Nachwehen einer Gaza-Rede

Nachwehen einer Gaza-Rede
Jonathan Glazers Oscar-Dankesrede regt immer noch auf. Sein Milliardärs-Produzent hat sich schon distanziert.

Er war der einzige, der bei der Oscar-Verleihung auf der Bühne direkt den Gaza-Krieg angesprochen hat. Jonathan Glazer erhielt den Preis für den besten internationalen Film für sein Auschwitz-Drama „The Zone of Interest“. Nachdem er die Statuette übernommen hatte, hielt er eine Rede, die zumindest bei jenen Stars, die einen roten Pin trugen (das Symbol für „Artists4Ceasefire“ – eine Kampagne, die einen Waffenstillstand in Gaza fordert) gut ankam. Andere empörte sie,  und viele verwirrte sie. 

Entmenschlichung

Das offizielle Transkript der Academy klingt so: „Alle unsere Entscheidungen werden gemacht, um uns in der Gegenwart zu reflektieren und konfrontieren. Nicht sagen: Schaut, was sie damals gemacht haben, sondern eher: schaut, was wir jetzt machen. Unser Film zeigt, wohin Entmenschlichung in seiner schlimmsten Form führt. Das hat unsere Vergangenheit und unsere Gegenwart geprägt. Heute stehen wir hier als Männer, die ihr Judentum widerlegen und der Holocaust wird gekidnappt durch eine Besetzung, die zum Konflikt geführt hat für so viele Menschen. Ob die Opfer vom 7. Oktober in Israel oder die anhaltende Attacke auf Gaza, alle Opfer dieser Entmenschlichung, wie können wir Widerstand leisten?“

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Holocaust-Überlebende empört

Nun ist das im besten Fall eine recht holprige Überlegung dazu, dass Geschichte immer auch nachwirkt. In jedem Fall ist es eine in so einem komplexen Konflikt zu hingeschluderte Aussage vor einem zu großen Publikum. Glazer hat seine Aussage bisher nicht erklärt oder erweitert, die Presserunde nach der Verleihung hat er nicht besucht und auf Journalistenanfragen antwortet er nicht.

Unmissverständlich hingegen war die Antwort, die David Schaecter, der 94-jährige Vorsitzende der Holocaust Survivors‘ Foundation, schon am Montag in einem offenen Brief an Glazer veröffentlicht hat: „Ich habe gequält am Sonntag abend zugesehen, wie Sie die Plattform der Oscar-Zeremonie genutzt haben, um die wahnsinnige Brutalität der Hamas gegen Unschuldige mit Israels schwieriger, aber wichtiger Selbstverteidigung im Angesicht der anhaltenden Barbarität der Hamas gleichzusetzen.  Ihre Kommentare waren faktisch fehlerhaft und moralisch nicht zu verteidigen. Sie sollten sich schämen, Auschwitz zu benutzen, um Israel zu kritisieren. … Es ist eine Schande für sie, dass sie annehmen, sie könnten für sechs Millionen Juden, darunter eineinhalb Millionen Kinder, die allein wegen ihrer jüdischen Identität ermordet wurden, zu sprechen.“ 

Philantrop und Israelfreund

Glazer sprach übrigens nicht einmal für alle, die mit ihm auf der Bühne standen. Hinter ihm stand Len Blavatnik, eine schillernde Figur:  In der Ukraine geboren, ist er seit 1984 US-Staatsbürger, seit 2010 hat der Unternehmer auch einen britischen Pass, 2017 hat ihn die englische Queen zum Ritter geschlagen. Blavatnik steht hinter dem Unternehmen „Access Industries“ (DAZN), ihm gehört ein Großteil von Warner Music, weitere Investments gibt es unter anderem bei Spotify, bei Amazon, Facebook und den Broadway Musical „Hamilton“. Er wird mit den Oligarchen Viktor Wekselberg und Oleg Deripaska in Verbindung gebracht, soll aber selbst kein oligarchentypisches Russland-Lobbying verfolgen. Er hat sich einen Philantropen-Ruf aufgebaut und spendet für Universitäten und Museen, aber auch für Politiker. So hat er sowohl Barack Obama unterstützt als auch Donald Trump. Und Blavatnik ist mit Benjamin Netanyahu befreundet. Was hielt also er von Glazers Rede? Ein Sprecher des Milliardärs hat dazu mitgeteilt, dass Blavatnik die Dankesworte vorher nicht gekannt hat und „seine langjährige Unterstützung für Israel ist unerschütterlich.“

Holocaust verdrängt

Für Glazer bringt seine Rede auch einen Kollateralschaden. Wurde sein Film zuvor dafür gefeiert, dass er das Schrecken vermittle, ohne das Grauen zu zeigen, wird „The Zone of Interest“ jetzt von einigen anders interpretiert: Als Film, der den Holocaust aus dem Bild drängt.

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