„Personne d’autre“ – „Niemand anderer“ hieß Françoise Hardys letztes Album. Sie sang darauf vom weiten Meer, von einem unbestimmten Ort, an dem alles gut, an dem ihr keine Träne entkommen würde. Mit ihrer zarten, nach wie vor mädchenhaften und zugleich wissenden Stimme bereitete sie die Welt darauf vor, dass sie bald das Weite suchen würde.
„Maman est partie“ – „Maman ist gegangen“ schrieb ihr Sohn, der Musiker Thomas Dutronc, am Dienstag auf seinem Instagram Account, nachdem seine Mutter in der Nacht zuvor mit 80 Jahren gestorben war.
Als ihr letztes Album 2018 veröffentlicht wurde, wusste Françoise Hardy längst, dass sie unheilbar krank war, sie kämpfte seit Jahren gegen Lymphdrüsen- und Rachenkrebs.
Doch die zarte Melancholie, diese unnachahmliche Mischung aus leisem Pop und einer gewissen Weltabgewandtheit, war immer schon das Markenzeichen der französischen Singer-Songwriterin gewesen.
Die Jugend verderben
Mädchenhaft und zugleich weise wirkte sie nicht erst mit Mitte 70, so klang sie auch schon mit Anfang 20. Schon mit ihren frühen Erfolgen als Ikone des sogenannten „Yéyé“-Genres (Popmusik mit scheinbar inhaltsleeren Textbausteinen wie „yeah yeah yeah“) an der Seite anderer französischer Stars wie France Gall oder ihres späteren Mannes Jacques Dutronc, gelang ihr dieser faszinierende Spagat, ein breites Talkshow-Publikum zu begeistern und doch scheinbar über den Dingen zu stehen. Während Songwriter wie Serge Gainsbourg das Genre mit subversiven Texten etwa für France Gall unterwanderten (er hatte es sich selbst zum Ziel gesetzt, „die Jugend zu verderben“), wirkte Hardy, die die meisten ihrer Lieder selbst schrieb, stets, als würde sie den ganzen Zirkus nur von außen betrachten. „Tous les garçons et les filles“ von 1962, einer ihrer ersten, in mehrere Sprachen übersetzten Songs, erzählt allen Ernstes davon, dass alle Buben und Mädchen in der Nachbarschaft schon jemanden hätten, mit dem sie Händchen hielten, bloß sie nicht. Man nahm ihr die Geschichte ab. Dieses Mädchen mit der Gitarre und dem langen Pony war bildhübsch, aber tat sich ein bisserl schwer mit Gesellschaft.
Zwei Jahre später nahm sie mit „Mon amie la rose“, geschrieben von Cécile Caulier und Jacques Lacome, ein tieftrauriges Lied über die Kürze und die Sinnlosigkeit des Daseins auf: Ihre Freundin, die Rose, hatte ihr davon erzählt, wie unbedeutend wir Menschen doch sind. Kaum geboren, welken wir schon. Hardy war da gerade einmal zwanzig, kurz zuvor beim Song Contest angetreten (sie wurde Fünfte) und in Deutschland das Traummädchen der Bravo-Leser.
Mit ihrer schlaksigen Erscheinung und meist in Jeans gekleidet, legte sie es niemals darauf an, konventionell „sexy“ zu sein. Und war es umso mehr. Ihr legendärer Auftritt 1968 im Paco-Rabanne-Metallkleid (der Designer überhäufte sie später mit seinen Kreationen) raubte nicht nur Mick Jagger und Bob Dylan den Schlaf. Letzterer schrieb ihr Liebesbriefe. Vergeblich.
Der Mann ihrer Wahl und ihres Lebens wurde Jacques Dutronc. Auch er ein zur Ikone gewordener französischer Popsänger und Schauspieler, der in den 1960ern zum Star wurde – und ähnlich wie sie das Business nicht ganz ernst zu nehmen schien.
Lebenslange Freunde
In einer deutschen Fernsehshow hauchte Hardy 1970 auf die Frage der Moderatorin nach der wichtigsten Sache in ihrem Leben lächelnd ins Mikrofon „Schlafen“. Um kurz darauf nur mehr von ihrem mitgebrachten Gast zu sprechen: Patrick Modiano. Der spätere Literaturnobelpreisträger blieb Hardy ein lebenslanger Freund. Ebenso wie ihr Mann, von dem sie zuletzt getrennt lebte, er meist in Korsika, sie in Paris. In einem Interview sagte sie einmal, er werde immer der Mann ihres Lebens bleiben, aber sein ständiges Fernsehen gehe ihr auf die Nerven.
Was die beiden nicht an weiterer Zusammenarbeit hinderte. So etwa auf dem 2000 erschienenen Album „Clair-obscur“, auf dem sie von ihrem Sohn Thomas Dutronc auf der Gitarre begleitet wird und wo sie, neben einem Duett mit Iggy Pop, gemeinsam mit Jacques Dutronc singt: „Puisque vous partez en voyage“ – „Nachdem Sie nun also auf Reisen gehen“. Scheinbar zart und leicht und doch tief melancholisch. Die beiden wussten von der unerträglichen Leichtigkeit des Seins.