"Falling": Viggo Mortensens gelungenes Regiedebüt
von Susanne Lintl
Er ist ein Rastloser. Auch mit 62 Jahren noch ständig auf der Suche nach neuen Aufgaben, neugierig auf die Welt und getrieben vom Willen, Schönes oder Bleibendes zu schaffen: Viggo Mortensen, Sohn eines dänischen Geschäftsmanns und einer Amerikanerin, ist mit vielen Talenten gesegnet. Er malt, schreibt, fotografiert, macht Musik und schauspielert.
Nun hat der Kosmopolit, der als Aragorn in Peter Jacksons „Herr der Ringe“ weltberühmt wurde und für großartige Filme wie „Eastern Promises“ für den Oscar nominiert war, ein neues Aufgabengebiet entdeckt. Mit der Vater-Sohn-Geschichte „Falling“ (aktuell in den Kinos) liefert Mortensen ein beeindruckendes Regiedebüt. Außerdem schrieb er das Drehbuch, kümmerte sich um die Musik und spielt eine der beiden Hauptrollen. Letzteres wohl, um die Finanzierung des Filmprojekts sicherzustellen.
„Es hat schon ein paar Versuche gebraucht, bis ich das Geld beisammen hatte“, so Mortensen im Zoom-Interview, „aber als ich zustimmte, selber mitzuspielen, ging alles leichter“.
Garstig bis gaga
Fünf Wochen Drehzeit hatte er, um seine Geschichte vom verbitterten, dementen Vater und seinem schwulen, lebensbejahenden Sohn ins Trockene zu bringen. „Das war schon eng und ich musste mich sehr anstrengen, dass ich das schaffe. Aber Gott sei Dank liebe ich es, zu arbeiten. Und wir waren eine tolle Crew. Alle haben zusammengehalten und mir geholfen“.
Für den Part des Vaters, Willis Peterson, wählte Mortensen den 81-jährigen Lance Henriksen, der aus vielen Film-Nebenrollen und TV-Serien bekannt ist. Eine gute Wahl, denn Henriksen schafft die perfekte Balance zwischen garstig, menschlich und gaga. „Mit Lance ist es mir gelungen, diese Konfusion und Desorientierung, die Demenz auslöst, aber auch die lichten Momente, in denen der alte Schalk durchblitzt, aufzuzeigen. Alte Menschen sagen ja für Außenstehende oft seltsame, auch beleidigende Sachen, die aber für sie selbst nicht ungewöhnlich sind.“
"Emotionen und Zärtlichkeit waren tabu"
Hat er auch eigene Familienerfahrungen ins Script einfließen lassen? „Natürlich habe ich auch an meinen Vater und meine Mutter gedacht, als ich das Projekt begonnen habe. Mein Vater war noch von der alten Generation in Dänemark, eines von sechs Kindern. Er wuchs in der Zeit der Depression auf, erlebte die deutsche Besatzung. Männer dieser Generation konnten nicht auf dieselbe Weise mit ihren Kindern kommunizieren wie Väter das heute tun. Emotionen und Zärtlichkeit waren tabu. Und sie taten sich unendlich schwer zu sagen: Das tut mir leid. Da gibt es schon Ähnlichkeiten im Film“.
Mortensen wuchs in Argentinien auf, ehe er nach der Scheidung mit seiner Mutter und seinen zwei Geschwistern nach New York zog. Mit 22 machte er an der St. Lawrence University in Canton, New York, seinen Abschluss in Politik und Spanisch, danach ging er nach Europa, wo er sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser hielt. Nach zwei Jahren kehrte er zurück, um Schauspieler zu werden. Heute lebt er mit der spanischen Schauspielerin Ariadna Gil und dem gemeinsamen Sohn hauptsächlich in Madrid: „Ich liebe Spanien, seine Kultur, seine Sprache. Generell mag ich Gegenden, die echte Jahreszeiten haben.“
Voller Bewunderung für Agnès Varda
Mit David Cronenberg verbindet Mortensen spätestens seit „Eastern Promises“ eine tiefe Freundschaft. So ist es auch verständlich, dass Cronenberg ihm den Gefallen, den Arzt von Willis in „Falling“ zu spielen, nicht abschlagen konnte. „Ich habe David mein Drehbuch geschickt und ihn damit gelockt, dass er nicht weit zu den Dreharbeiten fahren müsste. Wir haben in Kanada ganz in der Nähe seines Anwesens gedreht. Das hat ihn wohl überzeugt“, gibt sich Mortensen bescheiden.
Voller Bewunderung war er auch für die leider schon verstorbene französische Filmemacherin Agnès Varda, der er seinen ersten Film gewidmet hat. Mortensen: „Sie war so eine tolle und umwerfende Frau. Ein paar Monate vor ihrem Tod im März 2019 hatte ich das Glück, während eines mehrstündigen Flugs neben ihr zu sitzen. Es war der kürzeste Flug meines Lebens, denn sie hatte so viel Interessantes zu erzählen. Schmiedete noch Pläne für ein neues Projekt, obwohl sie schon sehr krank war und nicht wusste, ob sie es verwirklichen könnte. Sie hatte so eine positive Haltung zum Leben. Ihre Neugier, ihre Offenheit und ihr ehrliches Interesse an Menschen haben mich sehr ermutigt und kommen mir immer wieder in den Sinn.“
Mortensen hat noch viel zu erzählen
Hat sich das Film-Business durch Corona verändert? „Ganz bestimmt. Die Leute sind noch vorsichtig, wieder ins Kino zu gehen – sie haben sich an das Streaming daheim gewöhnt. Ich denke, viele Kinos werden nicht überleben und für Independentfilme wird es auf jeden Fall härter, ihren Platz zu behaupten. Ich finde das unendlich schade, weil ich liebend gern ins Kino gehe. Ich sitze gerne mit Fremden in einem dunklen Saal und lasse die Story, die sich da auf der großen Leinwand entfaltet, auf mich einwirken. Das Ganze noch mit einem tollen Sound verbrämt, ein Erlebnis. Aber ich bleibe Optimist: Die Menschen werden immer einen Weg finden, ihre Geschichten zu erzählen und sie herzuzeigen“.
Er hat jedenfalls noch genug zu erzählen. „Mir wird nie langweilig, dafür ist das Leben zu kurz“, lacht der ewige Bub. Jetzt müsse er wieder „ein bisschen vor der Kamera stehen“, damit er Geld für sein nächstes Regieprojekt zusammenbekomme.
Kommentare