Hans-Peter Wipplinger: „Man sollte wegkommen vom Jahrmarkt im MQ“
Schon knapp zwei Jahre grassiert die Pandemie – mit Lockdowns und Schließzeiten, von denen auch das Leopold Museum betroffen ist. Im Gegensatz zu anderen Direktoren, die sich zum Beispiel mit Videobotschaften über Einnahmenverluste an die Öffentlichkeit wenden, jammert Hans-Peter Wipplinger nicht.
„Weil ich weiß, dass die Kulturinstitutionen in Österreich prinzipiell – auch wenn es Ausnahmen gibt – gut abgesichert sind. Es gibt andere Betriebssysteme, denken wir nur an die Gastronomie und Hotellerie, wo es um Existenzen, wirklich ans Eingemachte geht. Ich kann zudem nachvollziehen, dass Schritte zur Eindämmung der Pandemie gesetzt werden mussten. In Wien macht Bürgermeister Michael Ludwig das sehr gut.“
Aber natürlich bedeute das Ausbleiben der Besucher, so Wipplinger, eine finanzielle Katastrophe: „In den Jahren vor der Pandemie haben wir mehr als 60 Prozent unseres Budgets selbst verdient. Denn etwa 70 Prozent unserer Besucher waren ausländische Touristen. Die asiatischen Touristen sind komplett ausgefallen – sie machten acht Prozent unserer Besucher aus. Ausgefallen sind auch die US-Amerikaner und die Briten. 2020 gab es einen Rückgang um 80 Prozent.“
Rigides Sparprogramm
2021 sei es eine Spur besser gewesen, trotzdem hätte man in „den guten Monaten“ nur 45 Prozent der „normalen“ Besucherzahl erreichen können. Insgesamt werde diese bei etwa 120.000 liegen – anstatt bei 500.000. Wie hoch der Jahresfehlbetrag ausfallen wird, kann Wipplinger nicht sagen. Denn das Wirtschaftsjahr läuft bis Ende März. Aber der Eigendeckungsgrad dürfte auf etwa 30 Prozent gesunken sein.
Daher gibt es ein rigides Sparprogramm: „Wir bestreiten Ausstellungen in erster Linie aus den eigenen Beständen oder aus Sammlungen in Österreich.“ In der Josef-Pillhofer-Schau im Sommer gab es zwar internationale Positionen, aber nur zwei Exponate aus ausländischen Sammlungen. 2022 geht es ähnlich weiter – mit der Präsentation „Die Vornehmsten der Vornehmen“ aus der Sammlung Klewan, die mit einer Schenkung von 500 Schriftstellerporträts verbunden ist.
Beim Fest zum 20-Jahr-Jubiläum, das Mitte September stattfand, sprach Sammlerwitwe Elisabeth Leopold vom „braven Wipplinger“. Aber sie ist nicht immer mit ihm zufrieden. Weil er sich erlaubt, zeitgenössische Positionen vorzustellen, was mitunter auch im Stiftungsvorstand kritisch gesehen wird.
Wipplinger beharrt: „Pillhofer, Joannis Avramidis, Berlinde De Bruyckere müssen nicht jedem gefallen. Ich finde es trotzdem wichtig, dass wir die kostbare Sammlung auch international einbetten und den Brückenschlag in die Gegenwart schaffen.“
Er verteidigt auch die interdisziplinären Ansätze – etwa mit der Ausstellung über Arnold Schönberg und die Musik oder mit der Ludwig-Wittgenstein-Schau „Fotografie als analytische Praxis“, in der Philosophie evident ist (bis 6. März): „Im Herbst 2022 stellen wir den gefeierten Film- und Bühnenstar Tilla Durieux vor: Die Wienerin, 1880 als Ottilie Helene Angela Godeffroy geboren, saß für viele Maler Modell – von Auguste Renoir über Lovis Corinth und Oskar Kokoschka bis Max Oppenheimer. Mit dieser Ausstellung holen wir neue Publikumsschichten ins Haus. Wir lassen uns nicht auf Schiele reduzieren, wir sind das Haus des kulturellen Erbes ,Wien 1900‘. Und ,Wien 1900‘ eröffnet neue Horizonte, wenn man diese Wissensgebiete miteinbezieht.“
Von Ende März bis Mitte Juli gibt es zudem eine große Alfred-Kubin-Ausstellung mit dem Titel „Bekenntnisse einer gequälten Seele“, die Wipplinger mit dem Psychoanalytiker August Ruhs kuratiert.
Und im Herbst folgt eine Schau über den Hagenbund, eine im Jahr 1900 gegründete Künstlervereinigung: „Wir erzählen die Geschichte ausgehend von der Monarchie über den Ständestaat bis zur Liquidierung im September 1938 durch die Nationalsozialisten. Die Mitglieder Fritz Schwarz-Waldegg und Robert Kohl wurden im Konzentrationslager ermordet, andere, darunter Carry Hauser, Otto Rudolf Schatz und Lilly Steiner, mussten emigrieren, weil sie nicht ins System passten.“
Ungewohnt deutlich wird Wipplinger, wenn er auf die Situation im Museumsquartier angesprochen wird „Architekturzentrum, Mumok, Dschungel, Kunsthalle Wien und so weiter: Wir alle sind Mieter – und wir erwarten uns daher, dass die Häuser in Schuss gehalten werden, dass die Lifte funktionieren, die Dächer dicht sind und so weiter. Das Areal ist immerhin 20 Jahre alt – und es gibt überall Mängel. Das muss behoben werden.“
Kritik an Strasser
Und: „Man sollte wegkommen vom Jahrmarkt in den Höfen.“ Er sieht die Aufgabe der Betriebsgesellschaft darin, die Häuser zu unterstützen – und nicht gegen sie zu arbeiten mit einem zusätzlichen Event-Programm: „Ich finde nicht, dass da oder dort noch ein kulturelles Pflänzchen gesetzt werden oder noch ein Durchgang mit Sound beschallt werden muss.“ Die meisten Nutzer im Areal sähen das auch so.
Ganz besonders ärgerlich findet Wipplinger Projektionen auf die Fassade: „Man kann unser Haus, auf dem unser Logo steht, nicht mit einer Werbung bespielen, ohne uns etwas zu sagen. Das wurde in den letzten Jahren kontinuierlich schlimmer.“ Er weint daher Geschäftsführer Christian Strasser keine Träne nach, der um eine Vertragsverlängerung kämpfte – und kurz nach der Bekanntgabe kund tat, das Museumsquartier mit Jahresende zu verlassen: „Wir freuen uns auf die Zusammenarbeit mit einer neuen Geschäftsführung. Denn so, wie zuletzt, kann es nicht weitergehen.“
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