Fritz Muliar wäre 100 Jahre alt: „Er hat sich selbst inszeniert“
Bei meinem ersten Interview mit Fritz Muliar war er 63 und sagte, dass er mit 65 in Pension gehen werde, „weil alles am Theater schrecklich“ sei. Gespielt hat er dann bis zum letzten Tag seines Lebens, als er in seinem 90. Lebensjahr stand. In wenigen Tagen wäre Fritz Muliar hundert.
„Er war ein widersprüchlicher Mensch“, sagt sein heute 59-jähriger Sohn Martin Muliar. „Einerseits liebevoll, andererseits konnte man schwer an ihn herankommen.“ Wie denn auch: Tagsüber Proben und Dreharbeiten, abends Vorstellung, Fritz Muliar war ständig beschäftigt.
Der private Muliar
So grantig er sich mitunter in der Öffentlichkeit gab, so heiter und meist gut gelaunt sei er privat gewesen, sagt Muliars Witwe Franziska Kalmar, die 1955 Österreichs erste Fernsehsprecherin war. Im selben Jahr haben sie auch geheiratet – zwei Tage nach Abschluss des Staatsvertrags. Fritz Muliar sagte damals: „Österreich hat seine Freiheit gewonnen, ich hab sie verloren. Beides macht mich glücklich.“
Zunächst ohne Vater
Ja, er war ein glücklicher Mensch, erklärt seine 90-jährige Witwe. „Er war mit seinem Leben zufrieden, hat immer gemacht, was er wollte“. Theaterspielen, Film, Fernsehen, Lesungen.
Geboren am 12. Dezember 1919 in Wien, wuchs er zunächst bei seiner Mutter, einer Sekretärin, auf – der leibliche Vater kümmerte sich nicht um ihn. Als er zwölf war, heiratete die Mutter den Juwelier Mischa Muliar, der ihm zum Vater wurde. Mit 16 begann Fritz sein Schauspielstudium und trat danach in Wiener Kabaretts auf. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten musste sein russisch-jüdischer Stiefvater flüchten, der junge Schauspieler wurde zur Wehrmacht eingezogen. Als er vor Kameraden sagte, dass Hitler ein Verbrecher und der Krieg verloren sei, wurde Muliar wegen „Wehrkraftzersetzung und Betätigung zur Wiederherstellung eines freien Österreich“ zu fünf Jahren Haft verurteilt, die er großteils in einer Strafkompanie an der russischen Front zubrachte.
Die Kriegsjahre haben ihn geprägt, Muliar wurde Antinazi, Antifaschist, Sozialist, nahm jede Gelegenheit wahr, sich politisch zu äußern, womit er sich nicht nur Freunde machte. „Er hatte ein extremes Kriegstrauma, das er nie wirklich aufgearbeitet hat“, meint sein 43-jähriger Enkel Markus Muliar. „Das führte zu einer kritischen Sicht auf alles Deutsche und richtete sich letztlich auch gegen Claus Peymann, als der Burgtheaterdirektor wurde.“
Die erste Ehe
Ab 1946 spielte Muliar wieder Kabarett und Theater, zunächst in Klagenfurt und Graz, er heiratete seine erste Frau, die Schauspielerin Gretl Doering, die seinen ältesten Sohn Hans zur Welt brachte, der Juwelier wurde. Als Hans im Alter von 44 Jahren an Lungenkrebs starb, machte Muliar die schlimmste Zeit seines Lebens durch. „Er spielte damals in Felix Mitterers Stück ,Sibirien’ selbst einen Sterbenden“, erinnert sich Franziska Kalmar. „Obwohl es ihm sehr schwer fiel, trat er in dieser Rolle weiterhin auf.“
Muliar und der Alkohol
Frau Kalmar wurde, ehe sie Muliar heiratete, von Freunden vor ihm gewarnt, da er dem Alkohol allzu sehr zusprach. „Aber er ist davon total weggekommen, zuletzt hat’s ihm nicht mehr geschmeckt“. Fritz Muliar selbst sagte dazu: „Meine Frau hat mich da rausgeholt, das werde ich ihr nie vergessen.“
Am 12. und 13. Dezember findet aus Anlass des 100. Geburtstags von Fritz Muliar im Wiener Theatermuseum das Symposium „Was noch zu sagen wäre“ statt. Der Eintritt ist frei.
Muliar trat an allen großen Bühnen auf und war seit 1974 Mitglied des Burgtheaters. Der Konflikt mit Peymann führte dazu, dass Muliar 1994 in Pension ging und ans Theater in der Josefstadt wechselte. Den Titel Volksschauspieler hatte er sich spätestens 1970 als „Braver Soldat Schwejk“ erworben, er spielte auch Nestroy, Raimund, Schnitzler, Hofmannsthal, den Sancho Pansa in „Der Mann von La Mancha“ und den Frosch in der „Fledermaus“. Muliar war in mehr als 100 TV-Filmen zu sehen, führte Regie, schrieb Bücher, gab zahllose Vortragsabende, in denen er eine Renaissance des jüdischen Witzes einleitete.
„In erster Linie hat er für sich gelebt und sich selbst inszeniert“, erklärt Sohn Martin, das Theater war für ihn alles. Martin Muliar hat sich erst mit Ende 30 entschieden, selbst Schauspieler zu werden und sagt, dass es „nicht leicht war, mit dem Namen Muliar zur Bühne zu gehen. Inzwischen ist aber so viel Zeit vergangen, dass der Name kein Problem mehr darstellt.“
Im Kaffeehaus
Sohn Alexander Muliar ist Kameramann, und Enkel Markus führte das Café Markusplatz auf der Wiener Tuchlauben: „Mein Opapa ist oft ins Kaffeehaus gekommen, um mit mir zu reden, wir hatten ein sehr gutes Verhältnis zueinander.“ Heute ist Markus Muliar Musikstudent.
„Mein Mann war gläubig, aber nicht religiös“, sagt Franziska Kalmar. Posthum sollte sie eine Überraschung erleben: „Der Tiroler Bischof Stecher, den er aus dem Krieg kannte und mit dem er befreundet war, hat mir nach seinem Tod geschrieben, dass Fritz sich im Alter dem Judentum zugehörig fühlte. Ich hatte keine Ahnung davon.“
Der letzte Auftritt
Angst machte ihm nicht der Tod, sondern das Sterben. Diesbezüglich hatte er ein gnädiges Schicksal. „Mein Mann ist am 3. Mai 2009 in der Nachmittagsvorstellung in den Kammerspielen aufgetreten, dann ist er nach Haus gekommen, hat sich zum Fernseher gesetzt und nach einer Stunde zu mir gesagt, ich solle den Arzt anrufen, er fühle sich nicht gut. Als ihn die Rettung ins AKH brachte, war er schon nicht mehr bei Bewusstsein.“
Fritz Muliar ist noch in derselben Nacht gestorben.
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