Gender-Quote in Filmförderung: Zweifel an Rechtssicherheit
In Graz stehen die Zeichen derzeit auf Aufbruch. Beim Filmfestival Diagonale kann sich Österreichs Filmszene endlich wieder dem Publikum präsentieren. Hinter den Kulissen aber klafft ein tiefer Riss. Verantwortlich dafür ist die Debatte um die Genderquote in der staatlichen Filmförderung, die am 1. Juli in Kraft tritt. Die Entscheidung vom 20. April im Aufsichtsrat des Österreichischen Filminstituts (ÖFI) hat die Wogen nicht geglättet.
Helmut Grasser, Produzent von Filmen wie „Hundstage“, „Let’s Make Money“ oder „Love Machine“, sagt zum KURIER: „Diese Regelung kommt zur Unzeit, nämlich zu einem Zeitpunkt, wo es ohnehin schon in die richtige Richtung geht. Es ist sichtbar, dass immer mehr junge Frauen auch im Bereich Produktion tätig sind. Aber verordnen kann man das nicht. Dann sind wir beim Staatsfilm oder Quotenfilm.“
Er sieht das Problem, „dass noch zu wenig Frauen einreichen. Würden schon vierzig oder gar fünfzig Prozent einreichen, wäre es einfacher.“
Im Jahr 2020 waren es laut ÖFI-Tätigkeitsbericht im Förderbereich Herstellung (hier wurden 71 Prozent des Gesamtvolumens von 20 Mio. Euro vergeben) nur 28 Prozent Frauen.
Verhältnismäßigkeit
Verfechter der Quotenregelung wie der Lobbyingverein FC Gloria betonen aber, dass die Einreichungen von Frauen in den zentralen Bereichen Regie, Drehbuch und Produktion nur dann in angemessenem Tempo steigen werden, wenn die Erfolgsaussichten durch eine verbindliche Quote an zugesagten Mitteln (annähernd 50/50 in abgestuften Etappen bis 2024) zusätzlich erhöht werden.
Die verfassungsmäßige Rechtslage erlaubt vorübergehende Ungleichbehandlung, wenn sie verhältnismäßig ist.
"Knochen brechen"
Zu dieser Frage entwickelten sich im ÖFI-Aufsichtsrat äußerst harte Standpunkte, wie Dokumente vom Jänner 2020, die dem KURIER vorliegen, zeigen. „Mittelmäßige Männer werden mit hervorragenden Frauen ersetzt“, hieß es an einer Stelle, während eine abweichende Meinung lautete: „Um Gleichheit herzustellen, darf man anderen auf die Zehen steigen, aber nicht die Knochen brechen.“
Derart diffus zeigte sich das Meinungsbild - und offenbar auch die rechtliche Einschätzung -, dass sich der Aufsichtsrat informell darauf einigte, den Vorschlag für eine Richtlinienänderung dem Verfassungsdienst vorzulegen.
„Das ist aber nie passiert“, moniert Grasser, der seit Herbst 2020 als Präsident des Produzentenverbandes Film Austria im ÖFI-Aufsichtsrat sitzt. Was ihn wurmt: „Ich verstehe nicht, warum das Ministerium nicht für Rechtssicherheit sorgt. Wir haben Spitzenjuristen im Verfassungsdienst und sie lassen die das nicht anschauen. Wenn der Verfassungsdienst das rechtlich prüft und sagt: ,kein Problem', dann habe ich auch kein Problem.“
Das Kulturministerium (BMKÖS) ist gänzlich anderer Ansicht. Staatssekretärin Andrea Mayer (Grüne) lässt auf KURIER-Anfrage mitteilen: „Der Verfassungsdienst ist für die Prüfung von Gesetzesvorhaben und nicht für Richtlinienänderungen zuständig. Die rechtliche Überprüfung fand daher auf üblichem Wege seitens des BMKÖS statt, zu dem die Filmförderung ressortiert.“
Dabei sei man nach mehrfacher Prüfung und Überarbeitung zu dem Ergebnis gekommen, dass „eine positive Diskriminierung zulässig“ ist, „da dadurch auf eine sehr moderate Weise die bestehende faktische (strukturelle) Schlechterstellung von Frauen verringert werden soll. Wesentlich ist die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme, der mehrjährige Etappenplan zur Umsetzung und die klare Regelung, dass die Qualität der eingereichten Projekte weiterhin primäres Auswahlkriterium in allen Stufen bleibt. Die Zielvorgabe wird erst als ergänzendes Kriterium relevant.“
Grasser sieht die Schlechterstellung nicht. Er sagt: „Österreich ist international im Spitzenfeld, was Frauen betrifft, die Filme machen. Ich finde das ja gut. Im Bereich Regie werden Frauen schon jetzt bevorzugt. Da geht es aber ums Projekt. Mit dieser Regelung geht es nur mehr nach dem Geschlecht.“ Er hält es „für unumgänglich, dass es irgendwann zu Klagen kommt. Und sollte der Verfassungsgerichtshof die Richtlinien in zwei, drei Jahren aufheben, wäre das nicht ideal für die Branche.“
Beschwerde
Gemeinsam mit dem Verband Filmregie Österreich und dem Produzentenverband AAFP brachte die Film Austria - neben alternativen Änderungsvorschlägen - im Vorjahr ein Rechtsgutachten in Stellung. Der Grazer Uni-Dekan Christoph Bezemek erteilte der Quotenregelung darin ein negatives Zeugnis und empfahl als derzeit möglichen juristischen Schritt eine Aufsichtsbeschwerde.
„Ich wollte eine solche Aufsichtsbeschwerde machen“, sagt Grasser, „habe aber davon Abstand genommen, weil wenig Aussicht auf Erfolg besteht, wenn das BMKÖS die Aufsicht hat. Das würde dort gut abliegen. Und warum sollte das Ministerium nun den Verfassungsdienst einschalten, wenn es das bisher auch nicht getan hat?“
„Eine Beschwerde über einen Akt des ÖFI wäre vom BMKÖS zu prüfen“, bestätigt das Ministerium, „und – sofern der Beschwerde Berechtigung zukommen sollte – hätte das BMKÖS dafür zu sorgen, dass ein allfälliger Missstand bereinigt wird. Der Verfassungsdienst ist für eine solche Beschwerde nicht zuständig.“
Selbst-Kontrolle
Vor der Umgestaltung der Ministerien unter Türkis-Grün war das Bundeskanzleramt für die Aufsicht über die Filmförderung zuständig, seit Jänner 2020 ist es das BMKÖS.
Wie nun aus ÖFI-Dokumenten ersichtlich ist, wurde der Vorschlag für eine Gender-Quote im April aber vom Kulturministerium selbst zur Abstimmung vorgeschlagen („eingebracht vom BMKÖS“).
„Bereits im Herbst 2019 hatte der ÖFI-Aufsichtsrat eine Arbeitsgruppe eingesetzt, um einen Vorschlag zu erarbeiten“, sagt dazu das Ministerium, "der letztlich beschlossene Vorschlag wurde vom Vorsitzenden des Aufsichtsrats eingebracht.“
Entsandt wurde der Vorsitzende – der einstige Kulturminister Rudolf Scholten (SPÖ) – vom BMKÖS.
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