg wohl pro Tag eine Zigarre an. Davon können die anderen österreichischen Medien gemeinsam aber nur träumen.

Damit waren schon die Argumentationslinien vorgegeben, an der sich am Dienstagabend eine Debatte abspielte, die sich eines demokratiepolitisch wichtigen Themas im "Report" angenommen hat: Ob nämlich der kleine Riese oder große Zwerg ORF den anderen Medien in Österreich online das Licht wegnimmt, das diese zum Überleben brauchen. Es diskutierten ORF-Stiftungsratsvorstand Lothar Lockl und Gerald Grünberger, Geschäftsführer des Verbands Österreichischer Zeitungen. Frei nach Ernst Jandl: glein und kroß kann man nicht velwechsern.

Expertendiskussion zur Novelle des ORF-Gesetzes

Es ist kein Geheimnis: Die Emotionen zwischen Privatmedien, ORF und Medienpolitik sind im Moment auf Hochdruck geschaltet. Die Privatmedien fürchten angesichts der ORF-Novelle inklusive neuer Haushaltsabgabe, die am Mittwoch im Nationalrat beschlossen werden soll und dem ORF mehr Beitragszahler und mehr Freiheiten im Onlinebereich bringen wird, um ihr nacktes Überleben. Der ORF sieht das weniger dramatisch und verweist darauf, dass er auch sparen wird müssen.

➤Lesen Sie mehr: Darum geht es bei der ORF-Gesetzesnovelle und beim Medienkonflikt

Jetzt gäbe es um diese Medienpolitik viele so schwierige wie lohnende Fragen. Etwa:

  • Was ist öffentlich-rechtlicher Rundfunk heute?
  • Wie kann man die Medienvielfalt in einer radikal veränderten Online-Landschaft bewahren?
  • Wie können die Medien hierzulande sinnvoll kooperieren?
  • Wie entpolitisiert man den ORF?
  • Wie können heimische Medien nachhaltige Online-Geschäftsmodelle entwickeln? 

Das wäre doch eine schöne Gelegenheit für eine offene, gesamtgesellschaftliche Debatte, für neutrale Medienwissenschaftler, die dazu Schlaues sagen, und für einen politischen Prozess, der mehr will und mehr erreicht als eine für die Politik möglichst schmerzlose Lösung.

Wäre.

Genauer: wäre gewesen.

Der Zug bezüglich ORF-Gesetz scheint abgefahren, Lockl und Grünberger debattierten quasi über die Rücklichter des letzten Waggons, der schon gleich ums Eck biegt und außer Sicht gerät.

Kleinkrieg

Vielleicht kann man sich dennoch eine kleine medienpolitische Phänomenologie erlauben: Es wurde also das ORF-Gesetz im ORF debattiert, und wir schreiben hier über die Debatte des ORF-Gesetzes im ORF in einem privaten Medium. Alle bemühen sich da extra um eine äquidistante Sicht, und das hat sich "Report"-Chef Wolfgang Wagner sicher auch, ganz sicher speziell bei der Frage an Grünberger, ob es sinnvoll ist, dass der VÖZ durch die Beeinspruchung des neuen ORF-Gesetzes in Brüssel dem "ORF-Publikum schaden" wolle und einen "Kleinkrieg" gegen den ORF führe. Schließlich leitete auch der ORF die Debatte mit der Feststellung ein, dass es im Folgenden um Transparenz und Offenheit gehe ein, und die Frage zumindest war transparent und offen.

Die beiden Debattierenden tauschten sich jedenfalls über die Eckpunkte der vorangegangenen bzw. abgefahrenen Debatte rund um die Haushaltsabgabe aus, und sie wählten das bereits erwähnte Generalthema groß und klein. Aus der Sicht Grünbergers ist der ORF "übermächtig" mit diesen öffentlichen Beihilfen, er hat dadurch "sehr viel mehr Power im Wettbewerb". Was der gebührenfinanzierte ORF täglich online veröffentliche, sei "in etwa doppelt so stark wie jede Zeitung in Österreich, die zur Zeit erscheint". Groß, sie merken schon.

Kleine Fische

Für Lockl wiederum ist der ORF klarerweise verschwindend klein: "Wir sind vergleichsweise kleine Fische im Vergleich zu den großen IT-Giganten. Die freuen sich, wenn es hier einen Konflikt gibt", sagte er, und der Grund für die Probleme der Privaten sei "nicht der ORF, sondern neue Konkurrenten aus den Vereinigten Staaten und aus China", das sind etwa Google, Facebook und TikTok. "In der Finanzwelt würde man sagen Heuschrecken", Lockl legte nach mit "digitale Heuschrecken", denn diese Plattformen saugen "de facto das gesamte Werbevolumen in Österreich ab und auch unsere Daten".

1,9 Milliarden würden derzeit in Österreich für Online-Werbung ausgegeben, "80 bis 90 Prozent landen bei Google und Co. Der ORF hat nur ein Prozent dieses Kuchens." Klein, sie merken es schon.

Der ORF, sagt wiederum Grünberger, spielt sehr viele Angebote auf genau diese Social-Media-Plattformen aus - da werde "Geld hingeschaufelt, Traffic hingeschaufelt, Daten mit TikTok auch nach China".

Der Haifisch, ob groß, sehr groß oder nicht so groß, der hat bekanntermaßen Zähne. Was die Fische mit diesen Zähnen machen, nicht nur bei Weill und Brecht und ihrer bei jedem Ideologiecheck chancenlosen "Dreigroschenoper"? Kleinere Fische fressen. Und groß und klein, das weiß man, ist relativ.

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