Jan Philipp Gloger: „Ich möchte, dass das Volkstheater voll ist“
In der Saison 2005/’06 verkaufte das Volkstheater noch 13.366 Abonnements.
Unter Michael Schottenberg begann ein Abwärtstrend (trotz der Behauptung: „Wir sind dabei, Abonnenten zurückzugewinnen!“), der sich unter Anna Badora zur Talfahrt steigerte – und unter Kay Voges quasi den Nullpunkt erreichte.
Nun jubelt Roland Geyer, der Vorstandsvorsitzende der Volkstheater-Privatstiftung, bereits über rund 1.000 Abonnenten. Die den Medien versprochenen Auslastungszahlen blieb er galant schuldig. Er schaut lieber in die Zukunft – und präsentierte Jan Philipp Gloger (42), gegenwärtig Schauspieldirektor in Nürnberg, als Voges-Nachfolger.
KURIER: Ihr Vertrag, ausgestattet mit einer Ausstiegsklausel, läuft an sich bis 2028. Was hat Sie bewogen, bereits 2025 nach Wien zu gehen?
Jan Philipp Gloger: Es ist das erste Mal, dass ich ein Haus als Gesamtkunstwerk prägen kann. Denn in Nürnberg leite ich nur eine Sparte, gleichwohl eine große. Zweitens zieht mich die Stadt unglaublich an. Ich kann mir gut vorstellen, hier zu leben und auch, als Projekt, heimisch zu werden. Zudem ist mir die Theaterstadt Wien bis jetzt, das ist zumindest meine Wahrnehmung, freundlich gesonnen. Bei meiner Volksopern- wie bei meiner Burgtheaterinszenierung hatte ich das Gefühl: Hier gibt es ein Publikum, das an meiner Arbeit interessiert ist.
Es war Volksoperndirektorin Lotte de Beer, die Sie 2022 für „Die Dubarry“ nach Wien geholt hat?
Ja, genau. Aber zu „Die Nebenwirkungen“ am Burgtheater kam es unabhängig davon. Ich kenne Direktor Martin Kušej schon lange: Er folgte in München auf Dieter Dorn, und ich habe unter Dorn am Bayerischen Staatsschauspiel gearbeitet.
Wie kam es zu Ihrer Bewerbung?
Ich wurde von der Findungskommission kontaktiert und habe mich dann beworben. Ich kenne das Haus noch aus der Zeit von Anna Badora, als es nicht restauriert war. Ich sah mehrere Produktionen, auch den Renner „humanistää!“ mit Texten von Ernst Jandl. In die Dunkelkammer bin ich aber erst gegangen, als klar war, dass ich mich bewerbe. Mittlerweile kenne ich auch das Volkstheater in den Bezirken.
Die Menschen außerhalb des Gürtels oder jenseits der Donau liebten das Volkstheater in den Bezirken. Als Goodie bekamen sie einmal im Jahr eine Karte für das große Haus. Doch unter Badora sahen sie plötzlich Regietheater – und waren überfordert. Was ist nun Ihr Ansatz?
Ich glaube, dass man Leute mit unterschiedlichen Bildungsvoraussetzungen abholen muss. Man kann Theater lustvoll und verständlich machen, das trotzdem kunstvoll und komplex ist. Ich bekomme auf meine Arbeiten sehr unterschiedliche Reaktionen. Die einen sagen: „Wir haben uns köstlich amüsiert, wir haben gelacht und geweint, wir haben die Inszenierung emotional erlebt.“ Und andere sagen: „Es war spannend, wie Du zitiert und verschiedene Diskursebenen miteinander in Schwingung gebracht hast.“ Ich stehe dafür, dass ich beide Ansprüche, Volksnähe und Kunstaffinität, zusammenbringen kann. Ich will ein Theater, das für alle zugänglich ist, das kein abgeschlossenes Germanistikstudium erfordert, aber auch hochkomplexe Dinge beinhaltet. Unterfordern will ich aber nicht: Auch Menschen, die nicht viele Theatererfahrungen haben, darf man zutrauen, sich mit einem Stoff auseinandersetzen zu können.
Sie bekennen sich zum Lachen …
Aber das Lachen ist nicht nur Unterhaltung, es kann auch ein politischer Vorgang sein. Wenn ich unterschiedliche Menschen im Publikum habe, alte wie junge, Menschen unterschiedlicher Herkunft, dann lachen sie zusammen, und dadurch entsteht Gemeinschaft. Also: Ich bin kein reiner Komödienregisseur, und aus dem Volkstheater wird auch kein Komödienhaus. Aber das Lachen wird trotzdem eine starke Kraft sein. Eine andere ist die Musik.
Sie sind ja auch Opernregisseur …
Das Volkstheater wird jetzt nicht das vierte Opernhaus in Wien! Das wäre ganz falsch! Aber Schauspiel und Musik sind nicht voneinander zu trennen, weil Sprache immer etwas mit Rhythmus, mit Komposition, mit Musikalität zu tun hat. Vor allem in dieser Stadt, in der selbst die Bäckerin im Tonfall mit Sprache spielt. Aus meiner Sicht – eines Nordwestdeutschen – ist Wien eine sehr sprachaffine Stadt. Spielerisch mit Sprache umzugehen, hat hier eine lange Tradition. Das reizt mich.
Daher hat Ihnen der Jandl-Abend gefallen. Gerhard Rühm spielt mit Sprache. Und Elfriede Jelinek, von der Sie Stücke inszeniert haben.
Natürlich ist die Wiener Gruppe spannend, zudem Leute wie Wolfgang Bauer und Peter Handke. Aber das heißt nicht, dass diese Autoren sicher kommen werden. Ich will noch keine konkreten Titel verraten.
Aber Sie werden Dramatiker spielen, haben Sie angekündigt. Gegenwärtig gibt es ja geradezu eine Flut an Roman-Dramatisierungen …
Interessant könnte zum Beispiel sein, mal einen populären Filmstoff umzusetzen. Gerade im Sinne des niederschwelligen Zugangs. Aber solche Umsetzungen sollen gegenüber den dramatischen Texten nicht überwiegen. Ich glaube an die Stärke von Dialogen, von dramatischer Literatur.
Sie übernehmen ein sehr großes Haus – mit 830 Sitzplätzen.
In Nürnberg ist es gelungen, regelmäßig ausverkauft zu sein. Klar, das Haus dort ist nicht so groß wie das Volkstheater. Aber auch die Stadt ist nicht so groß. Wir haben das Publikum umarmt – und wurden trotzdem zum Berliner Theatertreffen eingeladen.
Mit Werner Schwabs „Übergewicht, unwichtig: Unform“ in der Regie von Rieke Süßkow, die im Akademietheater Handkes „Zwiegespräch“ fulminant umgesetzt hat.
Rieke Süßkow wird als feste Regisseurin am Volkstheater arbeiten! Ja, ich möchte überregional wahrgenommen werden, Teil des Diskurses sein. Aber ich möchte auch, dass das Volkstheater voll ist. Es soll richtig was los sein im Zuschauerraum!
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