ImPulsTanz-Intendant: „Die Zeiten haben sich radikal geändert“
Die Intendanten der Wiener Festwochen kommen und gehen, er aber bleibt: Vor genau 40 Jahren gründete Karl Regensburger die Internationalen Tanzwochen Wien, die unter dem Titel „ImPulsTanz“ zu einem der weltweit wichtigsten Festivals für zeitgenössischen Tanz wurden. Die diesjährige Ausgabe wird am 11. Juli um 20 Uhr im MAK eröffnet – mit einer Ausstellung über die Bewegungssprache von William Forsythe.
KURIER: Wie konzipiert man eigentlich ein „ImPulsTanz“-Festival?
Karl Regensburger: Mit dem Team – und ausgehend von zwei, drei Produktionen, die früh fixiert werden müssen. Wir haben aber die Tendenz, erst sehr spät zu programmieren. Um für Neues offen zu sein.
Gehen Sie wie der Theaterdirektor im „Faust“ vor? Vieles zu bringen, um manchem etwas zu bringen?
Ja, so sehe ich das auch. Mir ist aufgefallen, dass man, besonders in jungen Jahren, Gefahr läuft, ein Festival für Kritiker zu machen. Um dann die Bestätigung lesen zu können, dass es gut war. Mit der Zeit kommt man aber drauf, dass bei allen Überlegungen das Publikum im Vordergrund stehen soll.
Einen inhaltlichen Anker gibt nicht.
Weil wir für ein Motto unser Budget zwei Jahre im Vorhinein kennen müssten. Um eben dementsprechend konzipieren zu können. Aber mitunter wussten wir nicht einmal während des Festivals, wie hoch die Subvention ist. Und einfach ein Schlagwort herzunehmen, unter das man alles subsumieren kann: Das will ich nicht.
Der Ruf des Festivals ist exzellent. Ich nehme daher an, dass Sie von Angeboten überschwemmt werden – und nur auswählen müssen?
Wir bekommen pro Jahr ungefähr 400 bis 450 Angebote. Dieses andauernde Nein-Sagen tut weh. Denn es gibt viele Künstlerinnen und Künstlern, die uns schon lange begleiten. Denen fühlen wir uns verpflichtet. Ganz besonders dann, wenn es für sie nicht so gut läuft. Oder wenn man ahnt, dass eine Produktion heikel ist. Daher entsteht bei manchen der Eindruck: Der Regensburger macht jedes Jahr das Gleiche. Was aber nicht stimmt: Wir bringen heuer 47 Choreografen oder Kompanien mit 51 Produktionen – und von denen sind 21 zum ersten Mal beim Festival. Also, das ist schon ein massiver Anteil.
Zu verdanken der Young Choreographers’ Series [8:tension] …
Das stimmt. Denn da kann man im Prinzip nur einmal dabei sein. Und so gibt es jedes Jahr acht bis zwölf neue Positionen.
Hab’ ich Sie vorhin richtig verstanden: Sie bringen Produktionen, von denen Sie das Gefühl haben, dass sie nicht das Gelbe vom Ei sind?
Ja, in der Hoffnung, dass man ein bisschen auf die Künstler einwirken kann. Das ist natürlich schwierig. Aber in der Regel entwickelt sich eine Produktion nach der Uraufführung ohnedies weiter – bis zur Spielserie in Wien.
Das heißt: Sie sind gar nicht erpicht auf Uraufführungen?
So ist es. Aber wir haben trotzdem zehn Uraufführungen heuer. Auch deshalb, weil die Künstler sie bei uns machen möchten. Bei Akram Khan geht man das Risiko gerne ein, bei anderen nicht so gern.
Genauso lang wie Sie ist Anne Teresa De Keersmaeker aktiv: In der Lecture Performance „Vocabularium“ kommentiert sie am 14. Juli – laut Programmheft – „ihr vier Jahrzehnte überspannendes Oeuvre“.
Sogar noch länger! „Asch“ brachte sie 1980 in Brüssel heraus.
Sie begleiten diese Künstlerin also schon ein halbes Leben lang. Erst kürzlich wurden Vorwürfe laut. Haben Sie nie etwas davon mitbekommen? Oder weggeschaut?
De Keersmaeker ist kein einfacher Mensch, nie gewesen. Sie stellt hohe Ansprüche an sich – und auch an die Menschen, die in ihren Compagnien tanzen. Gerüchte haben sich schon über Jahre in der Szene gehalten. Aber es gibt große Unterschiede zu den Vorwürfen etwa gegen Jan Fabre. Das toxische Arbeitsklima ist auf die enorme Verantwortung zurückzuführen, die sie zu tragen hat. Und wenn es dann noch finanzielle Probleme bei Rosas gibt, kommt es eben zu einer gewissen Kurzatmigkeit. Hervorgerufen wurde das durch die Pandemie.
Inwiefern?
In ihren besten Zeiten hat sie 270 Aufführungen im Jahr gemacht. Es waren andauernd zwei Compagnien parallel unterwegs. Und wenn dieses Standbein, die gut bezahlten Auftritte, infolge der Lockdowns wegbricht, wird es schwer.
Auch Jan Fabre war verhaltensauffällig – ich denke da zum Beispiel an die Beziehung zu seiner Muse. War man früher nachsichtiger? Oder ist man heute wehleidiger?
Die Zeiten haben sich radikal geändert. Und es ist gut, dass sie sich geändert haben. Aber ich halte nichts davon, mit der Sensibilität von heute die Vergangenheit zu beurteilen. Nach heutigen Maßstäben wäre auch die Arbeitsweise von Johann Kresnik und anderen jener Generation nicht tolerabel.
Vor drei Jahren ist Ismael Ivo gestorben, mit dem Sie das Festival gegründet haben. Einen Ersatz für ihn suchen Sie nicht?
Er konnte fantastisch motivieren, er hatte eine hohe soziale Kompetenz, und er war der Fixstern im Workshop-Sektor. Die Programmierung war aber von 1988 an eher mein Geschäft. Ich denke daher nicht über personelle Veränderungen nach. Ich habe ein gutes Team.
Sie werden demnächst, Mitte August, 70. Und machen weiter, weil Sie nichts anderes gelernt haben?
So ungefähr. Aber wir sind mit der Stadt Wien und dem Bund dabei, eine „ImPulsTanz“-Stiftung zu gründen. Denn natürlich gibt es die Angst, dass mich der 71er (er fährt zum Zentralfriedhof, Anm.) erwischen könnte. Ich denke, wir könnten Ende des Jahres so weit sein.
Das heißt: Heuer keine Kritik von Ihnen an der Kulturstadträtin, die eine Nähe zu den Festwochen hat?
Ihr Begriff „Schutzmantelmadonna“ hat mir gefallen! Die Diskrepanz hinsichtlich der Förderungen ist noch immer sehr groß. Aber bei den Festwochen hat sich einiges geändert. Mit Christophe Slagmuylder war es nicht einfach gewesen. Sie erinnern sich: Er brachte die „Brandenburger Konzerte“ von De Keersmaeker. Aber mit Milo Rau gibt es eine gute Gesprächsbasis. Wir planen sogar für 2025 und 2026 gemeinsame Produktionen. Und wenn unser Festival ausverkauft ist, dann reicht es zum Überleben.
Mit dem Programm – von William Kentridge bis zu Jérôme Bel – wird Ihnen das wohl gelingen.
Ich bin zuversichtlich. Aber es gibt noch Karten! Auch deshalb, weil wir 25 Zusatzvorstellungen der besonders nachgefragten Produktionen angesetzt haben. An denen verdienen wir so gut wie nichts, aber mich macht es immer fertig, wenn wir präsumtives Publikum wegschicken müssen.
Das Festival wird am 11. Juli um 20 Uhr mit der Schau „Choreographic Objects“ von William Forsythe im MAK eröffnet. Highlights steuern u. a. William Kentridge, Dada Masilo, Anna Teresa De Keersmaeker, Jérôme Bel, Sidi Larbi Cherkaoui bei. Uraufführungen u. a. von Christine Gaigg, Chris Haring und Weronika Pelczyńska mit Elizabeth Ward. Kooperationen mit dem Filmmuseum, dem Mumok und dem Künstlerhaus. Info: impulstanz.com
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