Für viele sind Kafkas Texte schwer zu lesen. Warum sollte man es trotzdem versuchen?
Es verwundert mich, wenn Menschen Kafka als schwer zu lesen empfinden. Er verwendet eine, gerade für seine Zeit, klare, einfache, geradlinige Sprache und kommt meist schon mit dem ersten Satz auf den Punkt. Kafkas Texte fertig zu lesen, ist jedoch nicht immer leicht – und auch nicht immer nötig. Er verliert sich gern selber in seinen Labyrinthen, verknotet sich, findet nicht zu einem Ende, bricht ab, lässt es unvollendet. Kafkas Texte sind keine Plots, die auf ein Ziel zurasen. Es sind Stimmungen und Ideen, in die man sich erlauben sollte, hineinzufallen. Eine bereichernde Lektüre, die unvergessliche Bilder in unsere Köpfen platziert, auch wenn wir ein Buch nicht bis zum Ende lesen.
Sie haben in einem Interview gesagt, dass Sie sich ein Leben ohne Kafka nicht vorstellen können. Warum?
Ich bin sehr früh (durch die Mutter meines besten Freundes) an zwei meiner literarischen Eckpfeiler herangeführt worden: Kafka und Brecht. Beides fand ich immer schon cool, eben nicht hochkulturell spießig wie so vieles andere, besonders Kafka fast Grusel-Fiction. Er schrieb fantasievoll und gleichzeitig ganz konkret, ohne Schnörkel, ohne Längen. Das entsprach mir, beeindruckte und beeinflusste mich. Es wurde ein Teil meiner Existenz. Später kamen dann Roald Dahl, Stephen King und Max Frisch dazu, doch zu denen hatte ich nie eine so persönliche Bindung wie zu Kafka.
Ihr neuer Roman spielt in Wien und sich in einem Taxi ab. Wie kam es zu dieser Geschichte?
Ich studierte Kafkas Journale, nachdem ich Anfang 2021 auf das Zitat gestoßen war. Bald zogen mich besonders seine Träume, die er darin festhielt, in ihren Bann, auch weil ich zu der Zeit (vergeblich) versuchte, mir das Luzide Träumen beizubringen. Kafkas Traumbeschreibungen brechen jeweils urplötzlich ab. Mitten drin ist Schluss – wie bei Träumen üblich. Ich überlegte, wie es wäre, einen oder mehrere Träume Kafkas in der Jetztzeit weiterzuführen. Dann fiel mir mein alter Schulfreund ein, der seit Jahrzehnten Nachtfahrer in Wien ist. Die Welt, in der er sich verdingt, hat etwas absolut Kafkaeskes. Es ging wunderbar zusammen. Ich rief ihn an und er führte mich in sein eigenartiges Taxler-Leben ein, erklärte und zeigte mir alles, was ich wissen musste.
Warum spielt die Geschichte in Wien und nicht in Prag oder Bregenz?
Wien bot sich atmosphärisch perfekt an. Es ist seit Jahrzehnten meine zweite Heimat. Ich kenne das Flair der Stadt, es passt hervorragend zu Kafka, auch wenn er Wien absolut hasste. Darüber hinaus verbrachte Kafka knapp außerhalb der Stadt seine letzten Lebenswochen. Zusammen mit meinem Wiener Taxlerfreund ergab das alles genau die Stimmung, die ich suchte.
Sie waren bzw. sind in verschiedenen Genres unterwegs und überall erfolgreich. Dazu braucht es Mut und viel Selbstvertrauen. Haben Sie beides im großen Ausmaß?
Sie bringen mich zum Lachen! Ich bin ein endloser Zweifler, stelle alles und auch mich selbst und mein Tun stets infrage. Oft genug zerbreche ich darunter. Und auch bin ich ein gewaltiger Feigling. Ich erschrecke bei jedem Hund, der meinen Weg kreuzt, und habe Angst vor der Dunkelheit oder sogar dem Telefon. Punktuell aber, wenn es mit meinem künstlerischen Schaffen in Verbindung steht, bin ich risikofreudig und vertraue auf meine Intuition. Dann lasse ich mich offenherzig in wilde Abenteuer leiten und schrecke vor nichts zurück.
Ihr Leben teilen Sie in Drittel ein. Im ersten war er der rebellische Musiker, im zweiten der reflektierte Literat. Was kommt im dritten Drittel?
Wenn ich das nur wüsste. Es hängt an vielen Faktoren und Zufällen. Bislang meinte es das Schicksal gut mit mir. Ich hoffe, dass sich das nicht ändert. Jedes Alter hat seine Vor- und Nachteile, die gilt es zu erkennen. Was immer es ist, es soll gerne etwas Ruhigeres sein. Es gibt genug Lärm in der Welt, zu dem ich nichts mehr beitragen will.
Sie waren und sind ein aufmerksamer Beobachter, ein kritischer Zeitgeist, einer, der auch gerne mal aneckt, wenn es sein muss. Welche Fehlentwicklungen sehen Sie auf uns zurollen, welche Fehlentwicklungen gehören dringend von Seiten der politischen Verantwortlichen gebremst und verändert und welche sind nicht mehr aufzuhalten?
Es hatten sich die Dinge gesellschafts-, sozial-, wirtschafts-, geo-, wirtschafts-, klima- und kulturpolitisch schon vor der Pandemie in erschreckende Richtungen entwickelt. Corona wäre eine einmalige Gelegenheit für das grundsätzliche Verändern, Anhalten, Umkehren gewesen, das unser Planet und all die Lebewesen benötigen, die sich auf ihm tümmeln. Doch wir haben diesen Moment ungenutzt verstreichen lassen und jagen weiter wie irre von einem Rekord zum nächsten. Das Wort „historisch“ wird täglich in den Medien verwendet. Mir wird übel, wenn ich es nur höre. Unsere Sucht nach andauernd gesteigertem Spektakel muss ein Ende finden. Wir müssen sie durch Besonnenheit ersetzen, unsere Gier durch ein Verzichten und die geheuchelten Worthülsen durch ernsthafte Inhalte. Neuerdings gibt es ein paar Politikerinnen und Politiker, die das verstehen und versuchen umzusetzen. Das macht mir Hoffnung. Doch in diesem Kamikaze-System ist es schwer für sie. Wir haben uns bedingungslos dem Kapitalismus und seinen Gesetzen verschrieben und suchen Zuflucht in immer rasanter fortschreitenden technischen Erneuerungen. Traditionellerweise benutzen wir diese, ohne zu wissen, was es mit uns macht. So manövrieren wir uns in eine Sackgasse. Der menschengemachte Klimawandel ist das eklatanteste Beispiel hierfür. Jetzt noch rechtzeitig umzukehren, scheint kaum machbar. Mit reiner Augenauswischerei ist es jedenfalls nicht getan.
Kommentare