Restitution nach Afrika: „Nicht mehr möglich, nein zu sagen“

Restitution nach Afrika: „Nicht mehr möglich, nein zu sagen“
Bénédicte Savoy, prominenteste Verfechterin der Restitution afrikanischer Kunst, im Gespräch

„Wenn Sie nach Mexiko reisen, können Sie mexikanische Kultur sehen. Wenn Sie in die Südsee oder nach Australien fahren, sehen Sie lokale Artefakte. Wenn Sie nach Afrika südlich der Sahara reisen, sehen Sie fast nichts.“

Es ist die extrem ungleiche Verteilung des materiellen Kulturerbes, die Afrika für Bénédicte Savoy zum Sonderfall macht. Die Französin, die ihre Doktorarbeit über Napoleons Kunst-Beutezüge in Deutschland schrieb und an der TU Berlin über historischen Kunstraub forscht, steht im Zentrum der Debatte über Kunstrückgaben an die Staaten Afrikas. Der Bericht, den Savoy mit dem senegalesischen Wissenschafter Felwine Sarr im Auftrag von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron 2018 vorgelegt hatte, sprach sich klar für Restitutionen aus – und brach Tabus.

Neue Ethik

Den Eindruck, dass seitdem wenig passiert ist, wollte Savoy Montag im Wiener Kreisky Forum, wo sie vor einer Podiumsdiskussion mit Journalisten sprach, zerstreuen.

„Was uns Europäer enttäuscht, ist, dass es nicht in unserem Rhythmus vorangeht“, sagt sie. Macron, der kurz nach Abgabe des Berichts von Gelbwesten-Protesten überrollt wurde, hätte 26 Objekte aus dem Pariser Musée du Quai Branly gern rasch an die Republik Benin retourniert. Experten vor Ort wollten aber auf die Fertigstellung des dortigen Museums warten. „Rückgaben dürfen keine plötzliche Geste sein“, sagt Savoy dazu. „Wenn wir von einer neuen Ethik der Beziehungen sprechen wollen, ist es normal, dass man dem Partner Zeit lässt.“

Insgesamt sei die öffentliche Resonanz auf Macrons Vorstoß außerhalb Frankreichs größer gewesen, erklärt Savoy: „Dass in Deutschland die Erforschung kolonialer Provenienzen in Museen im Koalitionsvertrag der Regierung steht, wäre ohne ihn nicht passiert.“ In Österreich ist das Thema noch nicht auf einer solchen politischen Ebene gelandet – ein Umstand, den Christian Schicklgruber, Direktor des Weltmuseums Wien, am Podium des Kreisky-Forums durchaus bemängelte. Das Haus besitzt u.a. zahlreiche „Benin-Bronzen“, Objekte, die von britischen Truppen in einer „Strafexpedition“ 1897 geraubt wurden.

Greifbare Geschichte

Dass die Geschichten, die Kunst-, Kult- und Alltagsgegenstände ins Museum brachten, erforscht und erzählt werden, ist Savoys zentrales Anliegen. Und sie lässt nicht gelten, dass vieles, was sie als „asymmetrische Bedingungen des Erwerbs“ bezeichnet, früher einmal gang und gäbe war. „Unter kolonialen Bedingungen war vieles legal, auch Plünderung“, erklärt sie. „Die Frage ist nicht, ob wir uns an der Legalität von damals orientieren. Wenn heute afrikanische Staaten oder Gemeinschaften sagen: Dieses oder jenes Objekt ist uns wichtig, und wir hätten es gerne zurück, dann besteht das Umdenken, der Paradigmenwechsel, darin, dass es nicht mehr möglich ist, nein zu sagen.“

Beharren auf Restitution

Von Alternativen – etwa Dauerleihgaben, zirkulierenden Ausstellungen oder Reproduktionen materieller und digitaler Art – hält die Forscherin nichts. „Wir legen viel Wert auf den Begriff Restitution“, erklärt sie. „Ob es zu einer Restitution kommt, ist eine andere Frage, aber das Wort beinhaltet die Auseinandersetzung mit dieser asymmetrischen Geschichte.“

Objekte in der Welt zirkulieren zu lassen, sei ohnehin das tägliche Geschäft der Museen, führt Savoy aus. „Doch wer kann entscheiden, was zirkuliert? Museumsdirektoren in Afrika sagen uns: So lange wir keine eigene Sammlung anzubieten haben, werden wir in diesen großen Flüssen von Kunstwerken nie ernst genommen werden. Ein sehr berühmtes Beispiel, wo wir sehen, wie es funktionieren kann, ist der Schatz des Tutanchamun. Kairo hat diesen großen Schatz und kann ihn zirkulieren lassen – die Ausstellung ist momentan in Paris ein Riesenerfolg. Aber die Entscheidungsgewalt hat Kairo und nicht Paris, und das ist ein ganz großer Unterschied.“

Die häufig vorgebrachte Befürchtung, wonach Europas Museen im Fall einer umfangreichen Aufarbeitung von kolonialen Beständen leergeräumt wären, nennt Savoy „reine Angstmache“: „Es geht nicht darum, Zehntausende Objekte en masse zurückzugeben. Es geht um einzelne, symbolisch und psychologisch besonders wichtige Objekte.“

Übereifrige Sammler

Tatsächlich erzählen die Zahlen, die Savoy über die Sammlungszuwächse europäischer Museen recherchiert hat, eine klare Geschichte – im besten Fall von wissenschaftlichem Übereifer, im schlechtesten von Raffgier. 70.000 Objekte aus Sub-Sahara-Afrika lagern im Musée du Quai Branly in Paris, rund 1000 davon sind ausgestellt. Gut 37.000 Objekte zählt das Weltmuseum Wien in derselben Kategorie, auch hier ist nur ein Bruchteil sichtbar.

Die Wissenschafterin betont auch mehrfach, dass es bei dem von ihr und ihren Mitstreitern propagierten Umdenken nicht um Bestrafung, Rache oder die Belastung des Westens mit einem schlechten Gewissen gehe.

„Es gibt nichts besseres für eine Gesellschaft, als über sich selbst Bescheid zu wissen“, sagt sie. „Die Geschichte der Kolonialzeit ist schwierig anzusprechen. Über die Kunst, die Schönheit und das Kulturerbe kann man wenigstens Gespräche anfangen, die sonst nicht möglich wären, weil es dann oft um Menschenleben und Blut geht. Hier ist etwas aufbewahrt worden, und man muss den Museen zugute halten, dass sie es gepflegt haben.“

Das Weltmuseum Wien sei übrigens in seinem Bemühen, die Geschichte der eigenen Sammlungen kritisch zu beleuchten, „im europäischen Vergleich weit vorne“, lobt Savoy. Doch es gebe noch viel zu tun: „Wenn ich für etwas plädiere, dann für mehr historisches Bewusstsein, generell und gerade in Museen. Denn sie sind heute jene Orte, wo unsere Geschichte am zugänglichsten ist.“

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