Filmkritik zu "Rosas Hochzeit": Sich selbst das Jawort geben
Rosa gehört zu jener Sorte Menschen, die nicht Nein sagen können. Ihre Umwelt nützt das schamlos aus: Kann Rosa auf die Katze einer Freundin aufpassen? Die unzähligen Blumen der Nachbarin gießen? Für die Kinder ihres Bruders die Babysitterin spielen?
Klar, sie kann. Rosa macht alles, springt überall ein, beißt die Zähne zusammen und lächelt.
Auf Rosa ist Verlass.
Auch bei ihrer Arbeit als Ausstatterin beim Film, wo sie endlos Kleider umschneidern muss, wird ihr gerne jede unangenehme Aufgabe umgehängt.
Das Maß ist voll, als auch noch der verwitwete Vater bei ihr einziehen will. Schon liegt er schnarchend auf dem Sofa und sägt ganze Bäume um. In diesem Moment wird Rosa klar, dass es höchste Zeit für sie wird, Grenzen zu setzen und das eigene Ich zu stärken.
„Ich verspreche, dich zu lieben, zu ehren und dir treu zu sein, bis der Tod uns scheidet“ – üblicherweise wird dieses Ehegelübde einer anderen Person vor dem Traualter gegeben. Doch Rosa will sich selbst Liebe, Treue und Hochachtung versprechen. Sie will sich selbst das Jawort geben.
„Sologamie“ nennt sich dieser Trend, bei dem Menschen – vor allem Frauen – sich selbst heiraten. Medienberichten zufolge stammt die Bewegung vor allem aus Japan, wo Single-Frauen immer noch starker Diskriminierung unterworfen sind. Aber auch bereits in Hamburg, so lässt sich nachlesen, hat sich eine Frau in der Kirche selbst geheiratet. Nicht mit offiziellen Ehepapieren, versteht sich, sondern als Fest mit Familie und Freunden, vor denen sie sich zu sich selbst bekannt hat – als Akt der Selbstliebe und Selbstfindung.
Die spanische Regisseurin Icíar Bollaín hat bereits mit Filmen wie „Te doy mis ojos“ und „El Olivio – Der Olivenbaum“ im europäischen Kino auf sich aufmerksam gemacht. „Te doy mis ojos“ (2003) handelt von einer missbrauchten Frau, die es lange nicht schafft, ihrer Ehehölle zu entkommen. „El Olivio“ (2016) kam da vergleichsweise leichtfüßig daher: Eine junge Spanierin will einen uralten, nach Deutschland verkauften Olivenbaum wieder in seine Heimat zurückverpflanzen.
In „Rosas Hochzeit“ erzählt Icíar Bollaín eine sympathische Emanzipationsgeschichte und taucht dabei ihre Bilder in die gut gelaunten, leuchtenden Farben des Mittelmeers.
Rosa flieht aus Valencia in den pittoresken Küstenort Benicàssim, wo ihre Mutter einst eine kleine Schneiderei betrieb. Dort will sie ein neues Leben beginnen.
Gesichtsmaske
Im Zuge der Hochzeitsvorbereitungen kommt es allerdings zu zahlreichen Verwechslungen und Verwirrungen. Rosas Unfähigkeit, sich gegenüber den dominanten Geschwistern durchzusetzen, sorgt für absurde Komik, die manchmal auch etwas zu nerven beginnt, weil sich Rosa immer wieder zu etwas drängen lässt – bis hin zu einer Gesichtsmaske, die man ihr gegen ihren Willen auf die Wangen pappt.
Nicht frei von Klischees, aber getränkt mit viel Lebenslust, konfrontiert Icíar Bollaín ihre Figuren mit unterschiedlichen Lebenslügen. Es wird gelacht, geweint, gestritten und versöhnt. Das Ende ist bereits im Titel angekündigt und wenig überraschend. Aber die temperamentvolle Reise dorthin macht man gerne mit – schon allein des schönen spanischen Wetters wegen.
INFO: ES 2020. 100 Min. Von Icíar Bollaín. Mit Candela Peña, Sergi López, Nathalie Poza
Filmkritik und Interview zu Hubert Saupers Doku "Epicentro"
Am 15. Februar 1898 explodierte im Hafen von Havanna das Kriegsschiff „USS-Maine“. Daran waren die Spanier schuld, behaupteten die Amerikaner.
Leider fand das Ereignis in der Nacht statt und hatte keine überlebenden Zeugen. Flugs musste daher ein Film gedreht werden, der die Attacke „nachstellte“ – und dabei die Spanier diabolisierte.
„Es entstand ein richtiger Propaganda-Film, mit dem sich der spanisch-amerikanischen Krieg anzetteln ließ“, erzählt der österreichische Filmemacher Hubert Sauper im KURIER-Gespräch: „Das Ereignis in Havanna wurde zum ,Ground Zero’ – also zum Epizentrum – des amerikanischen Imperialismus.“
Dem Kino kommt in dieser Geschichte eine ganz entscheidende Rolle zu. Die Zerstörung des US-Kriegsschiffes wurde in einer Badewanne mit Modellschiffchen in New York nachgedreht, behauptet Sauper. Der Qualm der Explosion stammte von rauchenden Zigarren: „Das waren die ersten Filme mit Spezialeffekt, die sich millionenfach verkauften“, so der Regisseur: „Durch das Kino wurde die öffentliche Meinung richtig aufgeheizt. Der Film bot Anlass zur Kriegsführung.“
Mit dieser These im Hinterkopf übersiedelte Hubert Sauper für drei Jahre nach Havanna und porträtierte eine unglaublich fotogene Stadt und ihre Bewohner und Bewohnerinnen zwischen revolutionärer Schönheit und postkolonialem Verfall.
Als er das erste Mal nach Havanna gekommen war, habe er sofort gedacht: „Wahnsinn, das schaut irre super aus“, gibt Sauper zu: „All das, was wir so schön finden – die alten Cadillacs, die kolonialen Häuser, die Palmen und das Meer kennen wir aus dem Kino. Schon als Kinder haben wir Marilyn Monroe und Humphrey Bogart in einem dieser Autos sitzen sehen. Da merkt man gleich, wie sehr man selbst Opfer der eigenen Propaganda ist.“
Revolutionär
Zugleich warf Sauper aber auch einen Blick auf Havannas Kolonialgeschichte – vor allem durch die Augen von Kindern. Er schloss Freundschaft mit zwei aufgeweckten Mädchen, die als temperamentvolle Protagonistinnen lebhafte Einblicke in den kubanischen Alltag bieten. Mit ihnen im Schlepptau schmuggelt er sich in ein Luxushotel ein und geht mit ihnen auf der Dachterrasse im Pool schwimmen. Kichernd pinkeln die kleinen Mädchen ins Wasser.
Ein deutscher Gast plustert sich mit seinen Tango-Kenntnissen auf und schiebt wichtigtuerisch seinen großen Bauch vor einem kubanischen Publikum hin und her.
Auch er wird von den Kindern (heimlich) ausgelacht: „Das ist das Großartige“, sagt Hubert Sauper begeistert: „Die Kubaner haben sich durch die Revolution emanzipiert, und die Kinder lassen sich nicht so leicht von reichen Ausländern beeindrucken. Die erkennen, was ein Bluff ist.“
INFO: F/Ö 2020. 108 Minuten. Von und mit Hubert Sauper. Mit Oona Chaplin
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