Andreas Lust sah bei sich im ersten Moment wenig Ähnlichkeit zu Heinz-Christian Strache. Aber wenn man sieht, wie der Schauspieler ("Der Räuber", "Tatort", "Fuchs im Bau") den gefallenen FPÖ-Chef in der neuen Serie "Die Ibiza Affäre" (Sky Atlantic, Sky X) verkörpert, bleibt von Zweifeln kaum etwas übrig.
Julian Looman spielt überzeugend den Adlatus Johann Gudenus. Der niederländisch-österreichische Schauspieler, hierzulande eher aus einzelnen Episodenrollen in Serien wie "Der Bergdoktor", "Die Chefin" oder dem Simon-Verhoeven-Film "Nightlife" bekannt, ergänzt sich auch im KURIER-Interview kongenial mit Lust. Es geht um die Schwierigkeit, bekannte und lebende Persönlichkeiten zu spielen, die Möglichkeit und Unmöglichkeit der Ibiza-Affäre, die Wirkung des Originalschauplatzes und die Folgen für die Politik.
KURIER: Heinz-Christian Strache ist tausendfach abgefilmt, abfotografiert, eine Persönlichkeit, von der jeder ein Bild hat. Wie haben Sie sich diese Rolle erarbeitet?
Andreas Lust: Ich habe mir viel Material angeschaut. Ich wollte mir anschauen, wie seine Körperlichkeit ist, seine Art zu sprechen. Aber es ging nicht darum, ihn zu kopieren, als Karikatur, ich wollte ihm nachspüren. Ich habe auch seinen Lebenslauf mit meinem verglichen. Da gibt es Überschneidungen. Wir sind in einer ähnlichen Zeit in Wien aufgewachsen Daher habe ich gesagt: Wir haben beide die Körperlichkeit von Heinz Conrads. Wenn man in den Achtzigern aufwächst, ist man einfach mit ähnlichen Figuren aufgewachsen. Man hatte gemeinsame Vorbilder, was ein leiwander Typ ist und was für einen Schmäh der hat. Und er hält sich ja für einen leiwanden Typen, das merkt man bei seinen Reden. Er hat auch diesen Kaffeehausschlurf drin.
Herr Looman, wie haben Sie das versucht anzulegen?
Julian Looman: Also zunächst einmal wie jede andere Rolle auch. Ich musste die Figur Gudenus verstehen lernen. Was ist sein Dilemma, was seine Motivation, seine Bedürfnisse? Für mich ging es darum, eine Essenz herauszuarbeiten und dadurch die Energie der Figur herzustellen. Erst wenn einem das gelingt, macht es Sinn in Äußerlichkeiten zu gehen, etwaige Manierismen zu finden. Ganz zum Schluss kommen dann Maske und Kostüm. Es wäre definitiv zu wenig, sich einen Bart aufzukleben und eine Perücke aufzusetzen.
Wie haben Sie gemeinsam dieses zentrale Duo kreiert?
Lust: Diese einschlägigen Szenen haben wir natürlich mit Coach erarbeitet und über diese gemeinsame Arbeit haben wir auch Gemeinsamkeiten gefunden. Da haben wir wirklich lange und minutiös die nachzuschauenden Szenen einstudiert.
Looman: Das Transkript von diesem Abend ist ja allen frei zugänglich. Bei Strache und Gudenus war uns wichtig, das Verhältnis der beiden zu beleuchten, aber auch den unterschiedlichen Status als Spannungsfeld.
Lust: Wir haben im Zuge der Recherche auch mit Menschen gesprochen, die was darüber erzählen konnten. Wir haben ermittelt. (lacht)
Als es darum ging, den Sprache zu spielen, war da für Sie sofort klar: Das möchte ich machen?
Lust: Ja. Sagen wir so, ich fand‘s im ersten Moment kurios. Wie man auf die Idee kommt. Aber es hat mir dann sehr gefallen, also auch im Hinblick darauf, große Protagonisten der jüngeren österreichischen Geschichte zu spielen. Vom Bankräuber Johann Rettenberger - eigentlich Kastenberger - bis zum Strache. Es war auch einmal angedacht, vielleicht einmal den Kaiser Franz Josef zu spielen. Das hätte ich dann als Trilogie gesehen. (lacht)
Rein optisch würde man von vorherein nicht auf diese Idee kommen, dass Sie Strache spielen könnten.
Lust: Ja, im ersten Moment habe ich mir das auch gedacht, aber im Zuge der Beschäftigung mit seiner Person hab ich mir seinen Lebenslauf angesehen. Ich konnte vielem nachspüren, jetzt unabhängig von der optischen Ähnlichkeit. Meine Jugend ist auch voll mit Ziehvätern, weil mein eigener Vater nicht da war. Er hatte halt ganz andere Ziehväter als ich. Man ist unter Umständen in ähnliche Situationen gekommen. Bei Strache hat sich das alles halt anders ausgewirkt als bei mir.
Haben Sie versucht, ihn nicht zu sympathisch wirken zu lassen?
Lust: Ich habe auf Wiederwahl gespielt, auf 35 Prozent. Anders geht es ja gar nicht. Ich kann ja nicht antreten, eine Rolle spielen und dann der Meinung sein, ich mach jetzt ein Arschloch daraus.
Gudenus hat natürlich von Anfang an eine große Rolle in der ganzen Geschichte, weil er auch die Person ist, die dafür sorgt, dass das sich weiter dreht und nicht endet. Wie haben Sie die Affäre wahrgenommen? Wie sehen Sie die Rolle Gudenus und was wollten Sie da rüberbringen?
Looman: Im Endeffekt ist es eine Geschichte von Menschen, die politisch bzw. machtpolitisch hohe Ziele haben und an dem ganzen Projekt scheitern. Ich habe es so verstanden, dass Gudenus eine Chance gewittert hat, seine innerparteiliche Position weiter zu stärken oder gar in der Partei noch weiter aufzusteigen. Er war schon in der gemeinsamen Studentenverbindung dafür verantwortlich, dem „H.C.“ den Rücken freizuhalten und wollte mit dem potenziellen Deal auf Ibiza das Vertrauen, das der Parteichef in ihn hat, womöglich noch weiter stärken. Wie das ausgegangen ist, wissen wir ja alle.
Viele fragen sich, wie man auf diese Falle reinfallen konnte …
Lust: Ich hatte immer den Eindruck, dass denen das wurscht war. Es war vermutlich ein sehr dichter Abend und die sind nicht auf die Idee gekommen, dass man das wirklich so minutiös irgendwo auflisten würde und man ihnen daraus einen Strick drehen könnte. Es kommen ja auch Zweifel zur Sprache. Das wischen sie aber weg. Nicht, weil sie nicht dran glauben, sondern weil es ihnen wurscht ist. Aus einer Lust an der Laune, einem goschert sein.
Ist es vielleicht ein Zeichen des Machtrauschs, dass man sich für unverwundbar hält?
Lust: Die haben sich sehr gut gefühlt. Sie waren gut im Saft und im Schwung. Und haben sich gedacht: Uns kann keiner was.
Looman: Womöglich schon ein bisschen so, als hätte man in Drachenblut gebadet. Aber irgendwo fällt dann halt doch das berühmte Lindenblatt drauf.
Aber man weiß, wie es ausgegangen ist. Was kann eine fiktionale Serie leisten zum Verständnis dieser ganzen Affäre?
Lust: Für mich bleiben diese Figuren eine Art Stellvertreterfiguren. Ich spüre: Es geht nicht um Strache und Gudenus. Es wird ein Sinnbild für Politik im Hinterzimmer entworfen und das ist somit allgemeingültiger als diese einzelne popelige, konkrete Geschichte.
David Schalko zum Beispiel sieht die Ibiza-Affäre und die Chatprotokolle der ÖVP als ein und dieselbe Sache, einen einzigen großen Film. Wie ist Ihre Meinung dazu?
Lust: Das wäre dann die zweite Staffel. (lacht)
Looman: Kennen wir das Ende? Nein, wir kennen das Ende nicht, wir kennen nur das vorläufige Ende. Aber was ist das Ende? Der einzige, der irgendwie strafrechtlich belangt wurde in dem Ganzen ist Julian H., der sitzt im Gefängnis. Der Rest ist auf freiem Fuß, mitunter auch noch regierend. Für diejenigen stellt sich die Frage der politischen Moral, deren Antwort uns die meisten schuldig bleiben.
Lust: Ich kann mir durchaus vorstellen, dass daraus noch eine ganze Sitcom wird.
Also war das kein Scherz mit der zweiten Staffel?
Lust: Das müssen Sie die Freunde von Sky fragen, aber ich könnt‘s mir vorstellen.
Aber Heinz-Christian Strache würde darin keine so große Rolle mehr spielen.
Lust: Moment! Sagen Sie das nicht. (lacht)
Es geht doch um Dinge die juristisch noch aufzuarbeiten sind. Hat man sich da auch gedacht: Manche Dinge sind haarig?
Looman: Obwohl wir eine fiktionale Serie und keine Dokumentation gemacht haben, bewegen wir uns absolut im faktenbasierten Rahmen.
Lust: Natürlich hat die Tatsache, dass manche Dinge juristisch noch offen sind, dazu geführt, dass man eher vorsichtig ist, als dass man wirklich in die Vollen geht. Im Nachhinein ist man zwar draufgekommen, es ist alles noch viel ärger als man gedacht hat. Wir haben uns aber davor gehütet, zu extrem zu sein oder Dinge zu spielen, die man nicht genau weiß, um nicht irgendwas ins Blaue zu behaupten und Leute damit zu beschädigen.
Es gibt ja auch Versuche, die Macher des Videos quasi zu kriminalisieren. Ist diese Serie eine Möglichkeit, ein ausgeglichenes Bild zu zeigen?
Looman: Wahrscheinlich schon, ja. Ich habe das Gefühl, dass man mehr über die einzelnen Motivation aller handelnden Personen erfährt. Wichtig war uns Haltung zu haben ohne Stellung zu beziehen und dem Publikum die Möglichkeit zu geben, sich selbst ein Bild zu machen. Es gibt weder einen Fingerzeig, noch wird jemand an die Wand gestellt oder gar auf ein Stockerl gehoben.
"Es ist ein Stück österreichischer Boden in Spanien. Da kommt wahrscheinlich irgendwann eine Gedenktafel hin"
Wie war es, am Originalschauplatz zu drehen?
Lust: Ein besonderes Gefühl, wie wenn man nach Madeira kommt. Es ist ein Stück österreichische Geschichte. Österreichischer Boden quasi.
Looman: Wie der Sisi-Tempel auf Korfu … (lacht)
Lust: Der Besitzer hat dort nichts verändert. Das ist alles noch im Original vorhanden. Nur den Teppich musste man extra ausrollen. Aber ansonsten steht dort jeder Stuhl so, wie damals verlassen. Der hat das wirklich konserviert. Ich weiß zwar nicht, wofür, aber er hat es konserviert. Es ist ein Stück österreichischer Boden in Spanien. Da kommt wahrscheinlich irgendwann eine Gedenktafel hin.
Und wie haben Sie es empfunden?
Looman: In dem Moment, wenn man da reinkommt, hat man schon ein eigenes Gefühl. Als Spanier denkt man vielleicht: Aha, eine Finca. Aber für uns ist das natürlich schon ein bisschen mehr.
Das Haus wirkt eher klein?
Lust: Also man kann schon verstehen, dass sie sich dort getroffen haben. Hätten sie sich in einer großen Villa am Strand getroffen, hätte das wesentlich mehr Aufsehen erregt. So hatte es mehr Hinterzimmer-Charakter.
An dem echten Ibiza-Abend wurde ja viel Alkohol konsumiert. Hat man das irgendwie nachempfunden?
Lust: Nachträglich ein bisschen. Wir sind gleich dort geblieben und haben den Abend noch ein bisschen weiter improvisiert. Also ich trinke kein Red Bull. Aber abgesehen davon …
Das Video ist auch komödiantisch ausgiebig ausgewertet worden. Hatten Sie vor dem Dreh das Gefühl, hoffentlich wird das nicht zu kultig oder zu lustig gemacht?
Looman: Dieses Drehbuch hat natürlich auch komödienhafte Züge. Das liegt aber in der Natur der Vorlage und nicht am Drehbuch selber. Alles, was in dieser Finca und um diese Finca herum, passiert, ist transkribiert, ist Wort für Wort so gesagt worden.
Lust: Natürlich könnte man mit Montage und Kameraeinstellungen manches in eine Richtung lenken. Es war schon so eine kleine Befürchtung da. Aber wie gesagt, ich habe nur auf Wiederwahl gespielt.
Wird die Ibiza-Affäre langfristig etwas ändern an der Politik?
Looman: Ich habe die Befürchtung, dass die Kommunikation in Zukunft noch geheimer stattfinden wird. Keine SMS mehr, nur noch verschlüsselte Chatdienste. Man wird sich gewisse Aussagen in Zukunft dreimal überlegen. Was an sich ja gar nicht einmal so schlecht wäre. (lacht)
Lust: Jetzt ist einmal ein bisschen Licht in diesen politischen Keller gekommen, wie eine Taschenlampe, die da herumleuchtet. Dieser Keller ist jetzt im öffentlichen Bewusstsein vorhanden. Mit der Ibiza-Affäre und allem, was in Folge stattgefunden hat, ist die Politikerkaste eigentlich ziemlich angeschmiert und ist nicht mehr auf so eine glorifizierte Art und Weise im allgemeinen Bewusstsein verankert. Das hat sich verändert und das ist gut so. Weil diesen Keller gibt es wirklich, nicht nur in Österreich.
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