Filmkritik zu "Tina": Die Frau, die Mick Jagger das Tanzen beibrachte
Tina Tuner konnte den Song nie leiden. In ihren Ohren war „What’s Love Got To Do With It“ einfach nur ein fades, britisches Poplied.
Tina Turner aber wollte Rocksängerin sein, zumal die erste schwarze Rocksängerin, die Stadien füllen konnte wie die Rolling Stones.
Ironie der Geschichte, dass ausgerechnet „What’s Love Got To Do With It“ zu Turners erstem Hit wurde, ihren Durchbruch bedeutete und sich 20 Millionen Mal verkaufte. Wenn man heute das Musikvideo sieht, in dem sie im schwarzen Ledermini, mit toupierter Löwenmähne und knallrotem Lippenstift durch New York marschiert und „What’s Love Got To Do With It“ singt, weiß man: So sahen die Eighties aus.
„Tina“, eine enthusiastische HBO-Musikdoku von Dan Lindsay und TJ Martin, die jetzt ins Kino kommt, feiert mit begeisterte Hingabe das Ausnahmetalent von Tina Turner. „Die Frau, die Mick Jagger das Tanzen beibrachte“ , wie sie von Journalisten genannt wurde, fegt über die Bühne wie eine Naturgewalt, schüttelt frenetisch ihre Gliedmaßen und singt mit charakteristischer Rockröhren-Stimme Jahrzehnte-Hits wie „I Cant’t Stand the Rain“.
Die Massen jubeln.
Man muss kein Tina-Turner-Fan sein, um sich von „Tina“ mitreißen zu lassen. Die Regisseure tauchen tief in die Archive ein und fördern herrliches, historisches Material zutage, das zurück in die Rock’n’Roller-Zeiten der 50er und 60er Jahre reicht, wo Tina Turner gemeinsam mit ihrem damaligen Mann Ike Turner auftrat oder mit Phil Spector eine Platte aufnahm.
Zu sehen gibt es rare Aufnahmen von frühen TV-Auftritten ebenso wie von gefüllten Stadienkonzerten. Wichtige Weggefährten wie Turners Produzent, ihr Biograf, Freundin Oprah Winfrey oder Angela Bassett, die sie in dem Bio-Pic „What’s Love Got To Do With It“ spielte, kommen lebhaft zu Wort. Tina Turner selbst ist in einem Interview zu sehen, das sie den Filmemachern 2019 in ihrem Haus in Zürich gab.
Zu diesem Zeitpunkt ist sie 79 Jahre alt und erinnert sich an die Anfänge ihrer Karriere, ihre quälende Ehe mit Ike Turner und ihre Wiedergeburt als Solokünstlerin.
Wenn man heute etwas aus dem Privatleben von Tina Turner weiß, dann den Umstand, dass sie 16 Jahre mit einem Mann verheiratet war, der sie regelmäßig schlug und vergewaltigte.
Ehehölle
Erst Jahre nach der Scheidung zerstörte Turner in einem Interview den Mythos vom glamourösen Musikerpaar und gab Einblick in ihre tägliche Ehehölle. Der Bruch ihres Schweigens kam bahnbrechend in einer Ära lange vor #MeToo, in der Frauen in der Öffentlichkeit über ehelichen Missbrauch schwiegen.
Die Regisseure unterteilen ihre Doku in mehrere Kapitel, in denen sie entscheidende Lebens- und Karriereschritte nachvollziehen. Turner selbst kommentiert die oft traurigen Ereignisse ihres Lebens und taucht tief in die Vergangenheit ein.
Tatsächlich hieß Tina Turner eigenlicht Anna Mae Bullock und war erst 17 Jahre alt, als sie 1957 in St. Louis auf den Rock’n’Roller Ike Turner traf. Ike tauft sie in Tina Turner um und macht mit ihr als Ike & Tina Turner Karriere. Nach der Scheidung wagt sie den Neustart, doch sein Schatten verfolgte sie lange.
„Tina“ ist eine fesselnd erzählte Erfolgsgeschichte mit todtraurigen Untertönen. „Ich hasse meinen Vater“, sagt Tinas Sohn Craig Turner in einem Interview und erinnert sich an gewaltvolle Szenen seiner Kindheit. Er beging 2018 Selbstmord. Ihm und Tina Turners Langzeit-Assistentin Rhona Gram, die ebenfalls kürzlich starb, ist „Tina“ gewidmet.
INFO: USA 2020. 118 Min. Von Daniel Lindsay und T.J. Martin. Mit Tina Turner, Oprah Winfrey, Angela Bassett.
Filmkritik zu "Falling": Besuch vom fiesen Vater
Es hätte eine glückliche Familie sein können: Vater, Mutter, Kind, verbunden durch ein enges Band der Liebe. Doch was idyllisch beginnt, erweist sich bald als familiäre Hölle. Der junge Vater (Sverrir Guðnason) entpuppt sich als kettenrauchender Tyrann, der Frau und Kinder aus dem Haus treibt. Die Keime der Liebe, die er in sich trägt, werden durch sein cholerisches Temperament zunehmend erstickt.
Jahrzehnte sind vergangen: Der Vater (Lance Henriksen) ist mittlerweile ein alter, dementer Wutgreis. Sein längst erwachsener, schwuler Sohn – gespielt von Viggo Mortensen, der auch die Regie führte – zählt zur bevorzugten Zielscheiben des unflätigen Alten.
Bei einem Besuch beginnt er umgehend, seine Umgebung mit homophoben, rassistischen und sexistischen Beleidigungen zu zumüllen. So oft, wie er „Schwuchtel“, „Neger“ oder „Hure“ sagt, kann man nicht mitzählen.
„Falling“ ist Viggo Mortensens Regiedebüt, in dem er seine eigene Familiengeschichte in ein fiktives, nervenaufreibendes Kammerspiel verpackt und schmerzhaft zugespitzt. Man spürt die Aufrichtigkeit, mit der der „Herr der Ringe“- Star in der Suada des Familienoberhauptes noch die Reste jener Persönlichkeit sucht, die der kleine Sohn einmal geliebt haben mag.
Lustgreis
Mortensen verschmilzt die verwirrte Gegenwart des alten Mannes mit peinsamen Rückblenden in die Familiengeschichte. Allerdings räumt er dessen Hassmonologen viel zu viel Platz ein, um noch genügend Raum für Ambivalenz zu lassen. Dadurch verhindert er einen erzählerisch dynamischen Schlagabtausch zwischen Vater und Sohn und produziert stattdessen ein unrhythmisches, konfuses Gefühlsporträt.
Genervt beginnt man sich zu fragen, warum denn niemand in der Familie dem aggressiven Lustgreis das Maul verbietet. Immerhin bringt Lance Henriksen als fieser Vater genügend Charisma mit, um seine Schimpftiraden über weite Strecken halbwegs erträglich zu machen.
INFO: USA KAN/USA/GB 2020. 112 Min. Von und mit Viggo Mortensen. Mit Lance Henriksen.
Filmkritik zu "Wood – Der geraubte Wald": Holzkäufer
„Wer hat dir, du schöner Wald, eine vor den Latz geknallt?“ Mit dieser Schlagzeile – in Abwandlung eines romantischen Gedichts von Joseph von Eichendorff – thematisierte jüngst eine deutsche Zeitung das Waldsterben. Hervorgerufen durch Klimawandel, Luftverschmutzung, sauren Regen und Kahlschlag für Viehweiden und Sojaplantagen, illegale Goldminen und Mega-Staudamm-Projekte.
Jeder weiß, dass Unmengen abgeholzt werden – um genau zu sein: weltweit alle zwei Sekunden die Größe eines Fußballfeldes. Aber den Raubbau gibt es in erster Linie – so glauben wir – in den Regenwäldern Südamerikas, wo korrupte Präsidenten das Sagen haben. Oder im politisch und wirtschaftlich undurchsichtigen China.
Dieser Dokumentarfilm ist in all diesen Ländern unterwegs, will aber seinem Publikum beweisen, dass der illegale Holzhandel auch uns in Österreich betrifft. Viele der Billigmöbel werden auch hierzulande mit Holz aus verbotener Rodung erzeugt. Und viel Holz vor und in österreichischen Hütten, so erfährt man, kommt aus Rumänien.
Der Film begleitet ein investigatives Team rund um den Globus. Angeführt von dem Umweltschützer Alexander Bismarck, einem ehemaligen US-Marine-Mitglied, werden mit Undercover-Methoden die Machenschaften einer weltweiten Holzmafia aufgespürt. Wobei sich das Filmteam auch nicht gerade als zimperlich erweist, wenn es um die Wahl der „Waffen“ geht – wie verdeckte Kameras und Verkleidungen.
Es ist nicht das erste Mal, dass sich Michaela Kirst, eine der Regisseurinnen des Films, diesem Thema widmet. Bereits im Jahr 2012 erschien ihr Film „Tatort Regenwald – Undercover gegen die Holzmafia“, in dem sie ebenfalls Bismarcks Kampf für die Natur begleitete.
Holzweg
Mit gefärbten Haaren schlüpft er nun in in die Rolle eines potenziellen Holzkäufers. Ins Visier seiner Ermittlungen geriet vor allem eine österreichische Firma, der vierzig Prozent des rumänischen Waldes gehören. Unter dem etwas simpel gestrickten Krimi-Muster des Films, wonach die Guten (Umweltschützer) hinter den Bösen (Waldzerstörern) her sind, leidet die Objektivität. Der Versuch, die Grenzen zwischen Legalität und Illegalität in diesem Business im Auge zu behalten, führt einen als Zuschauer auf einen Holzweg ins Verständnis-Dickicht, in dem man hineingeschnittene ORF-Berichte über die rumänisch-österreichischen Machenschaften als willkommene Wegweiser empfindet.
Dennoch macht der Film allemal die Dringlichkeit klar, mit der zu handeln ist, wenn wir den Wald und damit unsere Umwelt retten wollen.
Text: Gabriele Flossmann
INFO: Ö/DE/RO 2020. 97 Min. Von Ebba Sinzinger, Michaela Kirst, M. Lazurean-Gorgan
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