Fahrplan zur Kulturöffnung: Vorhang auf, und alle Fragen offen
Es wird sie also doch geben, die „Jedermann“-Rufe über dem Salzburger Domplatz. Im krankheits- und todgeprägten Jahr 2020 wird das Besinnungsspiel vom Sterben des reichen Mannes in einer abgespeckten Beharrungsversion der Festspiele nun wohl doch aufgeführt.
Zwar nicht so oft und nicht umgeben vom ausufernden Jubiläumsprogramm wie geplant. Aber: Der Kultursommer muss sich dem Virus nicht ganz beugen.
Darüber darf man erfreut – und darob überrascht sein. Wie überhaupt vom Ausmaß der Lockerungen, die die Regierung ausgerechnet dann in Aussicht gestellt hat, als die zuständige Staatssekretärin nur zweieinhalb Stunden vorher den Hut draufgehaut hatte.
Die Kulturnation hat zumindest jenen Ausblick bekommen, der zuletzt so vehement eingefordert wurde. Und auch viele Kulturschaffende haben zumindest die Aussicht auf „Einnahmemöglichkeiten“, wie Vizekanzler Werner Kogler sagte.
Zeitplan in Virologenlogik
Geöffnet werden soll stufenweise nach der Virologenlogik. Ab Anfang Juni können – die richtig verlaufenden Erkrankungskurven vorausgesetzt – Veranstaltungen bis zu 100, ab 1. Juli bis zu 250, ab 1. August unter Auflagen bis zu 1000 Besucher stattfinden.
Auch die Kinos können doch im Sommer aufsperren, konkret am 1. Juli (stehen aber immer noch vor dem Problem, dass die großen Blockbuster ausfallen).
Die entsprechende Verordnung – und damit das alles im Detail und belastbar ist – soll es kommende Woche geben. Überraschender als das Murren über diese erneute Vertröstung ist das Ausmaß dessen, was gehen könnte. Das ist, nicht zuletzt auch mit Blick auf die internationalen Aussichten (so ist der Broadway bis Ende September zu, die Kinos in China sind noch nicht offen), erstaunlich.
Voraussetzung für das alles: Abstand, Sitzplatz und Regelungen für Einlass- und Ausgangssituationen. Vor allem die Augustregelung, nach der Veranstaltungen allgemein bis zu 500 Besucher haben dürfen, eröffnen vielen kleinen Initiativen und Institutionen zumindest Planungsspielraum.
Und dass man im Juni auch proben und wohl Filme drehen wird können, heißt: Ein Start der Bundes- und Landestheatersaison im September ist zumindest nicht ausgeschlossen, und das Fernsehen kann mittelfristig für Nachschub sorgen.
Der Teufel ist im Detail
Doch, wie die Salzburger Festspiele selbst vermerkten: Der Teufel steckt im Detail.
Nun – bis zur Verordnung, aber auch in der künftigen Virusentwicklung – stellen sich die Fragen nach dem, was (noch) gezeigt werden kann, und der Wirtschaftlichkeit beim Aufsperren.
Vieles ist für den Sommer bereits abgesagt; und vor allem die nichtklassischen Kulturformen schauen so gut wie komplett durch die Finger: Sowohl Rockkonzerte (man steht! man tanzt! man knutscht!) als auch Discobesuche werden es noch viele Monate „ganz, ganz schwierig haben“, sagte der Gesundheitsminister. Das ist eine bittere Pille für jenen Sektor, der weit mehr als die Bühnen und die Museen kommerziell funktionieren muss. Und eine ebenso bittere Pille für eine Generation, die sich von der Politik auch sonst nicht immer abgeholt fühlt.
Es sind Öffnungen, maßgeschneidert für die, die zuletzt am publikumswirksamsten aufbegehrt haben. Kabarettisten (auch schon wurscht!) können bald wieder spielen, die fürs heimische Selbstbild wichtigen Festspiele in Salzburg müssen nicht völlig entfallen, die repräsentativen Konzerte in Grafenegg auch nicht.
Anderes jedoch sehr wohl: Die Bregenzer Festspiele finden erstmals seit 1946 nicht statt; dort ist keine Wirtschaftlichkeit herstellbar.
Und die Veranstalter der publikumswirksamsten Rock- und Popkonzerte stehen immer noch vor dem Nichts.
Denn das Kulturthema ist zweischneidig: Es geht einerseits um Schaffen und Sehen; andererseits auch um Zehntausende Arbeitende. Es war in der Präsentation von Werner Kogler und Rudolf Anschober auch wieder die Rede von aufgestockten, erweiterten, ergänzten Finanzhilfekonzepten für Künstler und Kulturschaffende. Hier ist Dringlichkeit geboten; trotz der neuen Aussichten stehen viele Kulturschaffende immer noch akut vor dem finanziellen Abgrund.
Kultur um welchen Preis
Bei der nunmehrig rasch eingeschobenen Präsentation der Kulturpläne ging es natürlich auch um etwas anderes. Noch am Donnerstag hieß es, der Kulturfahrplan sei noch nicht präsentationsbereit. Dass er es nun doch war, lag nicht nur an der Notwendigkeit einer guten Message nach dem Lunacek-Rücktritt. Der Schrecken über die Vehemenz und Haltlosigkeit des Künstlerprotests dürfte zumindest bei den Grünen groß sein. So groß, dass die Kultur zumindest auf absehbare Zeit nicht mehr so krass unterspielt wird, wie sie es zuletzt erleiden musste.
Kogler – der das auch kommunikative Minenfeld Kultur bisher Lunacek überließ – nahm nun sogar den Begriff Kulturnation in den Mund, und daran geknüpft die englische Version von „koste es, was es wolle“. Ein überfälliges Bekenntnis, das es in der Krise noch nicht gegeben hat – weder von den Ressortzuständigen noch von der Regierung im Gesamten, die die Kultur nun erst entdeckte, als es ums Politpersonal ging.
Das wird auch angesichts des neuen Fahrplans als Demütigungserlebnis bleiben. Ebenso wie die Gewissheit, dass noch gewaltiger Handlungsbedarf da ist. Viele Bereiche der Kultur werden immer noch nicht erfasst. Auch wenn der „Jedermann“ doch stattfindet.
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