Kinofilme der Woche: Ein „Pate“ allein gegen die Mafia
von Gabriele Flossmann
"II Traditore": Ein Mafia-Boss als Kronzeuge
Die Mafia ist in Italien nicht unbedingt ein Gegenspieler des Staates – sondern (allzu) oft ein Partner. Miteinander wird die für beide Seiten angenehmste Lösung ausgehandelt – und daraus ergibt sich dann das Schicksal des ganzen Landes und seiner Bevölkerung.
Diese Geschichte erzählt der Film und zeigt ungeschönt die Verflechtungen zwischen Staat und Verbrechen in Italien. Dagegen wirken die Mafia-Epen und Thriller von Francis Coppola oder Martin Scorsese, die ihre „Freunde der italienischen Oper“ in ihrer zum Kult gewordenen Ästhetik zeigen, fast wie Propagandafilme.
Der italienische Regisseur Marco Bellocchio baute seinen Anti-Mafia-Film rund um die wahre Geschichte des Kronzeugen gegen die Cosa Nostra. Daraus geworden ist ein vielschichtiges Porträt von Tommaso Buscetta.
Er war Anfang der 80er-Jahre zusammen mit seiner Familie nach Rio de Janeiro geflohen, weil er – obwohl selbst ein berüchtigter Mafia-Boss – genug hatte von den mittels Drogenhandel immer reicher und immer brutaler werdenden „Familien“ Siziliens. Doch Buscetta wird im brasilianischen Exil gefunden, überwältigt und gefoltert – und schließlich nach Italien ausgeliefert.
In Palermo trifft er auf den zur Legende gewordenen Staatsanwalt Giovanni Falcone, der es wagte, nahezu allein gegen die Mafia zu kämpfen. Er brachte Buscetta tatsächlich dazu, gegen die Cosa Nostra auszusagen.
Das 487 Seiten lange Verhörprotokoll zeichnet ein unfassbares „Sittenbild“. Hunderte Verhaftungen und Prozesse folgen. Doch aufgrund der tief greifenden Verbindungen der politischen Elite Italiens mit dem organisierten Verbrechen wird Falcone 1992 brutal ermordet.
Auch Buscetta muss als Kronzeuge einen hohen Preis für seinen Mut bezahlen: Er selbst und seine Familie (über)leben zwar im Zeugenschutzprogramm in Amerika, doch zwei seiner Söhne und andere Familienangehörige werden aus Rache ermordet. Für viele ist er kein Held, sondern ein Verräter. Im Laufe seiner langen Karriere hat sich Bellocchio immer wieder mit den Strukturen des organisierten Verbrechens und mit dessen Einflüssen auf die italienische Gesellschaft beschäftigt.
Unter anderem im beklemmenden Filmdrama „Die Affäre Aldo Moro“, in dem er die Verbindungen des einstigen Ministerpräsidenten Giulio Andreotti zur Mafia thematisierte. Auch in diesem Film taucht er auf, allerdings nur am Rande.
Bellocchio lässt aber keinen Zweifel daran, dass der einstige Ministerpräsident mafiöse Verbindungen hatte. Ebenso drastisch wie authentisch zeigt er die Skrupellosigkeit, mit der die Mafia den Mord an Falcone plante und durchführte: Zusammen mit seiner Frau und seinem Leibwächter wurde der Staatsanwalt auf der Autobahn mit einer Sprengstoff-Ladung in Stücke gerissen.
Diesen grauenvollen Bildern folgt ein Gegenschnitt auf die Reaktion der inhaftierten Mafia-Verbrecher: Sie lassen Champagnerkorken knallen. Als Fazit bleibt beim Zuschauer hängen: Marco Bellocchio wird die Verbrechen der Mafia wohl nicht eindämmen oder gar verhindern können. Andererseits: Ohne Filme wie diesen wird sich erst recht nichts ändern.
INFO: I/D/BRA 2019.153 Minuten. Von Marco Bellocchio. Mit P. Favino.
"Wege des Lebens": Demenzkranker Schriftsteller auf der Suche nach Erinnerungen
Er geht nicht an die Tür. Und er geht auch nicht ans Telefon. Leo liegt im Bett, starrt an die Decke, ist verloren in einem Gewirr von Erinnerungsfetzen.
Früher war er ein Schriftsteller und Abenteurer. Heute verkriecht er sich in einem schäbigen Apartment und und wird von Dämonen seiner Vergangenheit heimgesucht. Wie etwa von der Mexikanerin Dolores. Eine leidenschaftliche Liebe verband Leo mit ihr, aber auch ein tragisches Schicksal.
Der gemeinsame Sohn war bei einem Autounfall umgekommen. Die mexikanischen Impressionen werden von Bildern aus Griechenland weggeschoben. Leo wollte dort einen Roman schreiben.
Er scheiterte, weil ihm kein passendes Ende einfiel. Eine junge Frau, die ihm dabei helfen sollte, legt stattdessen eher unliebsame Seiten seines Charakters offen.
Und zu schlechter Letzt ist Leo wieder in die Abhängigkeit einer Frau geraten. Seiner Tochter.
Obwohl ihr Job als Journalistin auf dem Spiel steht, nimmt sich Molly die Zeit, um ihren demenzkranken Vater bei Arztbesuchen zu begleiten. Damit wird sie zur Gefährtin seiner halluzinatorischen Reise durch New York. Die Tour wird zur Tortur, die einen ganzen Tag und eine halbe Nacht dauert.
Und zu einer schauspielerischen Tour de Force für Javier Bardem.
Elle Fanning agiert auf Augenhöhe. Für das Kinopublikum ist „Wege des Lebens“ ein filmisches Labyrinth, in dem Vater und Tochter zumindest einander finden.
INFO: GB/USA/POL/E 2020. 85 Minuten. Von Sally Potter. Mit Javier Bardem, Salma Hayek
"The Vigil": Totenwache einmal anders
Yakov will sich von der jüdisch-orthodoxen Gemeinde in Brooklyn lösen. Eine Selbsthilfegruppe soll ihm helfen, die christlich geprägte Gesellschaft der USA besser zu verstehen. Zum Abschied gibt er der Bitte des Rabbiners nach: Er hält in einem alten Haus eine Nacht lang die Totenwache.
Der Verstorbene war allerdings von einem Dämon befallen, der nun einen neuen Wirt sucht. In das ungewöhnliche, jüdisch-orthodoxe Ambiente mixt der Film klassische Horror-Zutaten: Lampen flackern, Tote erwachen zum Leben. Das düstere Haus ist detailverliebt auf Grusel getrimmt. Der Dämon sieht eher nach Geisterbahn aus. Das Geld für Spezialeffekte war dafür wohl etwas zu knapp bemessen.
INFO: CAN 2019. 88 Minuten. Von Keith Thomas. Mit Dave Davis, Menashe Lustig, Malky Goldman
"Mossad": Agent als meschuggene Spaß-Kanone
Man merkt dem Film an, dass David Zucker, der Schöpfer von Slapstick-Klassikern wie „Die nackte Kanone“ Berater war. Ein geschasster Mossad-Agent, der nun den Wachmann für spielwütige Kinder geben muss, versucht alles, um in den israelischen Geheimdienst zurückzukehren.
Die Chance bietet sich, als ein amerikanischer Milliardär auf einer Geschäftsreise in Israel entführt wird. Von da an wird aus allen Rohren geschossen. Das Sperrfeuer aus Pointen ermüdet mit der Zeit, da diese allen Laden entnommen werden – auch der untersten. Zweierlei jedoch steht fest: Lachen ist menschlich. Und das kann in Corona-Zeiten erfrischend sein.
INFO: ISR 2019. 96 Minuten. Von Alon Gur Arye. Mit Tsahi Halevi, Efrat Dor, Tal Friedman, Adi Himelbloy, Dvir Benedek
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