Künstlersorge ums Stadtbild: Verstellte Sichtlinien

Visualisierung der Neugestaltung am Heumarkt
Kommentar. Wäre es nicht Aufgabe der Künstler, Wien aus dem pragmatisierten Erbestatus in die Zukunft zu führen?

Es ist die Zeit ja vorbei, in der sich die orientierungslose Bevölkerung von den Künstlern durch schwierige tagespolitische Fragen leiten ließ, ja, diese hoffnungsvoll anblickte, auf dass ihr die Welt heller gemacht oder das Gewissen aufgeweckert werde. Das kann man gut und schlecht finden: Schlecht, weil sich zugleich weite Teile der Bevölkerung überhaupt in eine Total-Ablehnung der gefühlten Eliten begeben hat, insbesondere jener Eliten, die für Toleranz und Gelassenheit plädieren.

Gut kann man die politische Entschleunigung der Künstler finden, weil die Welt inzwischen so komplex ist, dass sie sich der einfachen Lösung und damit auch der simplen Wegweisung verschließt. Das komplexe Projekt namens Kultur, sich mit dem Menschen in all seinen Facetten künstlerisch zu beschäftigen, ist heute ohnehin schon politischer denn je.

So wäre es auch nicht weiter verwunderlich, dass sich die Künstler zuletzt auch bei wirklich tief am gesellschaftlichen Gefüge schrammenden Gelegenheiten nicht zu Wort meldeten; etwa bei jener Diskussion um das Demonstrationsrecht, bei der die Verfassung schon recht deutlich versucht hat, auf sich aufmerksam zu machen.

Dass man zur vielleicht nachhaltigsten derzeitigen Gefahr für die freie Gesellschaft, nämlich zur Überwachungsstaatsstruktur, die das Silicon Valley aufgebaut hat und die allzu viele Politiker gerne benützen würden, dass man dazu nichts von Künstlerseite hört, ist schon Gewohnheit. Leider.

Wie gesagt: Das weitestgehende Schweigen der Künstler wäre nicht weiter verwunderlich gewesen, wenn sie sich nicht jetzt doch zu Wort gemeldet hätten. Und zwar in großer Zahl und großer Prominenz. Es gilt nämlich zu verhindern, dass ... und jetzt wird’s schwierig.

... das Stadtbild Wiens durch ein, huch, Hochhaus verschandelt würde. Oder auch, dass Wien seinen Weltkulturerbestatus verlöre. Oder auch, dass sich die, Vorsicht!, Superreichen Luxuswohnungen an einem zentralen Wiener Ort errichten.

Das Erscheinungsbild der Innenstadt würde durch den Bau am Heumarkt "massiv verändert" werden, es drohe der "Ausverkauf der gesamten Ringstraßenanlage": 400 Künstler haben sich auf einer Unterschriftenliste vereint dagegen ausgesprochen.

Es kann also mehr oder weniger die Gesellschaft untergehen; wenn es aber um die Sichtlinien der Wiener Innenstadt oder auch um einen Kampf gegen die Internationale der Reichen und Superreichen geht, gibt es eine scharfe Aussendung.

Das hinterlässt Ratlosigkeit, auch wenn dieses Projekt sicher nicht das sympathischste ist. Schenken die Superreichen ihr Ausbeutungsgeld plötzlich an die Armen, wenn sie den Heumarkt nicht verbauen dürfen? Ist der ungestörte Blick vom Belvedere (Prunkbau eines Superreichen von einst) auf den Stephansdom (Prunkbau einer supersupersuperreichen Institution), hinweg über die Prachtbauten der Monarchie, nicht ein tönerner Kampfgrund? Wäre es nicht Aufgabe gerade der Kultur, diese Stadt von ihrem pragmatisierten Erbenstatus in eine Zukunft zu führen?

Und warum schafft es jede Stadt der Welt, spektakuläre moderne Architektur an zentrale Orte zu stellen, nur Wien streitet um jeden faden Bau?

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