Staubfrei
Wer jetzt denkt, dies sei eine „Salome“ aus dem Theatermuseum, irrt. Denn etwa im Gegensatz zur gewollt coolen Neuproduktion an der Wiener Staatsoper (Regie: Cyril Teste) hält diese Produktion dem Staub der Zeit stand.
Natürlich erkennt man visuell das Entstehungsjahr, lange vor Romeo Castelluccis noch viel radikalerer Salzburger Deutung aus dem Jahr 2018. Aber diese Neueinstudierung hat einen Vorteil: Bondy, dessen Witwe, Wonder und Childs erzählen die Geschichte ohne Kitsch, Schwulst oder irgendwelcher anderer Ablenkungen.
Hier geht es um das Bild einer völlig kaputten Familie, um das Verhältnis von Eros und Thanatos, um Sex und Religion. Diese Salome ist ein (wohl von Herodes sexuell missbrauchter) meist hysterischer Teenager-Todesengel; sogar der berühmt-berüchtigte Schleiertanz geht ohne jede Peinlichkeit über die Bühne.
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Und die Volksoper hat dazu die passende Besetzung. Etwa Astrid Kessler als auch vokal flexible Prinzessin Salome. Sicher: Diese Partie ist grenzwertig und Opernlegenden haben sie gesungen, aber Kessler meistert alle Herausforderungen sehr gut, ist darstellerisch überzeugend.
Gleiches gilt für Wolfgang Ablinger-Sperrhacke, der längst als Herodes vom Dienst gelten darf. Einen besseren, sexuell derart besessenen Tetrarchen wird man heute kaum finden. Ein grandioser Singschauspieler!
Als Prophet Jochanaan hat der finnische Bariton Tommi Hakala nicht nur viel zu singen, sondern auch mit Nachdruck einiges zu sagen. Ein Gewinn für die Volksoper. Ursula Pfitzner wiederum gibt eine erfreulich unaufgeregte, aber die Strippen im Hintergrund stets fabelhaft ziehende Herodias; JunHo You ist ein Narraboth, von dem man gern mehr gehört hätte. Doch stückbedingt ereilt ihn bald der Tod. Stephanie Maitland (Page) sowie die fünf Juden (Karl-Michael Ebner, David Kerber, Jason Kim, Stephen Chaundy, Alexander Fritze) und das übrige Ensemble lassen nur wenig Wünsche offen.
Und Omer Meir-Wellber am Pult des tollen Orchesters? Seine „Salome“ ist ein musikalisch hochenergetischer, mitunter auch etwas zu lauter, aber immer unter Volldampf stehender Psychothriller. Der scheidende Musikdirektor macht bei Strauss keine Gefangenen. Und auch das ist gut so. Jubel!
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