Peter Handkes „Zwiegespräch“: So schön, so schön war die Zeit
Peter Handkes neues „Stück“ hat keinen poetischen, eher einen programmatischen Titel. Die „Publikumsbeschimpfung“, die ihn einst bekannt gemacht hatte, ist (auch) eine Beschimpfung des Publikums – und das „Zwiegespräch“ eben ein Gespräch. Zwei alte Narren hocken vielleicht auf einer Parkbank zusammen – so wie Peter Handke im Lockdown vor Notre Dame – und liefern sich einen sanften Wettstreit um die Redezeit.
Der eine will von der einstigen Faszination des Theaters erzählen (da gibt es eine direkte Verbindung zur „Publikumsbeschimpfung“), der andere von seinem Großvater beziehungsweise vom „Großvatertum“. Die Schnittmenge ist das Spiel. Aber es fehlt so manches zu einem geglückten Theaterstück, ganz besonders die Dramatik.
Ganz genau gelesen
Rieke Süßkow, kürzlich für ihre Inszenierung von „Oxytocin Baby“ am Schauspielhaus Wien mit dem Nachwuchs-Nestroy ausgezeichnet, hat Handke allerdings genau gelesen. Ihr gelang eine raffinierte Umsetzung – ohne Eingriffe in den Text. In ihrer Version, die am Donnerstag im Akademietheater die heftig akklamierte Uraufführung erlebte, ist es allerdings kein Zwiegespräch mehr. Was durchaus legitim erscheint, weil Handke die Reden und Gegenreden keinen bestimmten Personen zugeordnet hat.
Zudem bettete Süßkow die Sprechakte in einen gesellschaftspolitischen Diskurs ein, in die Konfrontation der Enkel mit den Altvorderen, die immer wieder die gleichen Geschichten erzählen – inklusive der Behauptung, dass früher alles besser war. Im konkreten Fall hat für Handke oder seine anderen Ichs „das Theater seinen Moment verloren“ – vorderhand, möglicherweise für immer.
Die Regisseurin, 32 Jahre jung, ist also angetreten, den Nobelpreisträger, am Nikolotag 80 geworden, vom Gegenteil zu überzeugen. Und tatsächlich: Ihre überraschende Interpretation, im Team mit Mirjam Stängl (Bühne), Marlen Duken (Kostüme), Max Windisch-Spoerk (Musik) und Daniela Mühlbauer (Choreografie) als Gesamtkunstwerk entwickelt, fasziniert von der ersten Sekunde an. Ein Bub erforscht zunächst den nackten Bühnenraum; später wird er wiederkehren – mit einem Scheinwerfer statt der Taschenlampe. Eine schöne Metapher fürs Theater, das den Spot zielgerichtet einsetzt.
Mit dem Geknirsche einer alten Illusionsmaschine entfaltet sich ein stoffbespannter Zick-Zack-Paravent, der kein Ende zu haben scheint. Und ein gar strenges Pflegepersonal rollt fünf betagte Menschen auf die Bühne, die sich mit der Zeit als Wartesaal für die Euthanasie entpuppt.
Reise nach Jerusalem
Über Tod und Leben entscheidet, von martialischen Pfiffen einbegleitet, die Reise nach Jerusalem: Todesengel Elisa Plüss singt den Freddy-Quinn-Schlager „Ein Wind weht von Süd“ (Handke spielt auf „La Paloma“ an) und später „So schön, so schön war die Zeit“, ein Sessel nach dem anderen wird aus dem Spiel genommen, da waren’s nur mehr vier, dann drei ...
Die Delinquenten haben alles abzugeben – Schlüssel, Geld, Hut, selbst den roten Flummi – und werden ohne Anflug einer Gefühlsregung ins Krematorium bugsiert. Was von ihnen bleibt, sind Urnen. Mit Fortgang wird, durch eine Veränderung der Faltung, die Bühne der Alten, in fahl-oranges Licht getaucht, immer kleiner – und jene bunte der Jungen immer größer.
Branko Samarovski (83) räsoniert über den Großvater, Martin Schwab (85) über das Theater. Hans Dieter Knebel (kaum jünger) möchte auch mitspielen dürfen: „Lass mich jetzt dran!“ Doch er kommt nicht zum Zug. Pech. Nach seinem Abgang ist es wirklich ein Zwiegespräch. Aber anders, als gedacht: Weil die Jungen die alte Leier schon kennen, übernehmen Elisa Plüss und Maresi Riegner zunehmend mehr Passagen – und Schwab, staunend, kann nur mehr Satzteile einflechten. Und dann wird er, als Letzter im Spiel, zum einsamen Großvater, von dem Samarovski erzählt hat. Ja, wirklich raffiniert. Aber keine Sorge: Mit Schwabs Aufbahrung – ein Peter-Greenaway-Zitat – ist noch nicht das letzte Wort gesprochen. Gut so.
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