Elisabeth Leopold: „Egon Schiele ist seither ein Weltkünstler“
Es ist ein strahlender Tag in Grinzing, wir sitzen in der Sonne. Elisabeth Leopold, eine pensionierte Augenärztin, lobt den KURIER für die Berichterstattung über Covid. Man müsse immer wieder mit drastischen Beispielen über die Intensivstationen berichten, sagt sie. Damit die Menschen kapieren, warum sie sich impfen lassen sollen.
Aber eigentlich geht es um das Leopold Museum, das 2001 im Museumsquartier eröffnet wurde. Und um Rudolf Leopold. Und um die sogenannte Sammlung II. Daher ist auch Sohn Diethard Leopold beim Interview dabei.
KURIER: Sie haben Rudolf Leopold beim Studium kennengelernt. Konnten Sie seine Begeisterung für die Kunst von Anfang an teilen?
Elisabeth Leopold: Gott sei Dank! Meine Mutter war Prokuristin bei einer an die Wiener Werkstätte angedockten Korbwarenfabrik. Dadurch war ich „vorgewarnt“. Und sie schrieb mir ins Stammbuch: „Nicht das Schönste auf der Welt soll Dir am besten gefallen, sondern was Dir wohl gefällt, sei Dir das Liebste von allen.“ Sie meinte, ich solle nicht dem allgemeinen Geschmack nachrennen, sondern mir etwas Eigenes suchen. Das hab’ ich als Kind nicht verstanden. Später aber sehr wohl. Und daher hatte ich diese gute Verbindung zu dem narrischen Sammler.
Wie kam er zur Kunst? Sein Vater war ja ein wichtiger Sektionschef im Landwirtschaftsministerium.
Elisabeth Leopold: Daher hat er seine Kinder immer ins Naturhistorische Museum geführt. Und so ging mein Mann erst mit 22 zum ersten Mal ins Kunsthistorische Museum. Aber die Geschichte kennen Sie doch!
Die Leser vielleicht nicht.
Elisabeth Leopold: Na gut. Also: Er war überwältigt! Ihm hat ganz besonders der Velázquez gefallen. Und natürlich der Vermeer und der Rembrandt. Er sagte zu mir: „Ich möchte mein Leben mit Kunst umgeben!“ Ihm fiel dann der Katalog von Otto Nirenstein (ein Galerist in Wien, der sich 1933 in Kallir umbenannte, Anm.) über Egon Schiele in die Hand. „Das ist ein großartiger Künstler! Ich muss mich nach ihm umschauen!“ So kam er zum Kunstkritiker Arthur Rössler (der ein Förderer von Schiele gewesen war, Anm.). Rössler hatte ein Bild von Schiele hängen – und prüfte meinen Mann: „Sagen Sie mir, was halten Sie von dem Sonnenuntergang?“ Mein Mann beschrieb das Bild: „Die Sonne versinkt – und man weiß nicht, ob sie je wieder auftauchen wird.“ Da war der Rössler überwältigt.
Diethard Leopold: Einige Jahre später konnte mein Vater das Bild erwerben. Auf den Keilrahmen hatte Schiele selbst „Versinkende Sonne“ geschrieben.
Elisabeth Leopold: Das erste Bild, das er gekauft hat, war aber „Die tote Stadt“. Zunächst nicht das Ölgemälde, sondern die Gouache. Und er hat von da an die Hauptwerke gekauft. Er ist ihnen anhand des Nirenstein-Katalogs nachgerannt – bis nach England, Amerika und Australien.
Er hat all sein Geld für Kunst ausgegeben.
Elisabeth Leopold: Auch das Geld, das er nicht hatte. Eine Journalistin hat mich einmal gefragt: „Hatten Sie überhaupt Geld für Kinderschuhe?“ Wir hatten ja drei Kinder. Ich sagte, dass ich als Augenärztin eine Kassenpraxis hatte. Mit meinem Geld hab’ ich uns über Wasser gehalten. Ich habe aber auch geholfen, Kredite zurückzuzahlen.
Es gibt viele Anekdoten über die Sammelleidenschaft Ihres Mannes, die schon eine richtige Sucht war. Er soll zum Beispiel anderen Interessenten geraten haben, von einem Kauf abzusehen, weil das Bild nicht gut sei.
Diethard Leopold: Sucht ist irrational, und mein Vater verleibte sich die Kunst ein wie den sprichwörtlichen Bissen Brot. Gleichzeitig sammelte er jedoch, wovon sein Museum Zeugnis ablegt, sehr überlegt. Gewiss gibt es eine Menge Anekdoten über ihn, aber Händler erzählen auch, wie seine Augen strahlten, wenn ihm etwas gefiel - was ihn nicht in die günstigste Verhandlungsposition brachte ... So bezahlte er im Gegenteil meistens die Höchstpreise seiner Zeit, bestimmte damit aber auch generell die steigenden Marktpreise für österreichische Kunst. Man muss auch bedenken, dass im obersten Segment des Kunstmarkts viele reiche und mächtige Leute agieren. Kurz gesagt, wenn man in diesem Umfeld eine Sammlung von Weltrang aufbauen will, kann man nicht immer wie ein Erstkommuniant handeln, sonst bleibt man über.
Elisabeth Leopold: Ich möchte noch eine andere Geschichte erzählen. Das Dorotheum versteigerte den gelben Akt aus 1910 (ein ikonisches Selbstporträt mit gespreizten Beinen, Anm.). Mein Mann bat einen Bekannten, einen Spezialisten für gotische Kunst, mitzukommen. Das Bild wurde hergezeigt, es ging ein Rhabarber durch den Saal: „Das gehört verbrennt! Das ist ja entartete Kunst!“ Mein Mann ersteigerte den Akt, die Menschen tuschelten. Und da sagte der Bekannte laut: „Herr Doktor, regen Sie sich nicht auf, die Leut‘ versteh‘n ja nix, Sie haben ein Meisterwerk erstanden!“ Das war etwa 1953. Ja, so war mein Mann: Er hat das Talent und die Qualität erkannt, er hat sich nicht geniert. Und er hatte recht.
Irgendwann war das ganze Haus in Grinzing voll Kunst.
Diethard Leopold: Vor allem die Räume im Erdgeschoss wurden als Depot genutzt.
Und die Kinderzimmer blieben kunstfrei?
Diethard Leopold: Nein, nicht ganz. Es gab Möbel von Josef Hoffmann und der Wiener Werkstätte, auf die wir sehr aufpassen mussten.
Elisabeth Leopold: Mitunter musste stundenlang umgeräumt werden, damit die Gäste Platz hatten. Wir stopften alles in die Wohnung des Schwagers. Er kam unerwartet zurück – und war entsetzt. Er hat dann die Schlösser austauschen lassen. Ja, da gab es schon lustige Begebenheiten!
Der Schuldenberg wuchs, im Tresor der Creditanstalt lagerten als Sicherstellung etliche Meisterwerke.
Diethard Leopold: Zu bestimmten Terminen wurden Zinszahlungen fällig. Da gab es mitunter größten Stress. Die Sorge war, dass die Banken anfangen könnten, die Bilder zu verkaufen. Aber das konnte immer verhindert werden.
Die Verhandlungen mit dem Staat über den Ankauf der Sammlung und die gemeinsame Errichtung der Stiftung zogen sich über viele Jahre.
Diethard Leopold: Es kam erst Bewegung in die Sache, als die Regierung in den frühen 90er-Jahren einen neuen Versuch unternahm, das Museumsquartier zu realisieren. Ohne das Leopold Museum als Zugpferd wäre das nicht gelungen.
Elisabeth Leopold: Es schließt die Lücke zwischen dem Kunsthistorischen Museum und dem Museum moderner Kunst, das auch im Museumsquartier errichtet wurde. Und als Experimentierfeld für das 21. Jahrhundert gibt es die Kunsthalle. Das ist also ein sehr schöner Parcours! Ich würde gerne wieder einmal Franz Vranitzky sehen, um mich zu bedanken. Bei einer Ausstellung über Egon Schiele und seine Zeit im Kunstforum, die er eröffnet hat, sagte der Bundeskanzler zu meinem Mann: „Der Staat hat Interesse an Ihrer Sammlung!“ Er hat dieses Wunder ermöglicht.
Diethard Leopold: Zusammen mit dem damaligen Vizekanzler Erhard Busek, der ein Mann der Kultur ist und das Projekt entscheidend vorantrieb. Und so war mein Vater nur ein einziges Mal reich: 1994 – und auch das nur ganz kurz.
Denn die Schulden mussten zurückgezahlt werden. Und er sammelte gleich weiter.
Elisabeth Leopold: Auch noch, als er schon am Totenbett lag. Da wurde ein Medea-Bild von Anselm Feuerbach versteigert, das ihn interessiert hat. Er kaufte es um ein Vielfaches des Ausrufungspreises.
Diethard Leopold: Die Ärzte hatten ihm verboten, bei Auktionen mitzusteigern. Denn das würde sein Herz zu sehr belasten. Trotzdem ersteigerte er als letztes einen bedeutenden Schiele-Brief. So soll man leben!
Dieses Medea-Bild befindet sich weiterhin in Besitz der Familie. Denn es ist Teil der sogenannten Sammlung II.
Diethard Leopold: Und Teil der vielen, bedeutenden Leihgaben aus der Familiensammlung im Leopold Museum, die sich nahtlos in die Präsentation einfügen.
Elisabeth Leopold: Die Privatsammlung umfasst unter anderem Werke von Alfons Walde, Kolo Moser, Albin Egger-Lienz, zehn Gemälde von Egon Schiele und vieles mehr.
Wie soll es mit dieser Sammlung weitergehen?
Diethard Leopold: Es gibt immer wieder Gespräche, aber es konnte kein Vertrag abgeschlossen werden. Die Fortführung der Leihe ist offen.
Was ist der Wunsch der Familie? Eine Dauerleihgabe?
Diethard Leopold: Wir haben einen Kernbestand definiert, der unveräußerlich sein soll. Der Wunsch ist generell, langfristig am Geschehen und Gedeihen des Leopold Museums teilzunehmen. Der von uns geschätzte Direktor Hans-Peter Wipplinger leistet Hervorragendes. Wir bemerken aber, dass die Leihgeber und Sponsoren gerne auch mit uns, der Familie, in Kontakt treten.
Elisabeth Leopold: Moment! Ich wurde gefragt, wie ich zum Wipplinger stehe. Meine Antwort: „Ich habe eine distanzierte Liebe zu ihm.“ Denn manchmal kommt die Sammlung Leopold meiner Meinung nach zu wenig zur Geltung. Besonders der Schiele-Teil, das Herzstück, könnte eindrucksvoller präsentiert werden. Aber im Großen und Ganzen macht er seine Sache sehr gut, ich war auch für die Verlängerung seines Vertrags.
Sie sind auf Lebenszeit Mitglied des Stiftungsvorstands. Energisch wie je, aber auch schon im 96. Lebensjahr.
Elisabeth Leopold: Es hat mich gefreut, dass ich die Ausstellung „Moderne österreichische Farbmalerei um 1918“ machen konnte, die bis Ende Mai zu sehen war. Mit Werken von Boeckl, Faistauer, Wacker usw. Sie wird nun in Klagenfurt zu sehen sein. Und für 2022 ist eine Kubin-Ausstellung geplant. Trotzdem würde ich mich gerne langsam ins Privatleben zurückziehen.
Wenn Ihnen Ihr Sohn im Vorstand nachfolgen kann?
Elisabeth Leopold: Das wäre schön. Es müsste eigentlich selbstverständlich sein, dass ein Mitglied der Familie weiter im Vorstand sitzt.
Diethard Leopold: Das kann auch jemand aus der nächsten Generation sein.
Elisabeth Leopold: Kennen Sie meine Broschüre „Die sieben Punkte meines Lebens“? Ich schreibe darin über die großen Schiele-Ausstellungen. Es begann 1956 mit dem Stedelijk in Amsterdam. Ein Kritiker stellte damals fest: „Der bisher für uns unbekannte Schiele rückt mit einem Schlag in die erste Reihe europäischer Künstler.“ Ein Jahrzehnt später, 1965, kam es im Guggenheim Museum New York zur Ausstellung „Gustav Klimt and Egon Schiele“. Von da an haben die amerikanischen Museen Blätter gekauft – und Schiele ist seither ein Weltkünstler.
Ein nächster Schub waren dann ab 1998 die Restitutionsgeschichten.
Diethard Leopold: Naja, als wir jung waren, hing in jeder Studenten-WG ein Poster von Schiele. Er hätte die Schlagzeilen rund um die nunmehr längst bereinigten Verfahren nicht gebraucht. Aber ja, ein Bild, das tatsächlich weltberühmt wurde, ist das „Bildnis Wally“. Das kannte man davor nur hierzulande.
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