Angeblich Mathe
Gelernt hat sie dann aber auch, dass ihr die Regie weniger liegt als das Schreiben. Jost war unter anderem Regieassistentin am Thalia Theater in Hamburg und am Landestheater Niederösterreich. Aber das Schreiben war stärker, immer schon da, von Kindheit an. „Ich hab den Eltern erzählt, dass ich Mathehausübung mache und in Wahrheit heimlich geschrieben. Ich wollte immer Schriftstellerin werden, aber als junger Mensch hatte ich keine Idee, wie das gehen soll. Das Theater war greifbarer. Und auch das Regiestudium habe ich mit dem Hintergedanken begonnen, Texte zu veröffentlichen.“ Letzteres ist mittlerweile Lebensmittelpunkt.
Jost schreibt übrigens mit der Hand. Füllfeder auf Büttenpapier. So hat sie auch das Karawanken-Buch geschrieben, das, erstaunlich für einen Romanerstling, gleich beim renommierten Suhrkamp-Verlag erschienen ist. „Wo der spitzeste Zahn der Karawanken in den Himmel hinauf fletscht“ handelt vom Aufwachsen in Kärnten. Das Buch ist voll von Dialektausdrücken. Die deutschen Verleger haben Jost glücklicherweise nicht hineingepfuscht, nichts „germanisiert“.
Allein deshalb muss eine Lesung von und mit Julia Jost eine vergnügliche Sache sein. Stimme, Dialekt, Timing: alles da. Jost liebt die Interaktion mit dem Publikum. Selbst würde sie sich so was allerdings nicht anhören: „Total langweilig“, urteilt sie erfrischend unverblümt. Ebenso direkt benennt sie den Grund, warum sie mit Anfang zwanzig von Wien nach Berlin gegangen ist. „Damals gab’s hier kaum Homos. Ich hab mich eingeengt gefühlt.“
(K)ein Antiheimat-Roman
Der Suhrkamp Verlag hat viel Erfahrung mit österreichischen Autoren. Clemens J. Setz, Robert Menasse, Valerie Fritsch publizieren dort, die Belletristikchefin ist eine Grazerin. Vielleicht hat man es auch deshalb nicht für notwendig gehalten, für die bundesdeutschen Leser von Josts Roman ein Glossar zwecks besserem Verständnis der Dialektausdrücke hinzuzufügen. Glücklicherweise! Fünf Jahre hat Jost daran gearbeitet, Eckdaten der eigenen Biografie dienten als Inspiration. Dass es sich dabei um einen Antiheimat-Roman handelt, wie in vielen Rezensionen (auch im KURIER) zu lesen war, möchte sie so nicht stehen lassen. „Ich muss mich nicht in die Tradition einfügen.“ Allerdings waren natürlich „die einschlägigen österreichischen Autoren“ wichtig für sie. Bernhard, Winkler, Jelinek, Haslinger, Handke. Und: „Meine Jugend ist geprägt von Ingeborg Bachmann.“
Jost arbeitet bereits am nächsten Roman. Kärnten kommt darin auch wieder irgendwie vor. Zuvor aber: Rom. Am 20. April hat das Stück dieses Namens im Wiener Volkstheater Premiere. 25 Jahre nach dem zwölfstündigen Shakespeare-Ereignis „Schlachten“, das die acht Königsdramen der „Rosenkriege“ zu einem Werk vereinte, hat Regisseur Luk Perceval ein neues Shakespeare-Projekt: Die Römischen Tragödien „Titus Andronicus“, „Coriolanus“, „Julius Caesar“ sowie „Antonius und Cleopatra“, zusammengefasst unter dem Titel „Rom“. Perceval und Jost haben versucht, eine gemeinsame Lesart zu finden. Das verbindende Thema: Der Gebrauch von Macht. Jost hat den Text dann weiterentwickelt: „Ich wollte einen eigenen Weg für diese Dramen finden und die Frauenrollen ausbauen, weil Shakespeare ja nicht der große Frauenversteher war.“ Das Projekt ist eine Art Collage: Parallel zu Josts Textarbeit wurde auch bei den Proben am Stück gearbeitet. Die große Liebe waren die Shakespeare-Texte für Jost nicht: „Es gab mehrere Zusammenbrüche. Ich hab mir öfters gedacht: Was ist das für ein Schwachsinn! Was jetzt herausgekommen ist, ist recht weit weg von Shakespeare und auch nicht faktentreu. Wir haben die Historizität liegengelassen und einige ,Darlings‘ herausgestrichen. Das Publikum wird vielleicht vergebens auf bestimmte Sätze warten. Dafür haben wir einen großen Rahmen gefunden: Die Mechanismen von Machtstrukturen. Wie sich Machtverhältnisse in jede Zeile einarbeiten und Menschen einander, etwa in Liebesverhältnissen, komplett niedermetzeln vor Zerstörungswut und Machtlust.“
Um den Originaltexten Gerechtigkeit angedeihen zu lassen: Shakespeare war natürlich Impulsgeber für das Stück. Dazu kamen Versatzstücke von Elias Canetti bis Hannah Arendt. „Ich hatte keine Scheu, alles an mich zu reißen. Schließlich hat man ja auch zu Shakespeares Zeiten viel geklaut und collagiert.“
Mit dem Ergebnis ist Jost zufrieden. So zufrieden, wie sie mit ihrer Rückkehr nach Wien ist. Mit 17 verließ sie Kärnten Richtung Hauptstadt, später kam Berlin, jetzt lebt sie wieder in Wien. „Ich hab Wien vermisst. Ich liebe den Drive dieser Stadt, die Langsamkeit, die Kaffeehäuser. Sie sind wichtig für ein schönes Dasein. So etwas gibt es nirgends auf der Welt.“