Die Julius-Meinl-Story: Höhen und Tiefen einer Dynastie
Julius Meinl. Das war einmal ein Name, der ausschließlich Glanz ausstrahlte. Denn Meinl ist nicht nur ein Firmenname, sondern auch ein Stück Österreich, das wir seit unserer Kindheit kennen und unsere Groß- und Urgroßeltern auch schon gekannt haben. Diese Woche wurde der Meinl Bank – zuletzt Anglo Austrian Bank – vorübergehend die Banklizenz entzogen.
Marktlücke entdeckt
Der Aufstieg zum internationalen Großkonzern begann im 19. Jahrhundert. Wie viele erfolgreiche Kaufleute hatte Julius Meinl I. eine Marktlücke entdeckt: Als der 38-jährige aus Böhmen zugewanderte Bäckersohn 1862 in der Wiener Köllnerhofgasse ein kleines Kolonialwarengeschäft eröffnete, mussten Cafétiers und Hausfrauen ihren Kaffee noch selber rösten. Julius I. hatte die Idee, fertig gerösteten Kaffee anzubieten. Der Dienst am Kunden schlug dermaßen ein, dass die Firma rasch expandierte. Hatte sie 1901 in Österreich-Ungarn 16 Filialen, so waren es acht Jahre später bereits 48 und gegen Ende der Monarchie über 100.
Friedensbewegung
Dabei geht die Familiengeschichte weit über das Geschäftsimperium hinaus: Julius Meinl II., der Sohn des Gründers, rief im Ersten Weltkrieg eine Friedensbewegung ins Leben, der auch der spätere k. k. Ministerpräsident Heinrich Lammasch angehörte. Die „Meinl-Gruppe“, wie sie genannt wurde, versuchte zwischen den verfeindeten Staaten zu vermitteln, scheiterte aber an der unnachgiebigen Haltung Deutschlands.
Während er nach Kriegsende Lebensmittel für Österreichs hungernde Bevölkerung organisierte, sorgte Meinl II. auch für den Ausbau des Konzerns. In allen Nachfolgestaaten der Donaumonarchie wurden Niederlassungen gegründet, das Filialnetz reichte vom Baltikum bis ans Schwarze Meer, Meinl gab es in Rumänien, Polen und in der Tschechoslowakei, auf den Geschäften in Italien stand Giulio und in Ungarn Juliusz Meinl. Mit fast 600 Filialen und zahlreichen Fabriken zählte Meinl nun zu den größten Lebensmittelkonzernen Europas.
Spekatakuläre Ehe
Die Mitglieder der Familie Meinl waren bestrebt, ihr Privatleben aus der öffentlichen Berichterstattung herauszuhalten – was zumindest in einem Fall spektakulär misslang. Und zwar 1931, als sich der 62-jährige Julius II. in die japanische Opernsängerin Michiko Tanaka verliebte und die um 40 Jahre jüngere Schönheit heiratete.
Die Ehe endete, als sich Filmstar Viktor de Kowa in Frau Meinl verliebte. Es kam zu einer pikanten Situation, die de Kowa später so schilderte: „Ich ließ mich bei Julius Meinl anmelden. Und sagte: ,Gestatten Sie, Herr Konsul, darf ich Sie um die Hand Ihrer Gattin bitten’.“
Das Unglaubliche geschah: Meinl gab Michiko frei und blieb auch nach der Scheidung ritterlich: Er war Trauzeuge bei der Hochzeit de Kowas mit seiner Ex-Frau!
In seinem neuen Buch „Alles aus Neugier, 40 Geschichten aus 40 Jahren“ begegnen wir bekannten Protagonisten wie dem alten Kaiser und der Schratt. Beethovens Verhaftung in Wiener Neustadt fehlt ebenso wenig wie der Markus-„Klassiker“ über den Grabraub der Mary Vetsera. Wir erfahren den wahren Hintergrund zum Spionagefall Redl, Intimes über Österreichs populärste Volksschauspieler, aber auch wie der Autor das Geheimrezept der Sachertorte fand.
Amalthea Verlag, 320 Seiten, viele Fotos,
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Dreiecksgeschichte
Vielen Wienern erschien die Aufsehen erregende Affäre als Déjà-vu, hatte Michiko doch vier Jahre davor den Kinofilm „Letzte Liebe“ gedreht, der ihre spätere Dreiecksgeschichte aufzeigte: Schöne japanische Sängerin steht zwischen zwei Männern. Die Femme fatale hatte ihr eigenes Schicksal vorweggenommen.
Bald hatte man in der Familie aber ganz andere Sorgen, gerieten die Meinls doch infolge der Machtübernahme der Nationalsozialisten in einen erheblichen Konflikt. Die Meinl AG hatte vor dem „Anschluss“ 572 Filialen in acht Ländern und war mit 3.000 Mitarbeitern der größte Industrie- und Handelskonzern Mitteleuropas. Während sich Julius II. mit den neuen Herren aus Berlin zu arrangieren versuchte, emigrierte sein Sohn Julius III. – der mit einer Jüdin verheiratet war und sich offen gegen die Nazis ausgesprochen hatte – im März 1938 nach England. Um die Firma zu retten, adoptierte Julius II. seinen Mitarbeiter Fritz Hiksch, der einst als Lehrling bei Meinl begonnen hatte, und traf diese Vereinbarung: Sollte Hitler den Krieg gewinnen, würde der Konzern in den Händen des Adoptivsohns Fritz bleiben. Verliert Hitler, kehrt Julius III. nach Wien zurück, um das Familienerbe anzutreten.
Harte Konkurrenz
Nach dem Krieg kam Julius III. aus dem Londoner Exil nach Wien und übernahm den Konzern. Sein Vater war indes verstorben und Adoptivbruder Fritz zog sich zurück. Während es zunächst wieder aufwärts ging, begann der Feinkosthandel ab den 1960er-Jahren die Konkurrenz der billigen Selbstbedienungsläden zu spüren.
Julius Meinl III. blieb dennoch bis zu seinem Tod der untadelige und allseits geachtete Kaufmann, dessen Vertrauen erweckendes Porträtfoto von den Wänden aller Filialen auf die Kundschaft blickte. Er war mit diesem Bild eine bekannte Persönlichkeit in Österreich und mit einem einzigen Satz, den er gerne verwendete, auch sein bester Werbeträger: „Ich trinke seit einem halben Jahrhundert mehrere Tassen Kaffee pro Tag“, sagte er, „und ich bin immer noch da“.
Der Niedergang des Konzerns ist ihm erspart geblieben. 1998 begann sein Enkel Julius V. mit dem Verkauf des Lebensmittelhandels und seiner Filialen mit Ausnahme des Luxustempels am Wiener Graben, der im Familienbesitz blieb. Er konzentrierte sich stattdessen auf Bank- und Immobiliengeschäfte.
Womit eine Ära begann, in der Julius Meinl kein Name mehr ist, der ausschließlich Glanz ausstrahlt.
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