Marco Wanda im Interview: "Das ist keine Wunde, die jemals zugehen kann"
Die Wiener Band Wanda verarbeitet auf ihrem neuen Album "Ende nie" die vergangenen Monate, die man durchaus als schwierig und herausfordernd bezeichnen kann: Im Herbst 2022 starb Keyboarder Christian Hummer, im Vorjahr musste sich Sänger Marco Wanda zudem von seinem Vater verabschieden. Das zu verarbeiten, ist nicht einfach. Die Band hat es trotzdem versucht. "Es war vollkommen klar, dass wir ins Studio müssen. An eine Veröffentlichung haben wir da noch gar nicht gedacht. Aber wir mussten uns irgendwie therapieren, wir mussten zusammen sein und das geht am besten, wenn wir auf absehbare Zeit wöchentlich zusammen in einem Studio sitzen und schauen, was passiert", sagt Marco Wanda.
Der Sänger und Mastermind der Band sprach mit dem KURIER über das nicht immer lustige Leben auf Tour, Trauerarbeit, Hass, politische Statements, Sport, den Marco Wanda zu wenig macht, Schmerzen aller Art und mögliche Therapien. Über die (mögliche) Zukunft der Band, darüber, warum er in keiner Whatsapp-Gruppe ist, und natürlich auch über das neue Album "Ende nie".
KURIER: Vor der Tour ist nach der Tour: Sie kommen gerade von einer Tour durch die Schweiz und Deutschland. Wie schwer fällt Ihnen das Ankommen im Alltag?
Marco Wanda: Dass man danach in ein Loch fällt, kenne ich aus der Vergangenheit. Mittlerweile haben wir eine Spielphilosophie entwickelt, die sich von der Mentalität einer Fußballmannschaft eigentlich gar nicht mehr unterscheidet. Unsere Konzerte sind unsere Spiele – und auf die muss man sich vorbereiten. Man muss dafür trainieren, aber sich nicht überspielen, sich dazwischen auch mal schonen.
Gibt es eine spezielle Tour-Vorbereitung?
Früher war mir alles relativ wurscht. Da hatte ich aber auch noch mehr Energie. Jetzt müsste ich deutlich mehr Sport machen, denn die Verletzungsanfälligkeit ist sehr hoch. Ich habe auch andauernd irgendein Problem mit dem Rücken. Wie ein Spitzenfußballer eben (lacht). Ich bin deshalb auch in Physio-Betreuung. Wir haben auch Physiotherapeuten auf Tour mit. Es wird sehr viel darauf geachtet, dass wir nicht ganz kaputt gehen. Aber man geht immer ein bisschen kaputt. Das kann man nicht verhindern.
Lässt man sich da auch hin und wieder mal fitspritzen?
Ich hatte vor zwei Jahren eine schwere Rückenverletzung und wurde tatsächlich für jede einzelne Show komplett zugespritzt. Da war ich zwei Wochen voll auf Fentanyl. Heavy Zeug. Das hat mir nicht gefallen. Und ich habe mir geschworen, wenn ich noch mal in so eine Situation komme, breche ich die Tour ab.
Kann man sich das aus rechtlichen bzw. finanziellen Gründen überhaupt leisten?
Finanziell spüre ich keinen Druck. Aber den Fans gegenüber hat man eine große Verantwortung. Wenn Menschen ihr letztes Geld ausgeben und von 1000 Kilometern Entfernung anreisen und sich ein Jahr auf diesen einen Tag in ihrem Leben freuen. Du willst schon alles dafür tun, dass du ihnen diese Freude bringst. Aber es hat eine Grenze. Auf jeden Fall.
Auf was freut man sich, wenn man nach einer längeren Tour wieder zurück nach Hause kommt?
Auf mein eigenes Bett, meinen eigenen Fernseher und vor allem auf einen Kühlschrank. Es ist unglaublich, dass du dann wieder nach Wochen für deine eigene Ernährung selber verantwortlich bist. Ich mache dann einen Großeinkauf, koche mir etwas Schönes.
Würden Sie sich als jemanden beschreiben, der erfolgssüchtig ist?
In gewisser Weise ist Erfolg für einen Künstler eine Lebensnotwendigkeit, weil ohne Erfolg würde man nicht mehr davon leben können. Insofern geht man eine Symbiose mit dem Erfolg ein. Und ohne Frage kann man süchtig danach werden. Ohne Frage kann es einem schaden. Und ohne Frage kann Erfolg einen töten. Und ich bin sehr bemüht, dass es mir weder schadet, noch mich tötet. Aber die Gefahr ist natürlich immer gegeben. Es ist auf Dauer auch verdammt gefährlich, den Wert seiner Arbeit nur durch Anerkennung zu definieren.
Viele Musikerinnen und Musiker schaffen es nie ins Rampenlicht. Was braucht es, um Erfolg zu haben? Wird sich gute Musik immer durchsetzen?
Ich glaube, ja. Aber es braucht immer auch das Quäntchen Glück. Das ist immer im Spiel. Bei uns ging's eigentlich relativ schnell. Also wir waren nicht lange Underground, wir waren vielleicht eineinhalb Jahre Underground. Und dann habe ich das Gefühl, waren wir über Nacht fast schon Mainstream. Aber ich bin selber noch bemüht zu verstehen, warum das passiert ist, wie das passiert ist. Ich kann es immer nur an einem Moment festmachen. Und das war dieses „Wir sind Wien“-Festival 2015, wo man uns gebucht hat. Michaelerplatz im ersten Bezirk und die Verantwortlichen haben uns gesagt, sie rechnen mit so zirka 300 bis 500 Gästen und dann standen plötzlich 12.000 Menschen vor der Bühne. Da dachte ich mir: Okay, das wird jetzt eine interessante Lebensphase.
Die dauert bis heute an. Wie schwer ist es, dabei nicht auszubrennen, Energie für ein neues Album zu sammeln?
Das ist eine gute Frage. Ich kenne seit zwölf Jahren kein anderes Leben mehr. Ich hatte in den letzten zwölf Jahren nie eine Pause. Ich war immer beschäftigt. Mit dieser Band und mit den Konsequenzen dieser Karriere. Insofern weiß ich es nicht. Ich weiß auch nicht, wie lange man das auf dem Niveau machen kann. Ich habe nur das Gefühl, dass der Körper irgendwann Stopp sagt. Wenn man zu lange mit einer Pause wartet, wird der Körper sich melden. Noch geht's. Wie lange es wirklich geht, weiß ich nicht.
Die Band nimmt seit 2012 einen großen Teil Ihres Lebens ein. Sind Kunstfigur und Privatperson längst verschmolzen?
Alles, was ich auf der Bühne darstelle, ist ohne Zweifel ein Teil von mir – auch wenn dieser überzeichnet ist. Genauso wie die Kunstfigur sehne ich mich auch als Privatperson nach Exzess und Rausch, nach einem sinnlichen Zusammensein mit vielen Menschen. Und es ist ohne Zweifel ein Aspekt meines Daseins, den ich auf der Straße nicht ausleben kann. Ich kann sehr schwer den Verkehr am Ring blockieren und sagen: „Jetzt hebt alle eure Hände und singt mit mir.“ Auf der Bühne kann ich das aber machen.
Sind Sie auch privat jemand, der immer Menschen um sich braucht?
Im Privatleben lebe ich so zurückgezogen wie ein Mönch. Ich habe in meiner Freizeit wenig soziale Kontakte.
Einer Ihrer langjährigen Freunde ist Nino Mandl alias Nino aus Wien. Wann kommt ein gemeinsames Album?
Als wir noch unbekannt waren, haben wir manchmal mit Nino spontan die Bühne geteilt. Unlängst habe ich mit ihm, André Heller und einer Best of Austro Auswahl in der Elbphilharmonie gespielt. Mal sehen, was die Zukunft bringt, aber momentan kann für mich nichts den gewaltigen Rausch ersetzen, den ich mit Wanda auf der Bühne empfinde.
Braucht es diesen Rausch, diese Extreme, um Songs schreiben zu können?
Eher im Gegenteil. Also der Rausch auf der Bühne und auf Tour, der lacht einen so aus. Ich brauche eher dann Ruhephasen, um wieder zu Inspiration zu finden.
Also sitzen Sie bei einer Tasse Tee vorm Computer und schreiben Songs. Oder wie kann man sich das vorstellen?
Nein, ich sitze nicht vorm Computer, ich sitze vorm Klavier oder an der Gitarre. Aber mehr kann ich dazu eigentlich gar nicht mehr sagen. Das ist alles ungreifbar. Das Liederschreiben ist einfach ein sehr persönlicher, sehr intensiver Prozess. Aber wie das alles im Detail passiert, ist, egal wie ich ihn beschreibe, nicht mal im Ansatz so spektakulär, wie er wirklich in einem empfunden wird.
Wie lang arbeiten Sie grundsätzlich an einem neuen Album?
Es gibt Songs, die schreibt man in fünf Minuten und es gibt Songs, die liegen drei Jahre herum und werden immer wieder aufgegriffen und fallengelassen. Das ist dann ein alltäglicher Prozess. Nicht im Sinne von profan oder langweilig, sondern er ist immanenter Bestandteil meines Lebens. Ich bin immer auf der Suche nach dem nächsten Song.
Hat man mit dem neuen Album Trauerarbeit betrieben?
Dieses Album ist eine Momentaufnahme einer sehr speziellen Zeit in unserem Leben, in unserer Karriere. Es war alternativlos. Wir mussten ins Studio gehen, nach all dem, was passiert ist. Wir hatten das starke innere Verlangen und eine innere Notwendigkeit gefühlt, eine neue Platte zu machen. Natürlich geht es in den Liedern auch um die Schicksalsschläge, mit denen ich, wir konfrontiert wurden. Aber nicht nur.
Laut Pressetext ist es euer persönlichstes Album bislang. Ist das so?
Ich glaube, es gibt ein starkes Bedürfnis, es so zu lesen. Ich glaube, dass alle unsere Alben zutiefst persönlich sind. Ja, ohne Frage ist das dem ganzen zugrunde liegende Thema Verlust ein völlig anderer Trigger für alle Beteiligten als früher. Nicht, dass es nicht auf jeder Platte auch schon um Verlust gegangen wäre, aber jetzt ist es eben unübersehbar. Manchmal habe ich das Gefühl, wir tragen ein T-Shirt herum, auf dem eine Liste an Verlusten steht – und es ist sehr schwer, dieses T-Shirt jetzt noch auszuziehen.
Aber wäre es mit dem Album nicht auch möglich, das Kapitel des Verlustes einmal abzuschließen und den Blick nach vorne zu richten?
Das ist eine gute Frage. Also der Verlust gehört so unmittelbar zum Leben. Also ich glaube nicht, dass man Verlust abhaken kann. Also das ist keine Wunde, die jemals zugehen kann. Man trägt Verlust mit sich, durchs ganze Leben. Wenn man wirklich geliebt hat, dann hört es nie auf. Also da würde eine Platte gar nicht reichen. Aber wir haben die Platte nicht mit dem Anspruch gemacht, irgendeine tragische Lebensphase abzuschließen. Das würde den Menschen, die wir verloren haben, ja auch gar nicht gerecht werden. Die sind für immer bei uns.
Braucht es solche Situationen, um wieder mehr über sich, das Leben nachzudenken?
Ich glaube, dass der Mensch so in seinen Gewohnheiten gefangen ist, dass er tatsächlich nur durch eine Erschütterung lernt. Und nur durch eine Erschütterung geht ein kurzes, begrenztes Zeitfenster auf, in dem persönliche Weiterentwicklung möglich ist. Und man muss sich schon gegen das Fenster stemmen, dass es nicht wieder gleich zugeht, weil der Mensch gut darin ist, Sachen zu verdrängen. Es braucht also sehr viel Kraft, den Verlust zuzulassen und daraus zu lernen. Das ist kein einfacher Prozess.
Sie sind in den letzten Jahren offen mit dem Thema Psychotherapie umgegangen. Haben Menschen bestärkt, sich in Therapie zu begeben. In einem neuen Song mit dem Titel "Therapie" singen Sie nun aber: „Das ist ganz genau der Scheiß, den man lernt in Therapie“. Haben Sie Ihre Meinung geändert?
Also grundsätzlich kommunizieren meine Texte nicht meine Weltsicht. Der Song "Therapie" erzählt von einer komplizierten Liebesgeschichte und spiegelt mein persönliches Verhältnis zu einer Therapie nicht wider. Grundsätzlich muss ich noch sagen: Ich finde das öffentliche Gerede über Therapie einfach nicht mehr spannend. Ich finde es mittlerweile eher zum Kotzen. Am Ende muss jeder selbst entscheiden, ob er in Therapie gehen will oder nicht. Außerdem muss man auch sagen: Es können sich leider nicht alle Menschen eine Therapie leisten. Es hat eine gewisse Arroganz, wenn ein Künstler in der Öffentlichkeit etwas anpreist, das sich ein großer Teil der Gesellschaft gar nicht leisten kann. Das war – im Nachhinein betrachtet – falsch. Tut mir leid, dass ich da mitgespielt habe.
Spürt man als erfolgreicher Künstler eine gewisse Verantwortung gegenüber der Gesellschaft?
Man spürt immer wieder Verantwortung. Die Frage ist, kann man dieser Verantwortung gerecht werden? Und das ist ein Prozess, in dem ich mich auch erst zurechtfinden muss. Wir leben in einer Welt, in der täglich so viele Inhalte auf die Menschen einprasseln. Ob man da mit seinen Anliegen überhaupt noch durchkommt, kann man schwer sagen. Wenn man aber in der Stimmung ist, etwas zu sagen, von dem man überzeugt ist, soll man das machen. Aber manchmal ist es auch besser, wenn man den Mund hält.
Sieht sich Wanda als politische Band?
Ich bin davon überzeugt, dass Wanda eine zutiefst politische Band ist. Also diese Band hat sich in den letzten Jahren exzessiv gegen Homophobie, gegen Frauenhass, gegen Rassismus ausgesprochen. Wir haben unlängst erst auf Instagram dazu aufgerufen, keine rechten Parteien zu wählen. Diese Band steht für Zusammenhalt und Liebe, steht gegen Hetze und gegen Hass auf. Wir haben sogar mal dazu aufgerufen, dass Menschen ihre Konzertkarten zurückgeben, wenn sie eine hasserfüllte Einstellung gegenüber Minderheiten haben.
Das löst natürlich Reaktionen aus. Wie sehr bekommen Sie die persönlich zu spüren?
Also Angst, mich politisch zu äußern, spüre ich nicht. Noch nicht. Aber es gibt eine Partei in diesem Land, vor der ich Angst habe. Aber auch wenn diese Partei die Macht übernehmen sollte, werde ich trotzdem weiterreden. Grundsätzlich muss ich aber sagen, dass es nur einen kleinen Prozentsatz gibt, der auf unsere Botschaften mit Ablehnung reagiert. Der Hass, den ich online abkriege, berührt mich nicht mehr. Ich bin Teflon. Also ich bin so erfolgreich, dass mir das völlig wurscht ist, was für hasserfüllte, kaputte, gescheiterte Existenzen da versuchen, mich zu traktieren. Aber mir tut es leid um eine 16-Jährige in unserer Gesellschaft, die ein Foto von sich postet und irgendjemand schreibt drunter: "Du Hure"
Hat der Hass in letzter Zeit zugenommen?
Es gibt viel zu viel Hass in unserer Gesellschaft, vor allem aus dem rechten Spektrum – und die machen auch vor Kindern und Jugendlichen nicht Halt. Wir haben eine Partei, die explizit gegen die LGBTIQ -Gemeinde hetzt. Diese Gemeinde umfasst ja nicht nur Erwachsene, die vielleicht irgendwie damit umgehen können, sondern diese Gemeinde umfasst auch Teenager. Und wie kann das sein, dass wir in einer Gesellschaft leben, in der wir es tolerieren, dass eine Partei gegen Kinder hetzt? Das hinterlässt mich sprachlos.
Wie viel Wien steckt in Wanda?
Dass diese Band explizit Wien besingt, halte ich für einen Mythos, muss ich sagen, wie die Beatles und Liverpool oder Oasis und Manchester oder Nirvana und Seattle. Na klar kann man uns als explizit im Wiener Idiom behaftet lesen, aber ich fänd's irgendwie schade, weil unsere Botschaften keinen geografischen Bezug haben.
Wanda ist eine der erfolgreichsten österreichischen Bands der vergangenen Jahre. 2012 in Wien gegründet, veröffentlichte die Band bislang fünf hunderttausendfach verkaufte Alben und wurde immer wieder mit Gold- Platin- und zahlreichen anderen Awards ausgezeichnet. Mit millionenfach geklickten Hits wie "Bologna", "Bussi Baby" oder "Columbo" haben Wanda das Lebensgefühl einer Generation geprägt. Das neue und sechste Album der Band heißt "Ende nie" und erscheint am Freitag (7. Juni). Wanda live: 23. Juni Donauinselfest, 19. Juli Graz, 20. Juli Burg Clam, 2. August Lustenau, 30. August Kufstein, 21. Dezember Wien.
Ein Lied heißt „Fuck YouTube“. Was genau stört Sie an YouTube?
Meine Texte sind keine persönlichen Weltanschauungen oder Statements, sondern Geschichten. Es geht in diesem Lied um jemanden, der zu einem anderen sagt: "Bitte dreh dieses Lied ab." Und im Zorn sagt er noch „Fuck YouTube!“ Und damit meint er eigentlich: "Ich will dieses Lied jetzt nicht hören."
Aber sollte man als Musiker gegenüber Plattformen wie YouTube und Spotify nicht kritisch sein?
Sagen wir so: Musiker haben zu allen Zeiten immer die Medien, auf denen sie vertrieben wurden, gehasst. Also man hat sich gegen Vinyl gewehrt, dann hat man die CDs verteufelt, jetzt verurteilt man Spotify und YouTube. Das wird sich nie ändern. Am Ende fühlen sich Musiker immer um irgendwas betrogen. Ich bin einfach so damit beschäftigt, Musik zu machen, dass mir der Vertriebsweg egal ist.
Stimmt es, dass Sie jahrelang ohne Smartphone gelebt haben?
Das mache ich immer noch (Marco Wanda nimmt sein Mobiltelefon, das am Tisch liegt, und zeigt es mir. Es ist ein EMPORIA für Sehbeeinträchtigte.)
Sie sind also in keiner WhatsApp-Gruppe?
Um Gottes Willen. Nein!
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