„Die Kommunikation mit Toten ist schwierig“
Der französische Choreograf Jérôme Bel gehört fast schon zum Inventar des Impulstanz-Festivals. 18 Mal war Bel, einer der international gefragtesten zeitgenössischen Tanz- und Performancekünstler, bereits in Wien, das erste Mal 1997. „Wien ist so etwas wie mein zweites Zuhause“, sagt Bel. Und im Gegensatz zur Seine, die ja derzeit mit einigen Anlaufschwierigkeiten als Austragungsort der olympischen Spiele von Paris promotet wird, war die Wiener Donau schon öfter Badeplatz für den polyglotten Künstler.
Unterwegs ist Bel immer und ausschließlich mit dem Zug. Aus Prinzip. Es ist ein bisschen teurer als Fliegen und man muss genauer planen (um etwa Verspätungen bei der Deutschen Bahn miteinzurechnen), aber ökologisch verantwortliches Handeln ist für ihn unumgänglich. Und so beschäftigt die ökologische Krise den Choreografen nun auch künstlerisch. Für sein neues Stück „Non human dances“ hat sich der Tanzkonzeptualist mit der Pariser Kunsthistorikerin Estelle Zhong Mengual zusammengetan.
Bel, der seine Bühne schon früh für nicht-traditionelle Darstellerinnen und Darsteller, zum Beispiel Ältere, Kinder oder Menschen mit körperlichen und geistigen Behinderungen geöffnet hat, widmet sich nun dem Zusammenspiel von Mensch und Natur. Besser gesagt: Er mahnt es ein. Denn dass der Mensch, insbesondere der okzidentale, offenbar immer der Meinung ist, die Krone der Schöpfung zu sein, will sich ihm nicht erschließen. Auch diesmal sind Tänzerinnen und Tänzer jenseits der Norm dabei. Die älteste Mitwirkende ist 84. „Ich glaube, alle sollten tanzen. Das ist Demokratie. Vielleicht kann man das Bein in einem bestimmten Alter nicht mehr ganz so hoch hinauf heben wie mit zwanzig. Aber Virtuosität interessiert mich ohnehin nicht. Sondern die Beziehung des Menschen zum Tanz. Die Erfahrung des Tänzers.“ Im Stück „Non human dances“ hat sich Bel nun vorgenommen, das Feld zwischen Tanz und Natur zu vermessen. Dabei half ein Blick in die Geschichte, bei dem Bel von der Kunsthistorikerin Estelle Zhong Mengual unterstützt wurde.
Der König tanzt
Am Anfang der Geschichte des Tanzes stand (und steht auch in diesem Stück) Ludwig XIV. Der „Sonnenkönig“ genannte Herrscher mit dem Hang zum Prunk gründete die königliche Tanzakademie und machte die Ballettkompanie und ihre Auftritte zu einer festen staatlichen Einrichtung. Er selbst tanzte selbst bereits als Vierzehnjähriger. „Vor Ludwig XIV tanzte man zum Vergnügen. Erst durch ihn wurde Tanz zu einer Kunstrichtung. Er hat den Tanz als Vorführung erfunden.“ Im Stück „Non human dances“ tanzt der Sonnenkönig nun natürlich die Sonne. Ob das historisch ganz exakt ist, weiß er selbst nicht, räumt Bel ein. Aber Kunsthistorikerin Zhong Mengual kann den notwendigen wissenschaftlichen Background bieten. „Auch wenn wir natürlich beim Tanz nicht genau wissen, wie es wirklich war. Die Kommunikation mit den Toten gestaltet sich mitunter schwierig“, sagt Bell und lacht.
Der Choreograf
Jérôme Bel wurde 1964 in Montpellier geboren und lebt in Paris. Die Stücke des Tanz- und Performancekünstlers sind in Wien immer ein großer Renner. Das multimedial erzählte Stück „Jérôme Bel“ war fünf Mal hier zu sehen
Die Historikerin
Die Pariserin Estelle Zhong Mengual, 35, hat in ihrem Buch „Apprendre à voir. Le point de vue du vivant“ („Sehen lernen: Der Standpunkt der Lebenden“) das Zusammenspiel von Malerei und nicht menschlichem Leben untersucht
Das Stück
„Non human dances“ vermisst das Feld zwischen Tanz und Natur und ist bis 8.8. bei Impulstanz im Wiener Volkstheater zu sehen
Acht historische Choreografien zum Thema Natur und Tanz werden nun dargeboten, begleitet jeweils von einer wissenschaftlichen Einordnung der Kunsthistorikerin. „Wir zeichnen die großen Momente des klassischen Tanzes nach. Vom Barock über Schwanensee bis zu Isadora Duncan“, sagt Zhong Mengual. Die Ursprungsidee stamme aus einer Zusammenarbeit mit dem Louvre, wo Gemälde kommentiert und eingeordnet wurden. „,Non human dances’ ist auch eine Art kommentierte Tanzausstellung.“
Mittel zum Zweck
Und diese Ausstellung hat natürlich ein gerüttelt Maß an Zeit- und Kulturkritik zu bieten. Nämlich an der Art, wie die Kunst im Laufe der Geschichte mit der Natur umgegangen ist. Stets als Mittel zum Zweck. „Im Tanz wird die Natur benutzt, um etwas Menschliches darzustellen. Dabei wird sie zum Instrument, anstatt dass man sich für die Natur als solches interessiert. Das ist schade, denn man versäumt viel“, sagt“ sagt Zhong Mengual. Das, ergänzt Bel, sei eben die typische Sicht des abendländischen Menschen auf die Welt. Philosophen wie Descartes hätten damit angefangen, den Menschen als das Wunder schlechthin zu sehen, ohne Rücksicht auf Verluste. „Das ist das Denken, das uns dahin gebracht hat, wo wir jetzt sind. In einer riesengroßen ökologischen Krise.“