Festwochen: Feuerzünglein der Revolution - und ein bisschen Nahostkonflikt
Milo Rau war im Vorfeld der Festwochen-Eröffnung mit dem Titel „Ausrufung der Freien Republik Wien“ ein Mann der großen Worte: „Wien muss brennen“, hieß es. Es sei "eine Mischung gelungen, den Platz trotz des angekündigten Regens zum Explodieren zu bringen“.
Nun finden angekündigte Regenfälle meistens statt, angekündigte Revolutionen bekanntlich eher nicht. Am Freitagabend blieb das Publikum am Rathausplatz nach einem regnerischen Tag weitgehend trocken. Und die künstlerisch herbeigeführte Explosion mit allenfalls verbrannter Erde blieb ebenfalls aus.
Frecher Beginn
Dabei hatte Raus (auf ORF2 live übertragene) Inszenierung recht frech und interventionistisch begonnen. Die feierliche Eurovisionshymne von Charpentier, die seit Jahrzehnten eingeübtes Ritual ist, wurde durch eingespielte Interferenzen und Bildausfälle unterbrochen, eine Person in einer gestricken Sturmhaube erschien groß im Bild. Hätte man diese Ikonographie nicht schon in der ganzen Stadt auf Plakaten gesehen, hätte man sich vielleicht erschreckt.
Dann wurde der Blick auf eine Art vermummtes Revolutionskommando frei, das am Schreibtisch des Bürgermeisters Platz genommen hatte. Die neonfarbenen Masken wurden aber rasch heruntergezogen. Da saßen Festwochen-Intendant Rau, Burg-Schauspielerin Bibiana Beglau und Herwig Zamernik alias Fuzzman, musikalischer Leiter des Eröffnungsprogramms.
Die wollen nur spielen
„Hallo zusammen, hier spricht die Freie Republik Wien“, sagte Beglau. „Wir kommen in Frieden“, sagt sie und das hörte sich fast wie ein Disclaimer an. Dann, verfolgt von der Kamera, hasteten die drei die Treppen des Rathauses hinab, nicht ohne dabei vermeintlichen Bürokraten die Aktenordner aus den Händen zu schlagen und sie zum Mitmachen aufzufordern. Die dargestellten Beamten laufen sofort mit. Das wirkt dann - offenbar bewusst - etwas käsig. Und man merkte rasch: Die wollen nur spielen.
Bunte Armada
Das Publikum auf dem Rathausplatz hatte dies auf riesigen Leinwänden verfolgen können, zeitgleich nahm auf der Bühne eine bunte Armada an Aufständischen Aufstellung, natürlich mit Sturmhauben über dem Kopf. Fuzzman stimmte die erste der beiden Republikshymnen "Aller Farben ist das Glück" an. "Geht nach Haus, Kapitalisti! Ihr habt es zu nichts gebracht!" wurde da giftig formuliert, "für euch scheiß Rassisten, haben wir uns schön gemacht!“
Zentral auch der Satz: „Alles Schöne auf der Welt hat jemand anderes gemacht.“ Hier fordert die Kunst ihre Rechte ein.
Rocken mit "Schwester Veronica"
Die Proklamation der „Freien Republik Wien“ vollführten dann einige Mitglieder des von Rau konzipierten „Rats der Republik“, der in den kommenden Wochen eine künstlerische Verfassung und eine „Wiener Erklärung“ erarbeiten soll. Eine pensionierte Lehrerin, eine Schülerin und ein Verhaltensbiologe sorgten für Diversität und beschworen Vielfalt, Schönheit und Würde.
Als Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler (SPÖ) - von Moderatorin Beglau als „Schwester Veronica“ begrüßt - die Festwochen allen Ernstes offiziell eröffnete, ging der revolutionäre Gestus bereits zum ersten Mal verloren. Das Volk und die Öffentlichkeit - also die Res publica - sollen während der Festwochen gemeinsam verhandeln und diskutieren, in Solidarität. „Bringen Sie sich ein“, appellierte sie an die Zuschauer. Die „Freie Republik Wien" solle „uns zusammenbringen“ und dazu anzuregen, „nachzudenken, wer wir sind". „Let’s rock a democratic city!“ rief Kaup-Hasler aus. Auch den Klimawandel werden wir rocken, meinte die Politikerin.
Herausschreien
Zamernik setzte bei der Auswahl der musikalischen Acts, die den Großteil des Programms ausmachten, auf politisch unterfütterten Pop diverser Spielarten. Die vom Veranstalter Festwochen recht großzügig geschätzten 36.000 Besucherinnen und Besucher akklamierten etwa die russische feministische Pussy Riot-Aktivistin Diana Burkot. Sie performte unter anderem den berühmten Protestsong der Punkband: "Putin has pissed himself". Bei dem herausgeschrienen und mit elektronischer Musik begleiteten „Punk-Gebet“ aus dem Jahr 2012 zeigte sich am ehesten ein verstörender Effekt. Diese Musik soll wehtun.
Später am Abend sollte mit einem Aufruf zum kollektiven Schreien ein weiterer Versuch zur Entgrenzung gestartet werden.
Musikalisch war die energiegeladene oberösterreichische Band Bipolar Feminin schon wesentlich konventioneller unterwegs. Aber textlich war das schon starker Tobak. Sängerin Leni Ulrich, wunderbar wütend, wälzte bei "Süß lächelnd" Rachefantasien am männlichen Patriarchat mit seinen Schwänzen: "Ich töte euch alle, ich bring euch alle um“. Voodoo Jürgens konstatierte "A Aungst haums", die deutsche Sängerin Paula Carolina ergänzte "Angst frisst Demokratie" und Monobrother rappte von der Hölle der "Reihenhaus-Favela", deren brutal-reaktionäre Bewohnerschaft sich demnach "Haund in Haund hinter die Aufklärung" zurückdemonstriere. Fuzzman selbst rief singend zur Distanz auf: "Ich halte Abstand von Eurer Brut, die außer Schlechtem auch noch Miserables tut. Ich hab genug von Eurem Dunst, den Ihr verbreitet, Ihr verfaulter brauner Sumpf."
Musik und Molotow-Cocktails
Die musikalischen Auftritte wechselten sich ab mit zugespielten Grußbotschaften und Live-Statements internationaler Aktivisten und Künstlerinnen. Es traten auf: Naturschutzökologin Carola Rackete, Pussy-Riot-Mitglied Diana Burkot, der ukrainische Regisseur Stas Zhyrkov, die Schweizer non-binäre Person Kim de l'Horizon, vor zwei Jahren mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet, oder die Autorin Sybille Berg, ebenfalls aus der Schweiz. Hier wurden die drängenden Themen der Gegenwart von Klimawandel über Rassismus und Krieg bis zur Geschlechteridentität aufgegriffen und mal eher launig, mal kämpferisch, mal mit Hang zum Pathos die "Freie Republik Wien" als möglicher Ort, diese Themen zu verhandeln, propagiert.
Der ernsthafte Gehalt dieser berechtigten Anliegen wurde mitunter durch eine ironische Bildsprache konterkariert, die Versatzstücke von Revolutionen nutzt. Unentwegt werden Fahnen geschwenkt, was dann schon wieder mehr an Nationalismus denken lässt. Auf den Leinwänden wird im Stil von Graphic Novels das Entzünden eines Molotowcocktails inszeniert. Ist das noch Provokation light, oder schon Gewaltaufruf? Vieles blieb hier im Vagen.
Sprachlich griff etwa der Rapper Kid Pex daneben, als er von einem "Guantanamo Österreichs" sprach. Auch von „Sebastians Klonen“ war an dem abend die Rede. Die FPÖ wurde nie direkt angesprochen, war aber wohl auch bei den von der „Königin der Macht“ angesprochenen „Festungsplänen“ mitgemeint. Die Rapperin schloss ihre Ansprache mit der auf den Gaza-Krieg gemünzten Aussage: „Es ist nicht zu spät - Ceasefire now!“ (Waffenstillstand - jetzt).
Palästinenser-Transparent
Der Nahostkonflikt schlich sich auch an anderer Stelle wieder ein: Zwischenzeitlich tauchte ein Transparent, das später wieder verschwand, mit einer in einer slawischen Sprache formulierten Forderung nach Frieden und Freiheit für Palästina auf der Bühne auf. Ob geplant oder nicht - Fuzzmann unterbrach die Darbietung und wandte sich an den „Herrn“. Man könne seine Meinung in der "Freien Republik" freilich anbringen, aber es müsse einem auch klar sein, "dass man hier die Flagge für ein Terrorregime schwenkt", sagte der Musiker, während Rau die Sache wieder herunterspielte. Es gehe ja nur um Frieden.
Das auf ORF2 von 21.20 Uhr bis 23.05 live übertragene Event sahen im Schnitt 112.000 Zuseherinnen und Zuseher (Marktanteil 5 Prozent). Das ist bei dem spitzen Programm keine große Überraschung. Die parallel gesendete Finalshow "Die große Chance" auf ORF1 lief mit 452.000 Zusehern (19 Prozent Marktanteil) und wesentlich breiterem Musikstil aber auch nicht gerade prächtig.
Frech, aber gebremst
Freche Formulierungen fand auch die Schauspielerin und Autorin Mateja Meded, sie sei „über die Balkanroute illegal hier eingefallen.“ 1992 nach Deutschland, wohlgemerkt. Sie beschäftigte allein mit dem Titel ihres Festwochen-Monologs „Fotzenschleimpower gegen Raubtierkaputtalismus“ bereits Wochen vor Festivalstart die Wiener FPÖ. Rau, der ihren Auftritt ankündigte, freute sich diebisch, als er die Aufregung erwähnte.
Der Theatermacher hat überhaupt bisher vor allem mit Überschriften und personellen Entscheidungen für Aufsehen gesorgt, am Eröffnungsabend beschränkte er sich auf die Rolle des Moderierens und Mitfeierns. Die provokative Sprache und die Unterhaltsamkeit eines Christoph Schlingensief, der lange vor ihm bei den Festwochen für Aufruhr gesorgt hatte, ist dem Schweizer Intendanten nicht eigen. Revolutionäre Sprengkraft entwickelte zumindest die Inszenierung der Eröffnung kaum. Der ORF hielt es diesfalls offenbar gar nicht für nötig, die üblichen Hinweise, dass man sich von den Aussagen Dritter distanziere, einzublenden.
Jelinek will das ganze "vorsichtig umkreisen"
Dafür gelang Rau, die öffentlichkeitsscheue Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek für eine seltene Videobotschaft zu gewinnen. Aus ihrem Statement konnte man auch einen vagen Vorbehalt gegenüber dem absoluten Gemeinmachen mit einer Sache, sei sie noch so unterstützenswert, herauslesen: "Die Küche übernehmen wir. Ich kann zwar nicht kochen, aber ich schau mir gern an, was rauskommt, und dann möchte auch ich ein Teil davon sein, ohne vom Feuer, das ich vorsichtig umkreise, selbst verzehrt zu werden."
Am Schluss erklang die von Fuzzman und seinen Singing Rebels dargebrachte Hymne der Republik: "Steht auf, steht auf". "Gebt Euch nicht auf, werft Euch nicht weg. Und lasst uns hoffen, es ist noch nicht zu spät. Gebt sie nicht her, die freie Welt. Haltet sie hoch, die Freie Republik", hieß es darin. An der Rathausfassade - durchgehend mit Visuals bespielt - leckten schon die Feuerzungen.
Insgesamt stellte die Eröffnung eher ein Feuerzünglein dar, hier und da mit Inspiration zum Nachdenken und Diskutieren. Auf das Publikum, das zwar immer wieder die Darbietungen bejubelte, schien der Funke der Revolution noch nicht vollends übergesprungen zu sein. Dem Aufruf zum Mitsingen kam man eher mäßig nach. Vielleicht dachten ein paar dabei sogar an Jelinek.
Zeit für künstlerische Revolutionsideen ist noch genug, bleibt die "Freie Republik Wien" mit ihrem 100-köpfigen "Rat der Republik" aus Expertinnen und Experten, Intellektuellen und Bürgerinnen und Bürgern - auch Jelinek, Berg und Zhyrkov gehören ihm an - doch noch bis zum Ende der Festwochen am 23. Juni bestehen. Insgesamt wartet das Festival heuer mit 47 Produktionen und künstlerischen Projekten aus den Bereichen Sprechtheater, Oper, Musik, Tanz, Performance, bildende Kunst und Aktivismus auf, wobei partizipative Formate und Projekte bei freiem Eintritt einen Schwerpunkt bilden. Zu den bekanntesten Namen zählen u.a. Kornél Mundruczó, Florentina Holzinger, Kirill Serebrennikov oder Tim Etchells. Für die insgesamt geplanten 143 Vorstellungen an 34 Spielorten werden 45.000 Karten aufgelegt.
Das dezidiert politische Programm dürfte dabei auch weiterhin nicht nur die Festwochen-Community beschäftigen. Die Wiener ÖVP kündigte am Freitag an, in der Gemeinderatssitzung am kommenden Mittwoch eine Dringliche Anfrage an Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) zu stellen, böte das Festival doch - "gefördert durch die Stadt Wien - extremistischen Ansichten eine Bühne". Für weiteren Gesprächsstoff ist also gesorgt.
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