"Les Martyrs" im Museumsquartier: Ein sinnbefreites, grelles Nichts
War das wirklich notwendig? Musste Regisseur Cezary Tomaszewski den Titel von Gaetano Donizettis 1840 in Paris uraufgeführter Grand Opéra „Les Martyrs“ wirklich so wörtlich nehmen? Denn all das, was szenisch bei dieser Opernrarität zu sehen ist, löst tatsächlich viele Qualen aus. Und zwar beim Publikum, das sich am Ende mit einem Buhorkan für das Gesehene und Geschehene rächte.
Umarbeitung
Aber der Reihe nach. Mit seinem Werk „Poliuto“ drang Donizetti einst nicht bei der italienischen Zensur durch, da es hier um Märtyrertode geht. Somit arbeitete der Komponist die Oper einfach für Paris um. In französischer Sprache, vier Akten und mit dem damals obligaten Ballett.
Doch auch das macht die etwas krude Handlung (Libretto immerhin von Eugène Scribe) nicht wirklich besser. Armenien im dritten Jahrhundert nach Christus. Die Römer herrschen, wer sich als Christ deklariert, wird getötet. Dieses Schicksal könnte Polyeucte ereilen, der aber mit Pauline, der Tochter des römischen Gouverneurs Félix verheiratet ist. Diese war eigentlich in einen gewissen Sévère verliebt, der als tot gilt, dann aber als Prokonsul zurückkehrt. Pauline steht zwischen zwei Männern und zwei Religionen – am Ende sterben sie und Polyeucte gemeinsam den Märtyrertod.
Umdeutung
Als wäre das alles nicht kompliziert und lang genug, hat Cezary Tomaszewski noch zwei weitere Ebenen eingezogen. Einmal den Genozid an den Armeniern im Jahr 1915 und dann noch eine Art fiktive Astralwelt im Jahr 3.000-irgendwas. Soll sein. Doch die Ästhetik ist inferior. Ja, per Video-Einblendungen kann man philosophische Kalendersprüche lesen, dazu auch die Namen ausgewählter Opfer des Genozids. Die Bühne wird von einem Rondell dominiert, überall liegen Stofftorsi herum. Die Ballettszenen – merke: junge Römer feiern gern extravagante Gay-Partys – wirken wie eine ganz peinliche Parodie auf „La Cage aux Folles“.
Unfug
Die Astralebene könnte ihrer optischen Anmutung nach (Bühne und Kostüme: Aleksandra Wasilkowski) auch als „Flash Gordon“-Satire durchgehen. Dazu sind die Gesichter fast aller Protagonisten rot beschmiert; am Schluss stehen aber einige im Nachthemd da. Es gibt grelle Masken, herabhängende Zusatzarme und wieder Torsi und vieles mehr – die Optik erinnert an einen unfassbar schlechten Song-Contest-Beitrag. Das ist insgesamt ein durchgeknalltes, völlig sinnbefreites, grelles und nerviges Nichts. Gesungen aber wird meist nur an der Rampe.
Das aber immerhin gut. Mit der italienischen Sopranistin Roberta Mantegna ist eine stimm- und höhensichere Pauline aufgeboten. Für den Tenor John Osborn scheint es als toller Polyeucte keine vokalen Grenzen nach oben zu geben. Eine Freude auch der durchschlagskräftige, sehr starke Bariton Mattia Olivieri als Sévère. David Steffens als Félix sowie Nicolò Donini und Patrick Kabongo ergänzen.
Ein absolutes Ereignis ist aber der hier zu allerlei szenischen Blödheiten genötigte, dennoch vollendet singende Arnold Schoenberg Chor. Am Pult des oft animierten, sicheren ORF Radio-Symphonieorchesters Wien waltet der vom Originalklang kommende Jérémie Rhorer seines Amtes. Er zelebriert Donizetti mitunter gar allzu sehr und betont damit indirekt auch die Durchhänger des Stücks. Ein paar Striche mehr hätten da wirklich nicht geschadet. Jubel für die musikalische Seite.
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