Birgit Minichmayr: "Mich zieht dieser Ball nicht an"
„Du kannst nicht einfach auf eigene Faust losmarschieren“, sagt Lea Brandstätters Kollegin.
„Doch!“, sagt Lea Brandstätter. Sie ist eigentlich Strafverteidigerin. Doch von einem Tag auf den anderen wird sie in der achtteiligen Serie „Spiel am Abgrund“ zur Ermittlerin in eigener Sache.
Birgit Minichmayr legt in diese Rolle viel Impulsivität und Widerstandsgeist hinein, allerdings auch Verletzlichkeit. Denn es geht um das Vorleben von Leas Verlobtem David, der plötzlich bei einem Unfall stirbt – kurz nachdem er bei einem Matchbesuch einem Journalisten brisante Infos zustecken wollte.
Minichmayr erklärt: „Sie kann nicht verstehen, wie das passieren konnte und entdeckt Schattenseiten ihres Freundes, von denen sie keine Ahnung hatte. Im Versuch, aufzuklären, was er eigentlich wirklich gemacht hatte, wird sie immer mehr reingezogen in diese komplexen, korrupten, merkantilen Machenschaften des Fußballs.“
Da der Verstorbene ein erfolgreicher Talentesucher im Fußball war, begibt sich Lea auf ein Terrain, das ihr zuvor überhaupt nicht bekannt war.
„In dieser Hinsicht sind ich und die Figur relativ deckungsgleich“, sagt Minichmayr mit einem Lachen. „Ich suche die Rollen nicht danach aus, ob die Schnittmenge groß ist, aber ich fand es angenehm, dass sie auch keine Ahnung hat von Fußball.“
Die Welt von Lea Brandstätter, einer Berliner Rechtsanwältin, wird auf den Kopf gestellt, als ihr Verlobter David vor ihren Augen in seinem Jaguar verbrennt. Lea findet heraus, dass David, ein gefragter Spieler-Scout, von korrupten Vorgängen im internationalen Fußball-Business wusste – und dafür offenbar mit seinem Leben bezahlen musste. Ein weiterer Todesfall scheint damit in Zusammenhang zu stehen: Der Freund des Hooligans und Ex-Knackis Marcel wurde beim selben Match von Union Berlin (derzeit pikanterweise im Spitzenfeld der Deutschen Bundesliga) getötet.
Die Suche nach der Wahrheit schweißt Lea und Marcel zu einem ungleichen Team zusammen – Birgit Minichmayr und Max von der Groeben glänzen in ihren Rollen. Ihre Ermittlungen zeigen, dass Davids Agentur Talente aus Afrika unter widrigsten Umständen nach Europa bringt.
Agentur-Chef Richard Felgenbauer (Tom Wlaschiha) taucht übrigens in allen drei Serien auf, ebenso „WFA“-Verbandsboss Jean Leco (Raymond Thiry), der für die Schaffung der lukrativen „World League“ offenbar über Leichen geht.
INFOS: Die achtteilige Serie startet am Donnerstag, 3. 11. (20.15 Uhr) in der ARD. Auf ServusTV bereits ab 1. 11. (21.50 Uhr) und alle Folgen im Stream auf Servus On
Fußball statt Schmusen
„Ich mach’ zwar total gern Sport, aber ich hab keinen Zugang zu Sport anschauen“, sagt sie. Dabei sei im Elternhaus nahe Linz oft Fußball gelaufen. „Nein, mich zieht dieser Ball nicht an. Ich wurde immer furchtbar grantig, wenn wir uns als Jugendliche im Wirtshaus oder im Kulturzentrum getroffen haben, und da ein Tischfußball herumstand. Weil ich wusste: Irgendwann sind alle weg und stehen um diesen g'schissenen Tisch und keiner redet mit mir und keiner will mit mir schmusen. (lacht)“
Es wird Minichmayr also nicht schwerfallen, die WM in Katar auszulassen. Aber: „Es ist für mich als Nicht-Fan umso fragwürdiger, wie es sein kann, dass man die WM in einem Staat austrägt, der mit unseren Vorstellungen von Menschenrechten nix am Hut hat. Und da frage ich mich, wie so etwas sein kann, außer, dass irrsinnig viel Bestechungsgeld in irgendwelche Taschen geflossen ist. Wie sollte das sonst gehen?“
„Das Netz“ stößt wenige Wochen vor dem Ankick am 20. November in die allgemeine Skepsis hinein, mitten im Winter eine WM in einem Land auszutragen, das kein allzu interessanter Markt für den Weltfußball sein kann.
KURIER: Matthias Hartmann war der Ideenspender für "Das Netz". Wie sind Sie dann zu dem Projekt dazu gekommen?
Birgit Minichmayr Ich glaube, ihm ist immer so ein internationales Projekt vorgeschwebt, wo mehrere Länder zu einem Thema etwas beitragen können. Und da lag es nahe, dass das der Fußball ist. Ich habe dann eine Anfrage von Rick Ostermann bekommen, mit dem ich schon öfter gearbeitet habe. Er meinte: Ich möchte das mit dir erzählen, du wärst die Richtige dafür.
Der deutsche Serienteil "Spiel am Abgrund" hat direkter mit Fußball zu tun als "Das Netz Österreich". Hat Sie auch das Thema interessiert?
Am Anfang war das so konzipiert, dass ich eine Fußballtrainerin spielen hätte sollen. Als ich das meinen Freunden erzählt habe, haben die schallend gelacht, weil ich wirklich sehr dünne Beinchen habe. Die haben gesagt, das glaubt man dir nie - und bei deinem Ballgefühl ... Also du kannst noch so trainieren, das wird nichts mehr mit dir. (lacht) Und ich wusste das auch. Aber das war die erste Idee. Und dann ging es in die Richtung, dass ich eine Strafverteidigerin spiele und dass sie Menschenhandel zum Thema machen wollten. Es geht um diese Fußball-Agenturen, die auf der ganzen Welt tätig sind. Die dann junge Kinder nach Europa locken, um in ihnen den neuen Messi oder was auch immer zu finden und die dann relativ schnell wieder fallen gelassen werden. Das ist leider keine Fiktion, das ist alles gut belegt.
Ihre Rolle, die Lea Brandstätter, wird in das Ganze eher durch Zufall hineingezogen.
Ja, genau, ihr Freund kommt bei einem Unfall ums Leben und sie kann es nicht so ganz verstehen, wie das passieren konnte. Sie entdeckt plötzlich Schattenseiten ihres Freundes, von denen sie überhaupt keine Ahnung hatte. Im Versuch, aufzuklären, was er eigentlich wirklich gemacht hatte, wird sie immer mehr reingezogen in diese komplexen, korrupten, merkantilen Machenschaften des Fußballs.
Sie begibt sich ja auf ein Terrain, das ihr zuvor nicht bekannt war. Wie sieht es da mit Ihnen aus?
In dieser Hinsicht sind ich und die Figur relativ deckungsgleich. (lacht) Ich suche die Rollen eigentlich nicht danach aus, ob die Schnittmenge besonders groß ist, aber ich fand es angenehm, dass sie auch keine Ahnung hat von Fußball.
Wirklich gar keine Ahnung?
Ich habe keine Ahnung von Fußball. Und leider auch ganz wenig Interesse. Ich war auch noch nie live bei einem Fußballspiel. Ich mach' zwar total gern Sport, aber ich hab keinen Zugang zu Sport anschauen. Dabei wurde in meinem Elternhaus immer Fußball angeschaut, Formel 1, Tennis, und als allererstes natürlich Skifahren. Das habe ich noch am meisten verstanden, weil ich selbst eine leidenschaftliche Skifahrerin bin. Das ist der einzige Sport, zu dem ich einen Zugang gekriegt habe, was das Anschauen betrifft.
Schreckt Sie auch die Masseninszenierung in einem Stadion ab?
Nein, mich zieht dieser Ball nicht an. Ich wurde auch immer furchtbar grantig, wenn wir uns zum Beispiel als Jugendliche in irgendeinem Wirtshaus oder im Kulturzentrum getroffen haben, und da ein Tischfußball herumstand. Weil ich wusste: Irgendwann sind alle weg und stehen um diesen g'schissenen Tischfußball und keiner redet mit mir und keiner will mit mir schmusen. (lacht)
Das Desinteresse entstand also über den Tischfußball?
Ja, aber genauso ging es mir natürlich auch beim Fußballspiele anschauen, wenn man sich in einer Kneipe getroffen hat. Ich krieg keinen Zugang, ich kenne mich auch nicht aus. Es ist mir so egal.
Es geht ja jetzt in der Serie auch um eine Fußball-WM in der Wüste. Eine klare Parallele zur WM in Katar ...
Das kann man sich vielleicht denken, aber das durfte man so nicht erwähnen.
Aber wie ist als Nicht-Fußballfan ihre Meinung dazu, dass man eine WM dort austrägt?
Es ist für mich als Nicht-Fan umso fragwürdiger, wie es sein kann, dass man in einem Staat eine WM austrägt, der mit unseren Vorstellungen von Menschenrechten und Umgang überhaupt nix am Hut hat. Und da frage ich mich, wie so etwas sein kann, außer, dass irrsinnig viel Bestechungsgeld in irgendwelche Taschen geflossen ist. Wie sollte das sonst gehen? Und natürlich habe ich da auch den Gedanken, dass einmal alle den Fernseher nicht einschalten. Mir würde es natürlich am meisten gefallen, dann habe ich keine Konkurrenz mehr und jeder würde mit mir reden. (lacht) Aber das ist natürlich ein utopischer Gedanke, der nicht stattfinden wird. Ich finde es auch schwierig, als Mannschaft dorthin zu fahren und dort a bissl zu protestieren. Wenn, dann müsste man es gleich boykottieren. Und ich glaube, das einzige Land, das das kurzzeitig in Frage gestellt hat, war Norwegen.
Um zu Ihrer Rolle zurückzukommen. Lea hat am Anfang relativ eigenwillige Methoden.
Ja, sie ist mit einer leicht kriminellen Energie ausgestattet.
Sie geht recht eigenwillig mit dem Thema Gewalt an Frauen um. Sie verteidigt einen Mann, der seine Frau geschlagen hat, um damit Geld für die misshandelte Frau zu lukrieren.
Damit sie der Frau einen neuen Start ermöglicht, um etwas Neues aufzubauen. Sie befürchtet offenbar, dass sich das Verfahren länger hinziehen könnte und dann macht sie's halt auf ihre Art, damit es schneller geht und die Frau von diesem Typen wegkommt. Damit wird ihre nicht immer straighte Handlungsweise erzählt, dass sie nicht immer gesetzeskonform handelt.
Sie spielen seit Längerem wieder am Burgtheater. Wie gefällt es Ihnen, in Wien zu arbeiten?
Nach der Geburt meiner Kinder haben wir uns dazu entschieden, uns wieder in Wien anzusiedeln. Und ich genieße es sehr. Ich habe schöne Arbeiten hinter mir und vor mir, ich bin in die Vorstadt gezogen, mit einem kleinen Garten und genieße es, einen Bäcker zu haben, der um 12 Uhr zusperrt. Und um 11 Uhr musst du dich schon beeilen, dass du ein Semmerl bekommst, weili schon alle weg sind. Mir gefällt das ganz gut, ich finde es irgendwie gerade nett. Aber ich bin ja auch immer viel unterwegs für Filmdrehs. Ich habe lange nicht in Wien gedreht, jetzt fanden zufällig zwei Sachen hintereinander in Wien statt, einmal der Film über Maria Lassnig, und dann die zweite Regiearbeit von Josef Hader. Ansonsten arbeite ich eigentlich sehr viel in Berlin oder woanders.
Die Theater klagen zurzeit über geringere Auslastungszahlen und weniger Publikumszuspruch. Nehmen Sie das auch so wahr?
Ja, natürlich. Es gibt natürlich immer wieder Sachen, die ausverkauft sind und funktionieren. Aber auf der anderen Seite glaube ich, dass wir die ganzen Konsequenzen der Pandemie spüren, die unser öffentliches Leben einfach eine Zeit lang in die Privaträume gestopft hat. Viele haben ihr Kino zu Hause und sich dort Serien reingezogen. Viele haben sich vielleicht auch daran gewöhnt. Aber es liegt an uns in unserer Selbstverantwortung, wie sehr wir öffentliches Leben praktizieren wollen, wie sehr wir uns an öffentlichen Plätzen und Versammlungsorten wie Kinos, Theater, Konzerthallen begegnen wollen. Und wenn man dafür nicht Sorge trägt, wird das irgendwann verschwinden.
Können Sie das zögerliche Verhalten auch nachvollziehen?.
Ich verstehe absolut eine gewisse Form von Versammlungsangst durch die Pandemie, die ich auch nicht vorüber finde. Ich merke es noch an mir. Wenn ich Dreharbeiten habe, wie demnächst in Berlin, stecke ich noch immer in der Verantwortung, dass ich nichts riskiere, nur ja keinen Drehplan durch eine Corona-Erkrankung durcheinanderbringe. Ich versuche, mich sehr zurückzuhalten. Ich gehe auch mit Maske ins Theater wie am Sonntag in "humanistaa!", was übrigens ein fantastischer Theaterabend war. Mein Gott, unfassbar toll. So humorvoll, lustvoll, sinnlich. So eine wunderschöne Gemeinschaft, der man da zuschauen kann, wie Sie Ernst Jandl zum Glänzen bringt, das war schon unglaublich beeindruckend.
Also zurecht mit Preisen überhäuft?
a, absolut. Ich hatte so ein Vergnügen. Ich springe selten an einem Abend auf, aber da hat es mich richtig aus dem Sitz gehoben am Ende.
Es gibt die Kritik, dass sich das Programm am Volkstheater zwar sehen lassen kann, aber dass es Publikum nicht so anzieht. Verstehen Sie diesen Vorwurf?
"humanistää!" war ausverkauft. Manchmal haut man auch daneben. Man sagt immer, es braucht zwei, drei Jahre, bis am Theater etwas zusammenfindet. Kay Voges hatte bestimmt keinen einfachen Start, hier in Österreich anzukommen und da einfach nicht zulangen zu können durch diese Pandemie. Und zuerst wird das Haus nicht fertig, dann hast du die Pandemie, alles ist zu. Das sind schon Umstände, die man mitbedenken muss. Natürlich überlegen die Leute jetzt: Kaufe ich mir Theaterkarten oder zahle ich damit die Stromrechnung? Das wird wahrscheinlich auf uns alle zukommen.
Wüsten-WM
In der fiktiven Serie heißt der Fußball-Weltverband WFA, und es findet ebenfalls in einem Wüstenstaat eine WM statt. In „Spiel am Abgrund “ heißt es: „Es geht um ein System, das den Fußball und seine Fans an Diktatoren und Kriminelle verkauft. Und dieses System heißt WFA. Es heißt Jean Leco." Der Verbandsboss, gespielt von Raymond Thiry, betätigt sich nicht nur im deutschen Strang „Spiel am Abgrund“ als macht- und geldgieriger Strippenzieher, sondern taucht auch in den anderen „Netz“-Serien „Prometheus“ (Österreich, ServusTV) und „Power Play“ (Italien) auf.
Dass Ex-Burgtheaterchef Matthias Hartmann das Idee und Konzept zu "Das Netz" entwarf, war für die Burgschauspielerin nicht der Impuls, nun den ersten Schritt in den Serienkosmos zu wagen. Es war Regisseur Rick Ostermann, mit dem sie bereits gearbeitet hatte, der auf sie zukam.
Minichmayr erzählt: „Am Anfang war das so konzipiert, dass ich eine Fußballtrainerin spielen hätte sollen. Als ich das meinen Freunden erzählt habe, haben die schallend gelacht, weil ich wirklich sehr dünne Beinchen habe. Die haben gesagt: Das glaubt man dir nie!“ Erst dann sei ihre Rolle als Strafverteidigerin entworfen worden, „und dass sie Menschenhandel zum Thema machen. Es geht um Fußball-Agenturen, die Kinder nach Europa locken, um in ihnen den neuen Messi zu finden und die dann schnell wieder fallen gelassen werden. Das ist leider keine Fiktion, das ist alles gut belegt.“
Theaterkrise
Auch keine Fiktion ist, dass die Theater derzeit an Besuchermangel leiden. Minichmayr, die ab 25. November in Dostojewskis „Dämonen“ am Burgtheater zu sehen ist, meint: „Es gibt auch Sachen, die ausverkauft sind. Aber ich glaube, dass wir die Konsequenzen der Pandemie spüren. Viele haben ihr Kino zu Hause und sich dort Serien reingezogen. Viele haben sich vielleicht daran gewöhnt.“
Sie verstehe absolut eine Form von Versammlungsangst, die Pandemie sei „auch nicht vorüber“. Daher trage sie Maske, wenn sie selbst ins Theater gehe, wie zuletzt zu „humanistä!“ im Volkstheater. Sie fand den (ausverkauften) Abend „unfassbar toll“ und plädiert dafür, mit dem für geringe Auslastung kritisierten Volkstheater-Chef Kay Voges Geduld zu haben: „Man sagt immer, es braucht zwei, drei Jahre, bis am Theater etwas zusammenfindet.“
Und: „Natürlich überlegen die Leute jetzt: Kaufe ich mir Theaterkarten oder zahle ich damit die Stromrechnung? Das wird wahrscheinlich auf uns alle zukommen.“
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