Schriftstellerin und Holocaust-Überlebende Ruth Klüger ist tot

Ruth Klüger 2016 im deutschen Bundestag.
Die in Wien geborene Literaturwissenschaftlerin emigrierte in die USA und startete spät eine Schriftstellerkarriere. Sie starb 88-jährig.

Die Literaturwissenschaftlerin, Autorin und Holocaust-Überlebende, Susanne Ruth Klüger, ist tot. Sie war in Wien geboren und floh in der NS-Zeit. Klüger war die Tochter eines jüdischen Frauenarztes in Wien. Ihr Vater starb im Holocaust, sie selbst war in Theresienstadt und im KZ Großrosen gefangen. Kurz vor Kriegsende 1945 gelang ihr die Flucht. 1947 emigrierte sie in die USA.

Die jüdisch-amerikanische Holocaustüberlebende hat erst im Alter die große Öffentlichkeit gesucht und gefunden.Sie galt als "unsentimental und unbestechlich", ihre Haltung zur Nazivergangenheit Deutschlands und Österreichs war eindeutig."Wir Überlebende sind nicht zuständig für Verzeihung", sagte Klüger einst. Und: "Ich halte Ressentiment für ein angebrachtes Gefühl für Unrecht, das nicht wiedergutzumachen ist." Zu groß waren und sind die Enttäuschungen, die Kränkungen, die Trauer um von den Nazis getötete Menschen.

1942 verschleppt

Klüger wurde am 30. Oktober 1931 in Wien geboren. Im September 1942 deportierten sie die Nazis mit ihrer Mutter ins KZ Theresienstadt, dann nach Auschwitz-Birkenau und schließlich nach Christianstadt. Die Gefangenschaft hat sie nach eigenen Worten auch durch die Liebe zur Lyrik überlebt. Als damals zwölfjähriges Kind dichtete sie im Vernichtungslager Auschwitz: "Fressen unsere Leichen Raben? / Müssen wir vernichtet sein? /Sag, wo werd ich einst begraben? / Herr, ich will nur Freiheit haben / und der Heimat Sonnenschein." Auf einem Todesmarsch von Lager zu Lager gelang ihr mit ihrer Mutter die Flucht.

Emigration in die USA

Nach Kriegsende lebten Mutter und Tochter zunächst in Straubing in Bayern. 1947 emigrierten sie in die USA. In New York und in Berkeley im US-Bundesstaat Kalifornien studierte Klüger Bibliothekswissenschaften und Germanistik, wurde Expertin für mittelalterliche Literatur, Hochschullehrerin und Literaturkritikerin. Jahrzehnte lang hat Ruth Klüger nur als Wissenschafterin publiziert. Erst als sie Ende der 1980er-Jahre bei einem Verkehrsunfall in Göttingen lebensgefährlich verletzt wurde, begann sie, ihre Lebensgeschichte niederzuschreiben.

Späte Karriere als Literatin

 "weiter leben - eine Jugend" wurde der erfolgreiche Start einer späten Karriere als Literatin. In der 1992 veröffentlichten Biografie (die 2008 als Gratisbuch in 100.000 Exemplaren in Wien verteilt wurde) schildert sie ihre Kindheit in Wien, ihre Jugend in den Konzentrationslagern und die Nachkriegszeit in Bayern, in "unterwegs verloren" (2008) ihre Lebensgeschichte nach der Emigration in den USA. Zu den bekanntesten weiteren Werken Klügers zählen "Frauen lesen anders" (1996), "Katastrophen. Über deutsche Literatur" (1997) und "Was Frauen schreiben" (2010). Unter dem Titel "Zerreißproben" (2013) versammelte sie erstmals ihre seit 1944 entstandenen Gedichte.

"Machthaber waren Männer"

Die Fiktion ist nicht ihr Genre. "Ich hab's mehrmals versucht, aber ich kann keine G'schichterln erzählen. Es ist ein ganz besonderes Talent, und je öfter ich es versuche, desto mehr bewundere ich die Romanciers und Geschichtenschreiber", umschrieb sie ihre Vorliebe fürs Autobiografische und Sachliche. Dass sie bei ihren Reden als "Holocaustüberlebende" vorgestellt wird, störte sie nicht. Was sie störte, ist das aus ihrer Sicht sprachlich schiefe Bild des berühmten Brecht-Zitats "Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch" über die Gefahr einer wiederaufkommenden Barbarei. Der Faschismus sei Männersache gewesen. "Die Machthaber waren alles Männer. Deswegen soll man nicht von einem Schoß sprechen. Die Metapher stört die Germanistin."

 Ruth Klüger lebte zuletzt abwechselnd in Irvine im US-Bundesstaat Kalifornien und im deutschen Göttingen. Zu ihren zahlreiche Auszeichnungen zählen der Österreichische Staatspreis für Literaturkritik (1997), der Bruno-Kreisky-Preis für das politische Buch (2001), die Ehrendoktorwürde der Universität Göttingen (2003), der Roswitha-Preis (2006), der Lessing-Preis (2007) und der Theodor-Kramer-Preis (2011).

Merkels Satz "heroisch"

Am 27. Januar 2016 hielt Ruth Klüger im Rahmen der Gedenkstunde zum Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus im Deutschen Bundestag die Gedenkrede, in der sie ihre Erlebnisse als Zwangsarbeiterin im Konzentrationslager schilderte. Am Ende der Rede lobte sie die Öffnung der deutschen Grenzen in der Flüchtlingskrise und bezeichnete Angela Merkels Satz Wir schaffen das als „heroisch“.

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