Faszinierender Fake: "Modell" für Freiheitsstatue von Künstlicher Intelligenz

Faszinierender Fake: "Modell" für Freiheitsstatue von Künstlicher Intelligenz
Das Gesicht, das im Netz kursiert, wurde aus einer Datenbank zusammengesetzt: Eine Strategie, die sich viele Künstler zunutze machen

Die Geschichte klingt fast zu gut, um wahr zu sein - und sie ist es auch: Die bildhübsche Frau mit entschlossenem Blick, deren scheinbar eben erst wiederentdecktes Porträtfoto seit einiger Zeit in sozialen Medien weitergereicht wird, soll einst dem Bildhauer Frédéric Auguste Bartholdi für die New Yorker Freiheitsstatue Modell gestanden haben. Bei der Schönheit handle es sich zudem um einen echten Promi, behauptet der mitgelieferte Text - es sei Isabelle Boyer-Singer, die Witwe von Isaac Singer, der mit der Erfindung der Nähmaschine zu Reichtum gekommen war. Einer der frühen Wolkenkratzer - das heute nicht mehr erhaltene Singer Building - prägte zudem einst die frühe Skyline New Yorks.

Faszinierender Fake: "Modell" für Freiheitsstatue von Künstlicher Intelligenz

Das Problem an der Geschichte: Sie stimmt nicht. Wie das Fact-Check-Team der Agentur Reuters herausfand, hat das Bild aber auch keine andere "reale" Vorlage, sondern ist das Produkt Künstlicher Intelligenz: Der niederländische Künstler Bas Uterwijk, der sich selbst als "Post-Photograph" bezeichnet, ließ das Bild auf Basis eines so genannten "Generative Adversarial Network", kurz GAN, erstellen. Als Ausgangsmaterial dienten dabei sowohl gemalte Bilder als auch Fotos; sie werden von dem Mechanismus eigenständnig synthetisiert. Auf derselben Basis schuf Uterwijk bereits Porträts, die u. a. Vincent Van Gogh nachempfunden sind, oder auch fantastisch anmutende Collagen. Mit ihnen ist er teilweise am NFT-Markt aktiv.

Die GAN-Technologie ist mittlerweile durchaus etabliert und gar nicht mehr so revolutionär. Bereits 2018 verkaufte Christie's ein fiktives Porträt, das mithilfe eines solchen Netzwerks erstellt worden war - der gering angesetzte Schätzpreis von 10.000 US-Dollar wurde damals, nicht zuletzt dank eines veritablen Medienhypes, um das Vielfache überboten, das Bild fand um 432.500 US-Dollar einen neuen Besitzer.

Auch in der kommerziellen Sphäre der so genannten "Stock Photos" sind computergenerierte GAN-Porträts längst angekommen - die Erzeuger solcher Bilder müssen sich hier praktischerweise nicht mehr mit den Persönlichkeitsrechten der Fotografierten herumschlagen.

FRANCE-UKRAINE-RUSSIA-CONFLICT

KI-Gesichter werden reale Gefährten

Bei der aktuellen Venedig-Biennale ist die US-Künstlerin Lynn Hershman Leeson ebenso mit KI-generierten Porträts präsent. Die Serie "Missing Persons" ("Abgängige Personen") offenbart bei genauerem Hinsehen aber auch Fehler, die das KI-System bei der Zusammenstellung der Porträts macht, und fordert Betrachter dazu auf, dem scheinbar natürlichen Look zu misstrauen. Wenn das Foto - wie im Fall des angeblichen Freiheitsstatuen-Modells - als "historisch" ausgegeben wird, legt sich freilich noch ein zusätzlicher Schleier über den Authentizitätsanspruch.

Wer Bartholdi tatsächlich für die Freiheitsstatue - die als Geschenk Frankreichs an die USA geschaffen wurde - Modell saß, ist im Übrigen umstritten - wenn es denn überhaupt eine reale Person war. Bartholdi selbst war stark von ägyptischer Kunst beeinflusst und könnte eine idealtypische Figur als Vorbild genommen haben, heißt es etwa in der Encyclopedia Britannica. Die Reale Witwe Singer, von der Fotografien existieren, glich der "Lady Liberty" und ihrem KI-Vorbild nämlich nicht wirklich.

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