Für den kanadischen Regisseur, der bei den Sommerfestspielen in Salzburg auch den "Jedermann" inszenieren wird, war es - nachvollziehbarerweise - bei "La clemenza di Tito" völlig klar: Das Werk, 1791 uraufgeführt und zur Krönung Leopolds II. zum König von Böhmen komponiert, muss in der Jetzt-Zeit spielen. Die Themen Macht, deren Ausübung, Milde versus Unterdrückung, Vertrauen, Intrigen im Hintergrund sind topaktuell. Vielleicht spielt die Liebe, die bei Mozart noch so wichtig war, in diesem Kontext heute eine geringere Rolle. Nennen wir es halt stattdessen Sexualität, der Umgang damit ist der Macht nicht fremd.
Robert Carsen lässt die Geschichte, in der Sesto einen Anschlag aufs Kapitol (Achtung, aufs römische!) plant und Titus, aufgehetzt von Vitellia, ermorden lassen will, in Sitzungsräumen spielen, im Büro des Regierungschefs, in den Gängen davor. "House of cards" lässt grüßen, die wirklich Bösen sind da wie dort in der zweiten Reihe. Der Anschlag wird mit Bildern vom Sturm aufs Kapitol in Washington im Jahr 2021, zu dem Donald Trump seine Unterstützer angestachelt hatte, unterlegt. Und man sieht das aufgehetzte Volk im Heiligtum der Demokratie wüten.
An die Macht will solcherart vor allem Vitellia kommen. Sie setzt ihre Reize ein, völlig antifeministisch heutzutage, besticht Securitys, becirct Sesto und schafft es am Ende, selbst die Herrschaft zu übernehmen und Titus, der sie eigentlich ehelichen wollte, ermorden zu lassen. Dass eine skrupellose Frau wie sie hier optisch an Giorgia Meloni erinnert, wird kein Zufall sein.
Insgesamt entlarvt Carsen gekonnt und klug die Machtgier vieler Politiker, auch den Populismus, die Illoyalität und Gnadenlosigkeit in unserer Zeit.
Die Personenführung ist erstklassig, die monochrome Bühne (Gideon Davey) zeigt perfekt die Kälte in Amtsgebäuden und die Verlorenheit des Individuums, dann wandelt sie sich rasch zu intimeren, kammerspielartigen Räumen. Und der Topprofi Carsen weiß auch ganz genau, wann seine Inszenierung Ruhe und wann sie Action braucht.
Zum großen Erfolg macht diese Produktion der Salzburger Festspiele Pfingsten auch das Orchester Les Musiciens du Prince - Monaco unter der Leitung von Gianluca Capuano. Die Gestaltung auf alten Instrumenten ist hochdramatisch, transparent, präzise, klanglich wunderbar ausbalanciert. Capuano erzählt die Geschichte kongenial mit Carsen, wenn es auf der Bühne brennt, brennt es auch im Orchestergraben, man hört die Leidenschaft und die Tragödie.
Auch die Besetzung ist famos. Daniel Behle singt den Tito Vespasiano ausdrucksstark, mit sehr guter Höhe, enorm intensiv. Das Zentrum auf der Bühne ist aber sängerisch wie darstellerisch Cecilia Bartoli, die künstlerische Leiterin des Festivals, die erstmals in ihrer langen Karriere den Sesto singt. Und das mit Hingabe, tollen Koloraturen, berührenden lyrischen Momenten, durchaus guter Höhe, weniger Kraft in der Tiefe und in den dramatischen Ausbrüchen. Aber was macht das schon bei einem Energiebündel wie Bartoli, das jede psychologische Facette des ehemaligen Freundes, der zum Attentäter wird, auslotet.
Alexandra Marcellier ist eine Vitellia mit guter Präsenz in der Höhe und wesentlich weniger in den tieferen Registern, Melissa Petit eine fabelhafte Servilia, Anna Tetruashvili ein ausgezeichneter Annio. Und Ildebrando D'Arcangelo zeigt als Publio, was für ein großartiger Mozart-Sänger er war und nach wie vor in manchen Rollen ist.
Das Publikum dankte mit viel Applaus, teils auch Jubel und Minieinwänden. Eine ausgezeichnete Mozart-Premiere im Haus für Mozart, die politisch viele Fragen stellte und künstlerisch sehr viele beantwortete.
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