Filmkritik zu Pablo Larraíns "Ema": Frau mit Flammenwerfer
Wer einen Blockbuster sehen will, muss warten. Doch jenseits der noch weitgehend geschlossenen Multiplex-Säle eröffnet sich das reichhaltige Filmangebot der Programmkinos. Dort lässt es sich wieder gemeinsam in die Bilderflut eintauchen.
Mit „Ema“, zum Beispiel.
„Ema“ ist ein exzentrisches Werk und eine gute Wahl für einen ersten Kinobesuch: Rhythmischer Tanzfilm und zerfleischendes Beziehungsdrama zugleich, treibt er seine reibungsvolle Handlung in elliptischen Schüben kraftvoll, wütend und stilsicher vor sich her.
Ema
„Ema“ stammt von dem eigenwilligen Chilenen Pablo Larraín, dessen Film „Jackie“ zuletzt den Schockzustand Jacqueline Kennedys nach der Ermordung ihres Mannes in vibrierende Bilder packte.
Auch für „Ema“ hat sich Larraín eine Geschichte der ungewöhnlichen Verstörung ausgedacht: Er wollte einen Filme über eine Adoption erzählen, sagte er im KURIER-Interview: „Adoption ist eine der großzügigsten Akte, die jemand setzen kann. Es gibt viele Filme, die von geglückten Adoptionen handeln. Ich aber wollte von einer erzählen, die missglückt.“
Schlechte Eltern
Ema ist Tänzerin.
Sie – kongenial gespielt und getanzt von Mariana di Girolamo – ist Meisterin des Reggaeton, eines Hip-Hop-verwandten Street Dance, den sie mit ihren Freundinnen in der Gruppe tanzt; und sie ist Mitglied eines renommierten Tanzensembles, geleitet von ihrem 15 Jahre älteren Freund und Choreografen Gastón (Gael García Bernal). Weil Gastón keine Kinder zeugen kann, haben sie den Buben Polo adoptiert.
Glückliche Familie aber wurde keine daraus.
Nachdem Polo das Haus angezündet hat, annullieren die beiden die Adoption und gaben das Kind „zurück“. Quälende Schuldgefühle setzen ein, und das Paar zerfleischt sich mit fiesen Vorwürfen. Ema stürzt sich in polyamouröse Liebes- und Sexabenteuer, die Larraín als Fortsetzung der tanzenden Körper in pulsierende Bilder von leidenschaftlicher Erotik überträgt. Doch nicht nur Sex, auch Feuer gehören zu Emas Grundelementen. Ausgerüstet mit einem Flammenwerfer hinterlässt sie im urbanen Raum ihre anarchischen Spuren: Autos werden abgefackelt, Verkehrsampeln in Brand gesteckt.
Das sieht toll aus. Larraín übersetzt seine Faszination für eine junge, chilenische Generation, ihre Musik und ihre Verweigerung bürgerlicher (Familien-)Verhältnisse in kunstvolle, traumtänzerische Kompositionen: Seine glühenden Bilder und der dazu boomende Sound brauchen unbedingt die große Leinwand, um ihre volle Rätselhaftigkeit zu entzünden.
INFO: Chile 2019. 107 Min. Von Pablo Larraín. Mit Mariana di Girolamo, Gael García Bernal
Filmkritik zu "Ordinary Creatures": Roadtrip ins Nirgendwo
Formal ist dieser Film ein Roadmovie entlang der tschechisch-österreichischen Grenze. Und gleichzeitig ein Film, der im (N)Irgendwo verortet ist und im Zeitgeist von „Es war einmal…“ erzählt wird. Einem Märchen gleich, in einer waldigen Landschaft mit ein paar Kleinstädten, deren Bretterbauten gleichsam Bretter vor und hinter dem Kopf illustrieren.
Quasi die filmische Umsetzung von Donald Trumps Bild von Österreich, der die Österreicher als Volk bezeichnete, das in Wäldern lebt.
Durch diese Landschaft – man könnte sie auch „idyllisch“ nennen - fährt ein Paar. Im klapprigen roten Kombi durch einen sattgrünen Wald. Das Paar ist vor allem mit sich selbst beschäftigt. In eine Unterhaltung verstrickt, die zwischen intellektuellem Dünkel, Wortwitz und blödsinniger Verbohrtheit pendelt. Es geht um existenzielle Fragen rund um Familienzugehörigkeit, Religion und Kinderkriegen. Dabei übersehen die Beiden einen Hund auf der Fahrbahn… Das Paar fährt weiter. Aber das „Herrl“ des plattgefahrenen Hundes verfolgt sie mit blutigen Rachegelüsten.
Seine Verfolgung bildet den dramaturgischen Bogen. Er hält das „Täter-Paar“ unter Beobachtung. Auch beim wilden Sex in Wald, Flur und Auto. Nicht immer den Prinzipien der Logik folgend formt sich der Film zu einem österreichischem Nouvelle Vague-Thriller. Sinnlich, bunt, farbgewaltig und unterhaltsam.
Text: Gabriele Flossmann
INFO: Ö 2020. 75 Min. Von Thomas Marschall. Mit Anna Mendelssohn, Joep von der Geest
Filmkritik zu "Glory to the Queen": Schach der Männerwelt
Vielleicht liegt es daran, dass alle georgischen Frauen zu ihrer Hochzeit ein Schachspiel als Mitgift bekommen. Ihre Affinität zu dem berühmten Brettspiel ist jedenfalls legendär: Mit Nona Gaprindaschwili, Maia Tschiburdanidse, Nana Alexandria und Nana Iosseliani dominierten vier Spitzenspielerinnen die Schachszene der 60er-Jahre bis zum Zerfall der Sowjetunion. Dreißig Jahre brachten sie den Weltmeistertitel nach Georgien.
Die in Tiflis geborene, heute in Wien wohnhafte Regisseurin Tatia Skhirtladze rekapituliert die Karrieren ihre vier Protagonistinnen: Heute sind sie temperamtenvolle Pensionistinnen, geben Kindern Schachunterricht oder nehmen an Senioren-Weltmeisterschaften teil. Gekonnt mischt Skhirtladze ihre Begegnungen mit den eindrucksvollen Damen mit den Werbefilmen aus der damaligen Sowjetunion, die im Kontrast zu den Lebensrealitäten der Meisterspielerinnen immer wieder Momente großer Komik entwickeln. (sei)
INFO: F/GB/Ö 2020. 82 Min. Von Tatia Skhirtladze. Mit Nona Gaprindaschwili, Nana Iosseliani
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