"Fliegender Holländer" in Bayreuth: Triumph für Salzburg-Star
Dirigat? Inszenierung? Sängerleistungen? Zu den wichtigsten Kategorien einer Rezension gehört dieser Tage das Corona-Präventionskonzept. Und diesbezüglich sorgte Bayreuth gleich zum Auftakt der Festspiele für einen triumphalen Erfolg. Fünf-Sterne-Sicherheit sozusagen, wenngleich der Hürdenlauf für die Besucher durchaus anspruchsvoll ist.
Deutsche Präzision trifft auf bayerische Maßarbeit, Spahn auf Söder, das bedeutet: ein enormes Polizeiaufgebot; verpflichtende Registrierung für jeden Besucher; 3-G-Regeln, innerhalb derer nur ein 24 Stunden alter Test gilt; ein Armband für jeden gecheckten Ticketinhaber; kein roter Teppich; Betreten des Festspielhauses nur durch die zugewiesene Tür (also kein Flanieren auf dem Grünen Hügel); keine Erlaubnis zum Mitnehmen von Taschen jenseits des A-4-Formates; kein Sitzpolster-Verleih. Letzteres ist wörtlich genommen wirklich hart.
911
Im knapp 2000 Personen fassenden Festspielhaus sind nur 911 erlaubt (also wenn diese Zahl ein Zufall ist im Wagner- und Autobauerland…). So bequem saß man noch nie im von Richard Wagner bewusst auf Anti-Komfort getrimmten Haus.
Im vergangenen Sommer waren die Bayreuther Festspiele - im Gegensatz zu jenen in Salzburg - ausgefallen, dank strenger Vorlagen dürfen sie in diesem Jahr wieder. Und Angela Merkel, zum letzten Mal in ihrer Funktion, strahlt blazermäßig wie die Sonne und hat erkennbar Freude daran. Im Gegensatz zu anderen Politikern wird sie wohl auch fürderhin nach Bayreuth pilgern.
Chöre aus dem Off
Sogar das Werk der Neuproduktion ist aufgrund der Kürze (2:20 Stunden, also fast wie eine andere normale Oper) passend zum coronesken Delta-Jahr: „Der fliegende Holländer“. Nur die Chöre müssen diesmal woanders singen und werden dazugespielt, Sie wissen schon: Aerosole. Die Menschen auf der Bühne, die Choristen darstellen, bewegen nur die Lippen.
Und irgendwie ist auch die Inszenierung von Dmitri Tcherniakov corona-adäquat: Er hat das Libretto ordentlich mit Desinfektionsmittel abgewischt und serviert seine eigene Deutung. Naja.
Bei ihm gibt es kein Schiff, kein Wasser, keinen Wind. Dafür gleich während des Vorspiels einen Albtraum, den der kleine H. immer wieder durchlebt: Er sieht als Bub, dass eine Frau (offenbar seine Mutter) eine Verhältnis mit Daland hat, von diesem zunächst körperlich ziemlich heftig geliebt, dann abserviert wird - und sich schließlich, von der Kleinbürgergesellschaft des Dorfes wie bei Benjamin-Britten-Opern verstoßen - erhängt. Der kleine H. findet sie baumelnd am Strick, das verlangt Rache.
Besuch des alten Herren
Darob kommt der Holländer alle sieben Jahre zurück, nix Irrfahrten oder dergleichen, sondern gezielte Abrechnung, um die Verlogenheit, die Spießigkeit anzuprangern. Der Besuch des alten Herren, Dürrenmatt lässt grüßen.
Mittlerweile ist aus dem kleinen H. eine Art Mafiaboss geworden, am Ende wird er um sich schießen, Menschen töten und das Dorf in Brand setzen. Bis schließlich Mary, sonst die Amme, hier die Partnerin von Daland, ihn erschießt und Senta rettet. Zumindest neu, diese Deutung.
Auf der Bühne mit den putzigen Häusern (auch von Tcherniakov entworfen) sieht man zahlreiche Wirtshausszenen, einen deutschen Mittagstisch im Hause Daland - und sehr viel Langeweile. So wenig war beim „Holländer“ noch selten los.
Oberspießer
Dafür sind die Einzelteile mehr als das Ganze, weil die Personenführung durchaus psychologische Raffinessen bietet. Daland ist der Oberspießer, der nur im Wirtshaus bei Alkohol aufblüht, und seine eigen Tochter verscherbeln will. Diese, Senta, ist die Ortsrebellin, cool, wie eine Hip-Hopperin mit dementsprechenden Moves und Kapuze: Sie hat nicht die geringste Lust, sich auf einen Fadling wie Erik einzulassen, aber auch der seltsame Holländer wird von ihr verlacht. Mit dem will ihr Vater sie verkuppeln. Echt jetzt? Ey, Mann…
Und die (nur physisch präsenten) Choristen machen zu „Steuermann lass die Wacht“ einen auf Polonaise. Wirklich lustig wird’s aber nie
Die besten Momente sind jene, in denen Senta auf der Bühne steht, gestikuliert, tanzt, alle Aufmerksamkeit auf sich zieht: Wie Asmik Grigorian diese gestaltet, spielt, singt, ist erstklassig. Grigorian, in Salzburg bestens bekannt als Salome und als Chrysothemis (letztere Partie wird sie im Verlauf des Sommers dort noch singen) sowie in Wien als Butterfly, wird bei ihrem Bayreuther Debüt gefeiert wie schon lange niemand mehr. Sie ist dramatisch genug für die Senta, präzise in der Höhe und in der Intonation, ausdrucksstark, facettenreich - und immer dem möglichst schönen Gesang und nicht dem Gebrüll verpflichtet. Diese Jugendlichkeit auf der Bühne, gepaart mit mitreißender Stimme und guter Technik, ist ein Glücksfall für die ganze Opernszene. Da ist jemand endgültig auf dem Weg zum Superstar (oder bereits dort angekommen).
Georg Zeppenfeld ist der hochkarätige, profunde Daland, Eric Cutler ein allzu stark forcierender Erik, Marina Prudenskaya eine markante Mary und Attilio Glaser eine fabelhafte Besetzung für den Steuermann.
John Lundgren als Holländer ist bedrohlich, stimmlich mächtig und präsent, er müsste aber gar nicht so sehr ans Limit gehen, wie er es macht.
Höchste Zeit
Mindestens so sehr wie das Sicherheitskonzept wurde schon im Vorfeld das Dirigat diskutiert, weil erstmals in der Geschichte der Bayreuther Festspiele eine Frau am Pult stand. Die Frist ist also um, höchste Zeit dafür. Aber dennoch ein Grund genau hinzuhören. „Der fliegende Holländer“ klingt bei Oksana Lyniv professionell verwaltet, manchmal mehr wie eine leichte Brise im Mittelmeer als ein wilder Sturm, in den Chorszenen (zugegebenermaßen diesmal besonders schwierig) nicht immer synchron, und auch die Farbpalette wird nicht ausgereizt.
Stellen Sie sich den „Fluch der Karibik“ im „Lindenstraßen“-Setting vor, mit ein paar bösen Klischeefiguren aus dem „Tatort“ angereichert, dann haben Sie eine ungefähre Vorstellung dessen, was in Bayreuth passiert ist.
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