"Im Zentrum": Die Opposition in der Gruppentherapie

"Im Zentrum": Die Opposition in der Gruppentherapie
Der ORF lud die Oppositionschefs zur Diskussion darüber, ob die Opposition schwächelt. Diese sahen das naturgemäß nicht so.

*** Disclaimer: Das TV-Tagebuch ist eine streng subjektive Zusammenfassung des TV-Abends ***

Die Regierung tagt derzeit in sommerlicher Atmosphäre im idyllischen Mauerbach. In der ORF-Talksendung "Im Zentrum" stand am Sonntagabend aber nicht die Koalition auf dem Prüfstand, sondern die Opposition.

Die Regierungspolitik könne hier nicht diskutiert werden, sagte Moderatorin Claudia Reiterer an einer Stelle, dann hätte man "Leute aus der Regierung ins Studio bitten müssen". Beabsichtigt war, hauptsächlich darüber zu sprechen, ob SPÖ, Neos und Liste Pilz derzeit zu viel mit sich selbst beschäftigt seien.

Diesen Eindruck wollten die drei geladenen Oppositionspolitiker natürlich streng vermeiden. Auf den Punkt brachte es SPÖ-Chef Christian Kern: "Ich hab‘ das Gefühl, in einer Therapiesitzung zu sitzen." Er wolle vielmehr über die Zukunft des Landes sprechen, als sich mit den anderen über den jeweiligen Kummer auszutauschen.

Kern sagte dies nach einer Viertelstunde. Da hatte Peter Pilz, der bekanntlich beabsichtigt, bald ins Parlament zurückzukehren, aber noch immer nicht weiß, wer für ihn weichen muss, bereits zu seiner moralischen Glaubwürdigkeit nach den Grapschvorwürfen ausführlich Stellung genommen. Und Neos-Chef Matthias Strolz musste sich anhören , dass die Beweggründe für seinen baldigen Rückzug nicht nachvollziehbar seien.

Die Opposition sei nicht "beschämend", wie das ein Heurigenbesucher eingangs im Einspielfilm über die SPÖ sagte, sie sei generell "außer Tritt gekommen", erklärte Journalistin Anneliese Rohrer.

Topfen und Kurzsyndrom

Da ging Strolz sofort in Opposition zu Rohrer: "Ich halt‘ das für einen Topfen". Er verwies auf eine geordnete Übergabe, steigende Umfragewerte, die Entwicklung eigener Themen, und die Landesregierungsbeteiligung in Salzburg. Im üblichen Strolz-Marketingsprech fielen dann auch noch die Worte "Kontrollkraft" und "Reformturbo".

Auch Kern lobte eigene Errungenschaften, meinte damit aber seine Kanzlerschaft. Seit dem Verlust derselben leide er an PTKS, schrieb Rohrer kürzlich in einem Kommentar. Was PTKS bedeute, fragte Reiterer. Rohrer: "Ist das nicht klar? Posttraumatisches Kurzsyndrom.“

Die landläufig als Doyenne der heimischen Journalistinnen titulierte Rohrer rangelte verbal mit allen Diskutanten, bildete an diesem Abend gewissermaßen die Opposition zur Opposition. Dass sie aber nicht in ein von Kern konstatiertes "Palmwedeln" eines journalistischen "Adorantenklubs" der Regierung einstimmt, wurde ebenso klar. Türkis-Blau warf sie eine "Grundbösartigkeit" vor, mit der alle „Nicht-Österreicher“ in einen Topf geworfen würden. Dagegen müssten die Oppositionsparteien stärker auftreten.

Politologe Peter Filzmaier dozierte ausführlich über Schwankungsbreiten bei Umfragen und die Messbarkeit von erfolgreicher Oppositionsarbeit. Sein Schluss daraus: Messbar sei nur, dass man zu oft den Themenvorgaben der Regierung hinterherhechle und zu wenig eigenständige Aktionen setze. Während die Koalition ein „fröhliches Schließen und Öffnen von Balkanrouten“ betreibe, beschränke sich die Opposition aufs bloße Reagieren, sagte Filzmaier.

Das Kommen des Peter Pilz

Für ganz und gar nicht entscheidend hält Filzmaier die Diskussion darüber, „wann, wohin und wobei der Herr Pilz kommt.“ Rohrer scheint dieses mediale Spiel besonders zu nerven, sie skizzierte es so: "Kommt er heute, kommt er morgen? Kommt er nächste Woche, kommt er im Herbst? Wann kommt er?“

Wichtiger als die Rückkehr Pilz‘ war Moderatorin Reiterer aber, herauszuarbeiten, ob die Liste Pilz ein Team-Stronach-Schicksal ereilen könnte. Nach wiederholtem Nachfragen spuckte es Pilz schließlich aus: „Ich bin kein Frank Stronach, mit Sicherheit nicht.“

Obwohl beide Steirer sind, hat das auch niemand vermutet.

Pilz schoss sich, wie zu erwarten, auf die Vorgänge in Innenministerium und Verfassungsschutz ein, warf der Regierung vor, an gelungener Integration gar nicht interessiert zu sein, und arbeitete einen Kernpunkt heraus, an dem sich die Opposition bis zur nächsten Wahl abarbeiten müsse: „Die FPÖ lässt ihre Wähler im Stich, das fängt bei Ceta an. Bei den kleinen Leuten wird es zur Entscheidung kommen.“

Auch SPÖ-Chef Kern will naturgemäß hier ansetzen. Dass ÖVP und FPÖ die "Interessen der Mehrheit, der Vielen, vertreten, ist so realistisch wie eine Marienerscheinung im Rotlichtviertel", sagte er.

Kern: "Liegt nicht an uns"

Über eigene Unschärfen beim Ceta-Kurs wischte Kern etwas salopp drüber: Die SPÖ-Position sei immer klar gewesen, dass das in der Öffentlichkeit anders gesehenen worden sei, "liegt nicht an uns", es sei eben "ein kompliziertes Ding".

Dass die Botschaften aber nicht immer bei den Leuten ankommen, sei gerade das Problem der Oppositionsparteien, sagte Rohrer.

Pilz sah noch einen anderen Grund, warum die Wähler beim Thema Gerechtigkeit laut Umfragen zuletzt mehr auf die FPÖ gesetzt haben. Die SPÖ habe diese Leute "auf lange Zeit verloren". Man glaube ihr nach Fällen des Machtmissbrauchs nicht, dass sie Gerechtigkeit durchsetzen könne. Die Partei verkörpere nicht mehr glaubwürdig den Protest.

Kern antwortete Pilz etwas schnoddrig, dass die SPÖ traditionell einen weiter gehenden Anspruch habe: "Wir sind keine Oppositionspartei, die angetreten ist, um einen U-Ausschuss zu machen."

Grüne außen vor

Ein eingeblendeter Heurigenbesucher sieht das Verdienst des Peter Pilz allerdings nicht in der Abhaltung von U-Ausschüssen, sondern ganz wo anders:Dass die Grünen nicht mehr im Parlament sind.“

Weil die Grünen aus dem Nationalrat ausgeschieden sind, war auch kein Vertreter zu „Im Zentrum“ geladen. Zu hören, wie jene Partei, die derzeit ums politische Überleben kämpft, auf die aktuelle Opposition blickt, hätte der Diskussion vielleicht mehr auf die Sprünge geholfen.

Medienschelte

Viel Zeit wurde darauf verwendet, zu klären, ob eine Art Gruppentherapie der möglicherweise schwächelnden Opposition im Fernsehen überhaupt angebracht sei. Stellenweise wurde daraus sogar ein böses Hinhacken auf die Medien. So warf Strolz der Kolumnistin Rohrer vor, sein "Bürgerkriegs"-Posting auf Facebook auf den ersten Satz reduziert zu haben, und sagte: "Weil sie’s nicht lesen und sich auf die Galerie setzen, ein Mal die Woche den Bleistift spitzen, einen Kommentar rüberfetzen und in den Chor einstimmen: Die Opposition bringt nix z'samm."

Da war selbst Rohrer sprachlos. Dabei hätte man darauf verweisen müssen, dass Oppositionspolitik sicher nicht dadurch glaubwürdiger wird, wenn sie sich in der Medienschelte auf das Niveau einer der beiden Regierungsparteien begibt.

LINK: "Im Zentrum" zum Nachsehen in der ORF-TVThek

 

Kommentare