Damit wäre eigentlich schon das ganze Stück erklärt. Um zu kapieren, dass nicht überall, wo große Kunst draufsteht, auch große Kunst drin ist, hätte man nicht vier Stunden in der Halle E im Museumsquartier absitzen müssen. Kunstskandale gibt’s wie Sand am Meer und so hat auch die Story, um die es hier geht, einen realen Hintergrund: 2004 kaufte ein Paar für 8,3 Millionen Dollar ein Gemälde des Expressionisten Mark Rothko. Bloß war der Schöpfer des Kunstwerks in Wahrheit nicht Rothko, sondern ein chinesischer Migrant. Angeblich war das Paar, solange es das Bild für echt hielt, sehr berührt davon, ganz so, wie sich Rothko das vorgestellt hatte. Der wollte mit seinen farbenfrohen Rechtecken Gemälde schaffen, die Menschen zu Tränen rühren würden. Was immer wieder auch passiert sein soll. Kann aber auch ein falscher Rothko zu Tränen rühren? Im Programmheft steht, dass es in „Rohtko“ um diese Frage geht. Zuvorderst aber arbeitet man sich hier an der Frage nach Authentizität ab. Was ist echt, was ist falsch. Mittels Vexierspiel, in dem dieselben Darsteller in immer wieder anderen Rollen auftauchen. Oder sind es die gleichen in denselben Rollen? Ach, hätte man bloß Drehbuchautor Charlie Kaufman um Rat gefragt! Oder den Kunstfälscher Wolfgang Beltracchi, der hätte gewiss gute Geschichten zum Thema auf Lager gehabt.
Eine gute Geschichte wird hier leider nicht erzählt. Eigentlich gar keine. Das aber in schönen Bildern, die an eine Mischung aus Aki Kaurismäki und Wong Kar-Wai erinnern. Die Bühne ist wie ein Filmset gestaltet. Da sitzen Kunstmenschen in einem chinesischen Restaurant, das aussieht wie wahrscheinlich alle chinesischen Restaurants auf der Welt, trinken Bier aus grünen Flaschen (je länger der Abend, desto größer die Lust auf Heineken) und wälzen Gedanken über die verkommene Kunstwelt. Wie mies der Kunstmarkt ist. Junge Künstler werden ausgebeutet. Alles basiert auf dem Prinzip „Des Kaisers neue Kleider“, keiner traut sich, zu sagen, dass der Kaiser nackt ist. Ja, eh.
Wie in mindestens jeder zweiten Theaterproduktion der letzten 20 Jahre wird auch hier alles mitgefilmt und auf eine Leinwand übertragen. Weil dort oben alles, was auf Lettisch oder Chinesisch erzählt wird, auf Deutsch zu lesen ist, schaut man eigentlich hauptsächlich auf den Film. Ist ja jetzt überall so: Wer interessiert sich schon für die echte Welt, wenn es eine gefilmte gibt.
Diesfalls ergibt die Filmerei inhaltlichen Sinn, denn es geht hier ja um die Frage nach Echt und Falsch. Zu den schönen Bildern gibt’s Aufzugmusik, unter anderem mit dem sprechenden Refrain „une eternité“ – eine Ewigkeit. Nach einer solchen fühlte sich der Abend auch an. Weswegen, trotz stellenweise extremer Lautstärke, dem einen oder anderen die Augen zufielen, viele gaben in der Pause auf. Für sie an dieser Stelle ein Service: Sie haben danach nicht viel versäumt.
KURIER-Wertung: 3 von 5 Sternen