Ioan Holender: "Naja, vielleicht nimmt mich jetzt der ORF?"
An seinem 89. Geburtstag, den er heute begeht, ist Ioan Holender nicht so zum Feiern zumute: Um 22.15 Uhr strahlt ServusTV die allerletzte Sendung aus. Die 213. Folge von „kulTOUR mit Holender“ heißt denn auch nüchtern „Holenders Abschied“: Im São Carlos Nationaltheater von Lissabon blickt der Kulturzampano auf Höhepunkte seiner Erkundungen zurück.
KURIER: Im Sommer 2010 endete Ihre 19 Jahre lange Ära als längst dienender Direktor in der Geschichte der Wiener Staatsoper – und übergangslos begannen Sie für Dietrich Mateschitz zu arbeiten. Wie kam es denn überhaupt dazu?
Ioan Holender: ServusTV – mir sagte der Sender damals gar nichts – wollte einen Film über die Entstehung einer Oper drehen. Ich schlug die Uraufführung einer Kinderoper vor. Gesagt, getan. Danach schrieb ich einen Dankesbrief an Dietrich Mateschitz, den ich persönlich nicht kannte. Dann kam sein Wunsch zu einem Treffen in Thalgau. Ich meinte, gut, ich könnte auf der Rückreise von Salzburg nach Wien vorbeikommen. Nein, sagte man mir, ich würde mit dem Hubschrauber gebracht.
Hubschrauber?
Ja! Ich fragte, ob mein Sohn mitkommen dürfe. Denn auch Liviu war noch nie mit einem Hubschrauber geflogen. So kam es. Mateschitz sagte dann beim Gespräch, ich würde ihn an Heinz Fischer-Karwin erinnern und fragte mich, ob ich für ihn so eine Sendung wie „Aus Burg und Oper“ machen wolle. Ich wusste zunächst nicht, was ich antworten sollte und worüber es in der Sendung gehen könnte. Mateschitz sagte: Darüber, was mich interessiere und ich gerne machen würde. Denn dann würde ich es gut machen. Ich war zwar neun Jahre älter, er tat aber gerne so, als wäre ich der Jüngere. So begann mein viertes Leben – nach Sänger, Künstleragent und Direktor.
Sie hatten wirklich freie Hand?
Ja. Hin und wieder hat Mateschitz – immer nur beiläufig, nie als Auftrag – ein Thema vorgeschlagen, zum Beispiel Tirana und die Krim. Das hab’ ich mit großer Begeisterung gemacht. Es war auch seine Idee, dass ich eine Sendung über Teodor Currentzis in Perm mache. Ich meinte: Das ist ein bisschen weit weg. Er meinte: Kein Problem, ich würde sein Privatflugzeug bekommen. Der Mateschitz war ein Instinktmensch: Er hat gespürt, dass Currentzis etwas Besonderes ist! Und er war dagegen, dass alles, was russisch ist, abgelehnt wird. Da waren wir uns einig. Ich finde diese Ausgrenzung katastrophal und lächerlich.
Und Dietrich Mateschitz hat nie ein Veto eingelegt?
Ich durfte alles, was mir eingefallen ist, machen! Es gibt kaum ein Opernhaus in Europa, das ich nicht vorgestellt habe! Natürlich sollte auch die jeweilige Stadt porträtiert werden. Aber „kulTOUR mit Holender“ war keine Reisesendung! Darüber gab es immer wieder Spannung mit den Regisseuren. Nein, es ging um die Oper, die Orchester und die weiteren Kulturinstitutionen! Wir reisten auch nach Tokio, nach New York, nach Moskau und in die entlegensten Städte, zum Beispiel nach Baku. Dort ist der Präsident der liebe Gott – und seine Frau liebt die Oper. Gespielt wird, weil sie es wünscht, und der neu ernannte Operndirektor ist der Tenor Yusif Eyvazov, der frühere Mann meiner geliebten Anjushka (Anna Netrebko, Anm.), die bei mir begonnen hat.
Über Baku gäbe es viel zu erzählen!
Beim Drehen denkt man sich: Fantastisch! Die Ernüchterung kommt dann beim Schneiden und bei der Abnahme. Weil die Sendung nur 30 Minuten lang ist. Da hab’ ich mich immer wieder ärgern müssen. Aber insgesamt hat es wunderbar funktioniert – bis zum unerwarteten Tod von Dietrich Mateschitz im Oktober 2022.
Schon erstaunlich, dass Mateschitz überhaupt eine solche Sendung finanzierte. Denn wirtschaftlich war das die reine Liebhaberei.
Liebhaberei ist das falsche Wort. Es war eine Werbung – für Servus TV als ernst zu nehmenden Sender. Aber ja: Einmal habe ich Dietrich Mateschitz nach den Quoten gefragt, denn die Sendungen waren ja zumeist spätabends. Er meinte, die Quoten seien nicht so wichtig, die Sendung muss nur gut sein.
Aber jetzt ist Schluss …
Ich habe ja auch andere Sendungen gemacht, etwa die Kommentar-Reihe „Holenders Loge“. Und es gab jeden Sommer die „Salzburger Festspieltalks“ im Schloss Leopoldskron, in der wunderbaren Bibliothek von Max Reinhardt. Im vergangenen Sommer baten mich Ferdinand Wegscheider, der Intendant von ServusTV, und der Programmdirektor um ein Gespräch. Sie trugen trotz der Hitze Anzüge. Mir kam vor, als würden sie zu einem Begräbnis gehen – zu meinem. Man müsse sparen, sagten sie. Sie gestanden mir noch sieben Sendungen zu: „Und dann hören wir auf.“ Das heißt: Mit „Holenders Abschied“ aus Lissabon endet meine Tätigkeit bei ServusTV.
Es klingt Wehmut mit.
Ich bin draufgekommen, dass ich alt geworden bin, ohne gemerkt zu haben, gealtert zu sein. Ja, jetzt bin ich alt. Ich werde künftig in der Früh aufwachen, ohne etwas zu tun zu haben. Nix, gar nix. Natürlich könnte ich mir sagen: Du bist jetzt 89, sei froh, dass Du lebst und bei Sinnen bist! Aber mir gelingt es nicht, mich darüber zu freuen. Ich kann auch nicht mehr Tennisspielen, was ich 70 Jahre gemacht habe und von dem ich einst auch lebte. Naja, vielleicht nimmt mich jetzt der ORF? Ich bin ja frei … (Er grinst breit.)
Sie könnten ein Buch schreiben?
Ich hab’ schon zwei geschrieben! Und ich weiß nicht, ob meine Geschichten überhaupt jemanden interessieren. Ich kann ja nur über Menschen schreiben, die niemand mehr kennt. Nur ich weiß noch, wer zum Beispiel Rudolf Gamsjäger war. Und wenn ich darüber nachdenke: Dann erschrecke ich.
P.S.: Rudolf Gamsjäger war Intendant der Wiener Festwochen und von 1972 bis ’76 Staatsoperndirektor.
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