Kolonial-Restitution: Wegmarken am Pfad zur Gerechtigkeit
2023 sollen in Österreich Regeln für Kulturgut aus kolonialen Kontexten vorliegen. Der Direktor des Weltmuseums erklärt den Stand des Prozesses
09.11.22, 18:00
„Ich glaube, wir haben einen Moment, in dem ein relativ breiter Konsens herrscht“, sagt Jonathan Fine. „Alle, die sich mit der Materie beschäftigt haben, sagen: Wenn etwas nicht einvernehmlich in den Sammlungen ist, muss es zurückgehen.“
Auch wenn Österreich nie Kolonialmacht war, finden sich in den Sammlungen der Bundesmuseen doch zahlreiche Exponate, die ohne die Regime der Kolonialisierung und Ausbeutung – und mitunter ganz brutale Plünderungen – nie ins Museum gelangt wären. Leitfiguren der Debatte sind seit einigen Jahren die „Benin-Bronzen“ – das Weltmuseum besitzt viele davon (siehe Artikel unten).
Doch auch Objekte aus Neuseeland oder Brasilien sind Kandidaten für Rückforderungen, auch das NHM oder das Technische Museum arbeiten diesbezüglich ihre Bestände auf. „Ich gehe auch davon aus, dass der Federkopfschmuck immer wieder ein Thema sein wird“, sagt Fine mit Blick auf die berühmte aztekische Federkrone im Weltmuseum, die schon oft zurückgefordert wurde.
Forderungen an die Politik stellt der Direktor des Weltmuseums Wien nicht – wurde er doch von Kulturstaatssekretärin Andrea Mayer im Jänner dazu berufen, mit einem Expertengremium Vorschläge für den Umgang Österreichs mit kolonialem Kulturgut zu erarbeiten. Nur eine „Hoffnung“ formuliert Fine in Richtung Gesetzgebung: „Dass sie agiert, während es diesen Konsens gibt.“
Während andere Länder bisher stets Einzelfall-Lösungen erarbeiteten, sieht der österreichische Weg vor, dass Rückgabe-Anfragen einen transparenten Prozess durchlaufen. Das setzt voraus, dass es solche offiziellen Anfragen überhaupt gibt – derzeit, so Fine, ist dies noch nicht der Fall. Das unterscheidet die Ausgangslage von den „Washingtoner Prinzipien“ zur Rückgabe von NS-Raubkunst: Hier verpflichten sich die Unterzeichner, von sich aus Anspruchsberechtigte ausfindig zu machen.
Wer forscht wo?
Allerdings würden Museen ihre Bestände bereits jetzt „proaktiv“ aufarbeiten, um auf allfällige Rückgaben vorbereitet zu sein. Das Kulturministerium (BMKÖS) fördert dahingehend zahlreiche Forschungsprojekte.
Die noch nicht vollends geklärte Frage ist, ob die Provenienzforschung Sache der Museen bleibe – oder ob, analog zum Prozess bei NS-Raubkunst, externe Expertinnen und Experten eingesetzt werden. Allerdings sei die Ausgangslage im kolonialen Kontext vielfältiger und brauche mehr detailliertes Wissen über Herkunftskontexte und Rechtssysteme, erklärt Fine: So könnte ein „Verkauf“ in einer anderen Kultur einst bedeutet haben, dass ein Objekt nur fünf Jahre den Besitzer wechselt – im westlichen Verständnis aber war die Übertragung permanent.
Kooperation forciert
„Wir brauchen hier kooperative Ansätze“, sagt Fine, der sich aktuell bemüht, sich mit diasporischen Gemeinschaften zu vernetzen – also mit Menschen, die aus den Herkunftsländern der betroffenen Objekte stammen, aber in Österreich leben. Im vergangenen September fühlten sich Teile der afrikanischen Community hier nicht beachtet und organisierten eine Art Gegen-Symposium – dabei habe es nur eine unglückliche Terminkollision mit einem Treffen des Gremiums gegeben, wie Fine beteuert.
Alle Stimmen zu hören, ist dennoch eine Herausforderung – zumal sich der Aufarbeitungsprozess nicht nur auf Rückgaben, sondern auch auf Einbindung internationaler Forscherinnen und Forscher beziehen sollte. Solche, so Fine, hatten in der Vergangenheit oft keine Visa bekommen – ein Missstand, dessen Behebung das Gremium jedenfalls empfehlen werde.
Kommentare