Sie solle jeden Monat rechnen, als wäre er ein Jahr, sagt der Gynäkologe und wiegt bedächtig sein Haupt. Rachel aber ist zuversichtlich. Sie ist frisch verliebt in den Industriedesigner Ali, der eine vierjährige Tochter namens Leila hat und von der Mutter des Kindes getrennt lebt. Die Beziehung verläuft vielversprechend. Rachel hat das kleine Mädchen bereits kennengelernt und empfindet eine starke Liebe zu ihr. Freudig übernimmt sie die Rolle der Stiefmutter – mit potenzieller Aussicht auf ein eigenes Kind mit dem neuen Mann.
Die französische Regisseurin Rebecca Zlotowski ist immer für überraschende Frauenporträts gut. Zuletzt erzählte sie die Geschichte einer jungen Französin, die ihren Körper einsetzt, um moralbefreit als „Ein leichtes Mädchen“ das Highlife der Reichen und Schönen zu leben. Abgesehen von dem betulichen deutschen Titel, ist „Les enfants des autres“ (wörtlich übersetzt: „Die Kinder der anderen“) ihr bislang elegantester und formvollendetster Film – mit einem glühenden Paris in eindrucksvoller Nebenrolle.
Detailreich zeichnet Zlotowski das Bild einer kinderlosen Frau in der Blüte, aber auch an einem Scheideweg ihres Lebens. Eingebettet in eine liebevolle, jüdische Familie, beliebt als Schullehrerin bei den Jugendlichen und begehrt als schöne Frau von den Männern, ist Rachels Alltag keineswegs von Mangel geprägt. Erst die Begegnung mit Ali und seiner Tochter verdeutlicht ihr schmerzhaft das unweigerliche Verrinnen der Zeit und – damit einhergehend – die Verengung möglicher Lebensentwürfe.
Flucht auf den Balkon
Virginie Efira als Rachel – noch in deutlicher Erinnerung als unheilige Nonne in Paul Verhoevens „Benedetta“ – befüllt jede Faser ihrer Rolle mit sympathischer Präsenz. Als eines Nachts das kleine Mädchen aufwacht und noch nicht mitbekommen soll, dass Papa eine neue Frau im Bett liegen hat, zeigt Efira selbstironischen Sportsgeist und flüchtet nackig über den Balkon.
Virtuos macht sie auch jene Verletzlichkeit fühlbar, der man sich aussetzt, wenn man sich in die Kinder anderer Leute investiert. Denn was passiert, wenn die Beziehung zerbricht?
Zlotowski verpasst ihrem nachdenklichen Drama einen schnellen Schnitt: Atemlos treibt sie Rachel, die gerne immer etwas spät dran ist, durch den fließenden Autoverkehr von Paris vor sich her – als wäre ihr flotter Schritt eine Parallelmontage zum Lauf der Zeit. Diese stete Vorwärtsbewegung bringt aber auch eine Dynamik mit sich, die Rachel stark macht für jenes Paradoxon, das unser Dasein ausmacht: „Das Leben ist kurz – und lang.“
INFO: F 2022. 103 Min. Von Rebecca Zlotowski. Mit Virginie Efira, Roschdy Zem.
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