Dabei hatte der Abend so schön und auch amüsant begonnen. Der Eiserne Vorhang, eigentlich gülden, hob sich und gab den Blick auf einen ihm nachempfundenen Raum frei (von Nadja Sofie Eller). Ein prunkvoller Saal, passend zu den saturierten, vermögenden Figuren Dostojewskijs, angeräumt mit Tischen, Sesseln, Sofas – man redet ja im Sitzen und geredet wird viel. An einem Schreibtisch im Vordergrund sinniert Stepan. Im Roman hat sich der verkrachte Schöngeist und Idealist angewöhnt, die Zeilen „Die Bauern kommen, sie tragen Beile, etwas Furchtbares wird geschehen“ zu murmeln. Im Burgtheater hingegen verkündet er, von Oliver Nägele als liebenswerten Kauz porträtiert, diese geradezu als Prophezeiung im Gespräch mit Liputin (Markus Hering). Die übrigen Gestalten sind irgendwo hinten unauffällig in Warteposition.
Simons arrangiert zunächst einen geschmeidigen Stafettenlauf: Hering gibt ab, zieht sich zurück, und Happel übernimmt das Konversieren. Deren energische Warwara möchte Stepan mit ihrer jungen Ziehtochter Dascha verheiraten, da diese ein Verhältnis mit ihrem Sohn Nikolaj hatte (und der soll schließlich auch verheiratet werden – mit Lisa). Als Dascha (Dagna Litzenberger Vinet) dies mitkriegt, fällt sie fast vom Stuhl.
Nach und nach stellt Simons alle Figuren vor, darunter den Schatow (Itay Tiran), den Kirillow (Ernest Allan Hausmann) und die Lisa (Birgit Minichmayr). Etwas später taucht auch der vermisste Sohn Nikolaj auf – aus der Versenkung (im wahrsten Sinn des Wortes) und unbemerkt von allen: Ofczarek schleicht und hatscht wie ein alter Geist über die Bühne.
Anders als bei der Dramatisierung von „Anna Karenina“ (seit September in der Josefstadt) führen sich die Figuren nicht selbst in die Situation ein, es gibt auch keinen kommentierenden Erzähler (wie den Beamten Anton im Roman „Die Dämonen“): Die Charakterzeichnung auf den ersten Blick übernimmt Greta Goiris – und sie geht alles andere als subtil vor. Ihre schrillen Kostüme haben etwas extrem Erzwungenes, Plakatives.
Männer müssen heutzutage Röcke tragen, Frauen Hosen, Maria Happel sieht aus wie ein Hofmarschall in einer schlechten Kinderoper, und Sarah Viktoria Frick müsste die Trisomie 21 der Marja gar nicht mit so viel ADHS-Attitüde spielen: Die der Lächerlichkeit preisgebende Kostümierung sagt ohnedies alles. Marcel Heuperman wird seinem Outfit (als Tölpel mit Lachzwang) mehr als gerecht, und es kommt auch nicht von ungefähr, dass Jan Bülow als zynischer Pjotr einen Nazi-Mantel in Weiß trägt.
Die Verkleidungen werden gar zum Gefängnis: Birgit Minichmayr nervt mit der Zeit als fratzenhafte, die Reitgerte schwingende, extrem exaltierte Göre. Keiner spielt – abgesehen von Nägele im feinen Tuch – einen Menschen mit nachvollziehbaren Gefühlen oder Motivationen. Daher lassen auch die Debatten über Russland, die Existenz Gottes, das Volk und den Sozialismus ziemlich kalt. Und Ofczarek gefällt sich als vom Leben gelangweilter Nikolaj – mit halb offenem Mund und halb geschlossenen Augen.
So fällt man auch selbst in einen Dämmerschlaf. Immer wieder aufgeschreckt von der wummernden Musik während der Blackouts in extremer Lautstärke. Sehr viel mehr als diese Überbetonung ist Simons nicht mehr eingefallen: Mühsam reiht sich ein Dialog an den nächsten.
Fast zweieinhalb Stunden dauert es bis zur Pause. Danach haben sich die Reihen gelichtet. Und vielen spricht Nikolaj – für die einen der Ruhepol, für die anderen eine Schlaftablette, mitunter aber blitzgefährlich – aus der Seele: „Ich weiß gar nicht, warum bin ich hierhergekommen?“ Nach mehr als vier Stunden wird das Ensemble eifrig beklatscht. Und zumindest die Klofrau freut sich: Ein Ende nach 23 Uhr bringt sattes Überstundengeld.
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