Deutsch-Rap würdigt Frauen und andere herab. Warum muss ich das akzeptieren?
Sie vermarkten ihre Haftstrafen auf Social Media und über Merchandise-Artikel. Sie rappen über Drogen, Gewalt, Frauen, Waffen. Das kommt an - und darf es auch. Denn es gibt ja die Kunst- und Meinungsfreiheit. Und: Sie verkaufen sich wie warme Semmeln.
Viele fühlen sich von den oft hasserfüllten Rap-Liedern angegriffen, aber verbieten kann man sie nicht. In Deutschland wurde 2018 die Echo-Verleihung abgeschafft. Der Musikpreis geriet in die Kritik, als zwei Rapper für ein Album mit antisemitischen Texten ausgezeichnet wurden. Der Musikpreis ist Geschichte, Rap wurde noch populärer.
Rap ist eine Kunstform, die Pose, die die Künstler einnehmen, ist eine Kunstfigur. Sie schockieren immer wieder mit sexueller Herabwürdigung von Frauen, mit Homophobie und Rassismus. Auch Gewalt wird verherrlicht.
Die Kunstfreiheit schützt das. Aber muss die Gesellschaft alles akzeptieren?
Wir suchten Rat. Und fanden sie bei Klara Koštal und Harald Huber.
Koštal arbeitet für das UNESCO-Übereinkommen Vielfalt kultureller Ausdrucksformen bei der Österreichischen UNESCO-Kommission. Huber ist Musikwissenschafter und unterrichtet an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien (mdw) im Bereich Popularmusik und ist seit 2006 Präsident des Österreichischen Musikrats.
Gangsta-Rap ist ein Sub-Genre des Hip-Hops, das sich in den 1970er Jahren in den USA entwickelte, wo Jugendliche in prekären Verhältnissen aufwachsen. Gangsta-Rap lebt davon, mit gesellschaftlichen Tabus zu brechen und zu provozieren. Heute besticht Deutsch-Rap in Musikvideos durch klischeehafte Statussymbole, Drogen, Waffen, Frauen und Geld.
Schon die ersten amerikanischen Gangster-Rapper waren damit erfolgreich, Texte in einer echten Straßensprache zu schreiben und Themen anzusprechen, die in den verarmten und hochkriminellen Innenstadtbezirken amerikanischer Großstädte gang und gäbe waren.
KURIER: Gangsta-Rap-Songtexte sind häufig frauenfeindlich, sexistisch, rassistisch, homophob ... Rechtfertigt die Kunstfreiheit das alles?
Klara Koštal: Die UNESCO versteht Kunstfreiheit etwas breiter, als es im österreichischen Rechtstext verankert ist. Wir verwenden den Begriff der künstlerischen Freiheit. Da gehört auch das Recht auf Unterstützung, Verbreitung und Vergütung künstlerischer Arbeit dazu. Die Vielfalt kultureller Ausdrucksformen kann nur dann geschützt und gefördert werden, wenn Menschenrechte, Grundfreiheiten sowie der Zugang des einzelnen zu Kunst und Kultur garantiert ist - als ein zentraler Pfeiler der Demokratie.
Harald Huber: Wenn man Songs verbietet oder kritisiert, steigert das ihre Popularität. Egal, aus welchem Genre sie stammen. Seit 1982 ist die Kunstfreiheit in der österreichischen Verfassung verankert. Das ist ein Zeichen der Stärke einer Demokratie.
Koštal: Und die Gesellschaft hat die Verpflichtung, Kunstschaffende vor Einschüchterungen und Belästigung zu schützen. Das muss man im Hinterkopf behalten, wenn man sich die Grenzen der künstlerischen Freiheit anschaut.
Ich rate dir Hure, mich nich' anzustarren
Es sei denn, deine Brille ist aus kugelsich'rem Panzerglas.
Du willst ein′ Benz? Tick weißes Pulver, Bitch.
Du willst ein Haus am Strand? Tick weißes Pulver, Bitch.
Ey, deine Lady wird gebitchslappt,
Während sie mir unterhalb von meinem definiertem Sixpack,
Meinen erigierten Dick leckt (Boss).
Man muss Kunstschaffende vor Einschüchterungen schützen. Aber gilt es dann nicht auch Betroffene vor menschenverachtenden Inhalten zu schützen? Inwiefern gehören solche Texte zur kulturellen Vielfalt?
Koštal: Kunst und Kultur bilden gesellschaftliche Realitäten und die Vielfalt kultureller Ausdrucksformen ab. Es gibt oft Konflikte, die nicht mit einem klaren Ja oder Nein beantwortet werden können. Aber es ist klar, dass es eine gesetzliche Ebene gibt, die Diskriminierung.
Huber: Im Grunde steht es jeder Person frei, eine Anzeige zu erstatten, wenn sie sich persönlich durch die Texte angegriffen fühlt. So schreibt es auch die Juristin Antonia Bruneder in ihrem Buch. Bruneder arbeitet heraus, wie ein Gericht mit Fällen verantwortungsvoll vorgehen könnte. Der Richter muss sich um eine Werkrechteinterpretation kümmern und untersuchen, was das für ein Musikstück ist. Was ist der Zusammenhang, hat das Werk reale Auswirkungen? Wenn Persönlichkeitsrechte verletzt werden, kann das eine Grenze der Kunstfreiheit überschreiten. Das muss bewiesen werden.
2022 sorgte Yung Hurns Auftritt bei der Eröffnungsfeier der Wiener Festwochen für Proteste. Künstler sagten wegen seines Engagements aus Protest ab.
Huber: Die damalige Überlegung war, Jugendliche aus den Außenbezirken in die Innenstadt zu kriegen. Das ist gelungen. Und hatte die Botschaft: "Auch wenn ihr verstörende Dinge von euch gebt, hören wir zu. Und präsentieren das einem größeren Publikum als ein Teil der Vielfalt der Wiener Kunstproduktion." Der Protest kommt interessanterweise meist aus dem Bereich der Klassik. Also aus dem Bereich des hoch ausgebildeten und hochsubventionierten Kunstbetriebs. Wobei: Alles ist Kunstbetrieb.
Koštal: Ich glaube schon, dass eine Verantwortung bei den Veranstaltenden liegt. Sie entscheiden, wer auf die großen Bühnen kommt. Hier gibt es auch Netzwerke wie D/Arts, die sich langfristig dafür einsetzen, wer in die Häuser kommt.
2022 inszenierte Regisseur David Schalko die Eröffnung der Wiener Festwochen mit dem Titel "Last Night on Earth". Auf dem Rathausplatz tummelten sich damals rund 50.000 Menschen, die eine spektakuläre Show erwartete. Konzerte von Bilderbuch, Kruder & Dorfmeister und dem Rapper Yung Hurn waren Teil des Abends. Im Vorfeld der Eröffnung gab es Tumult um Yung Hurns Auftritt. Seine Texte provozieren durch Sexismus, weshalb ein Chor damals ablehnte, gemeinsam mit ihm aufzutreten.
Rapper füllen die großen Bühnen. Warum ist das Genre so erfolgreich?
Huber: Man muss sich mit den Liedern auseinandersetzen: Wer hat sie geschrieben, woher kommt die Person, wie ist sie aufgewachsen. Wer da nicht richtig zuhört, die Songs einfach verbietet und sich nicht mit der Intention beschäftigt, diskriminiert auch. Die Personen treten nicht als Privatperson auf, sondern als eine bestimmte Figur. Die schaffen sich ein künstliches Ich und inszenieren ein Theaterstück. Und diese inszenierte Figur tätigt dann gewisse Aussagen. Das ist eine Form von Kunst. Es ist aber auch wichtig, Unmut zu äußern. Das macht den Diskurs aus.
Das ist alles Frust, den du in dich reinfrisst,
weil die Welt kalt ist und dich vergewaltigt.
Weil du keinen Halt kriegst, wenn dich alles kaltlässt.
Und die Wut in deinem Bauch stärker ist als alles.
Überall ist Dreck hier, überall seh'n alle schwarz.
Jeder ist sich selbst der Nächste, das macht unser Leben hart.
Ich konnt's nicht glauben, wo is' mein Heim?
Ich schließ' die Augen und alles zieht an mir vorbei.
Ich kann mich mit vielen Inhalten nicht identifizieren. Aber damit ein Diskurs besteht, muss für die, die es tun, Verständnis haben ?
Huber: Die Kunst ermöglicht es, diejenigen Bereiche unserer Existenz auszuleben, die wir eigentlich verdrängen wollen oder müssen. In Heavy Metal-Liedern gibt es die aggressivsten Killerfantasien oder satanistische Inhalte. Wenn ein Rapper singt „Ich bin der Größte und du bist meine Schlampe“, dann ist das eine männliche Inszenierung über ein gekränktes, männliches Selbstbewusstsein. Auch Frauen haben und entwickeln Kunstformen, die ihrerseits wiederum als Identifikationsmöglichkeit gelten.
Koštal: Kunst und Kultur haben einen Auftrag. Sie tragen zur kritischen Transformation der Gesellschaft bei, mit allen Freiräumen. Sie sind wie Seismografen, die Entwicklungen erkennen und diese widerspiegeln. Man kann den Musikerinnen und Musikern nicht die großen gesellschaftlichen Fragen umhängen, dass sie diese in der Musik lösen sollen.
Wir wurden schon belästigt,
Da waren wir nicht mal fünfzehn.
Sechzehn, Siebzehn, Achtzehn, Neunzehn, Zwanzig,
Deine Dickpics sind einfach nur ranzig, ey.
Uh Uh, was schaust Du denn so?
Noch nie 'ne Frau gesehen, die ihre Meinung sagt?
Natürlich is Dir lieber, wenn sie immer nickt und ja sagt,
aber hat sie zu wenig an, wird sie angeklagt.
Aber die Gesellschaft entwickelt sich doch weiter. Werfen uns die hasserfüllten Texte nicht zurück?
Huber: Ich sehe das nicht so. Es gibt Kabarett, Theater, die Satire, wo Personen namentlich genannt und lächerlich gemacht werden. Da ist die Rechtsprechung auf der Seite der Freiheit der Kunst. Wie der Narr, der die Wahrheit ungeschminkt zum Ausdruck bringt. Das ist wichtig in der Gesellschaft. Sonst müsste man ja alle Kabarettisten, die Politikerinnen und Politiker namentlich angreifen, sofort verbieten. Dieses Aushalten ist eine Stärke der Demokratie. Es gibt genug Gesellschaften, wo es eine staatliche Zensur gibt. Wir sollten darauf stolz sein. Im Iran dürfen Frauen nicht auf der Bühne singen, wenn dann nur im Chor.
Darstellungsformen wie Satire und Kabarett sind gesellschaftlich akzeptiert, auch wenn dort beleidigt wird. Braucht es also einfach Zeit, um sich dran "zu gewöhnen"?
Huber: Ich denke, ja. Niemand stößt sich dran, dass in der österreichischen Staatsoper tagtäglich Mord und Totschlag in grausamster Art und Weise inszeniert wird. Es wird nicht hinterfragt, dass das Opernrepertoire aus unglaublich inszenierten Tragödien besteht. Am MusikTheater an der Wien wurde gerade Leonard Bernsteins satirische Operette "Candide" aufgeführt. Da hängen Menschen am Galgen und die Kardinäle tanzen dazu. Und wie verstörend die altgriechischen Tragödien sind!
Wenn Einschränkungen in den Ausdrucksformen nicht wünschenswert sind: Wie sieht es mit Bewusstseinsbildung bei Veranstaltern und Künstlern aus?
Koštal: Ich glaube, es braucht viel Zeit und Arbeit. Und prinzipiell in allen Kunst- und Kulturbetrieben eine diversitätsorientierte Entwicklung. Auch Machtmissbrauch ist ein Riesenthema. Da gibt es zum Beispiel die Vertrauensstelle "vera*", die schaut, wo Machtmissbrauch passiert, wo es strukturelle Diskriminierung gibt. Gleichzeitig braucht es Institutionen und Veranstaltende, die Verantwortung übernehmen. Es wird nicht von allein kommen.
Huber: Ich sage: Streitet's euch auf Mord und Brand, seid wütend, übt Kritik. Aber das "Theater" als solches muss stattfinden dürfen - staatliches Verbot, nur wenn strafrechtlich relevante Dinge verursacht wurden.
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